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Ausgabe:

1910 Nr. 7

Spalte:

195-197

Autor/Hrsg.:

Cohn, Leopold (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Philo von Alexandria: Werke, in deutscher Übersetzung. 1. Teil 1910

Rezensent:

Heinrici, Carl Friedrich Georg

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195 Theologifche Literaturzeitung 1910 Nr. 7. 196

erflen Teile aufgeftellte doch fo zweifelhafte biblifche
Schema offenbar als das Fachwerk gilt, in das die Ge-
fchichte Affur-Babyioniens und Ägyptens hineinpaffen
muß. Darum muß auch Gen. 14 für die Gleichzeitigkeit
von Abraham und Hammurabi zeugen, darf wohl auch
die außerbiblifche Chronologie in wirklicher Gefchichte
nicht über das Datum der Sintflut hinaufreichen. Bei
diefen Vorausfetzungen des Verf. ift es mit Gleichmut
hinzunehmen, daß er S. 253 die Hoffnung ausfpricht, die
nächften zehn Jahre werden durch Entdeckungen in Pa-
läftina die letzten Zweifel in Bezug auf die biblifchen
Patriarchen zerftreuen, die ein trügerifcher Kritizismus der
vergangenen vierzig Jahre zu mythifchen und fagenhaften
Schatten zu machen verfucht habe. Zuletzt läuft die
Darftellung des Buches in eine Skizzierung der prähifto-
rifchen Zeiten Ägyptens aus, deren Wert ich nicht einfetten
kann, abgefehen davon, daß er wieder durch allerlei
gewagte Kombinationen beeinträchtigt wird.

Erwähnt fei noch, daß eine große fynchroniftifche
Tabelle von Arpachfad bis Saul (S. 268—283) die Daten
des Buches zufammenftellt, daß gute Regifter (S. 287—302)
den Gebrauch des Buches erleichtern, was befonders für
das gebotene chronologifche Material von Wert ift, und
daß das ganze Buch vortrefflich ausgeftattet ift.

Bern. Karl Marti.

Philo von Alexandria, Werke. In deutfeher Überfetzung
herausgegeben von Prof. Dr. Leopold Cohn. Erfter
Teil. (Schriften der jüdifch-helleniftifchen Literatur.
In deutfeher Überfetzung unter Mitwirkung von mehreren
Gelehrten herausgegeben von Prof. Dr. Leopold
Cohn. Erfter Band.) Breslau, M. & H. Marcus 1909.
(IX, 409 S.) gr. 80 M. 6 —

Auf Anregung des um die Bibelforfchung hochverdienten
D. Chwolfon hat fich unter der Leitung von Leopold
Cohn, dem bewährten Mitherausgeber der großen kriti-
fchen Philoausgabe, eine Gruppe von Gelehrten dazu
vereinigt, durch Überfetzung die wichtigften jüdifch-helleniftifchen
Schriften den Forfchern bequemer nutzbar und
den Gebildeten leichter zugänglich zu machen. Dies
Unternehmen ift dankbar zu begrüßen, und der Anfang
ift verheißungsvoll. Daß fie mit den Schriften Philos
anheben, ift durch die Sache gefordert; denn Philo ift der
Klaffiker des jüdifchen Hellenismus unbefchadet feiner
Eigenart. Sie legen dabei den kritifchen Text der
großen Philoausgabe zugrunde, den fie aber mit wiffen-
fchaftlicher Freiheit behandeln, nicht nur andere Lesarten
bevorzugend, fondern auch durch Conjektur einen befferen
Sinn gewinnend (vgl. z. B. zu De Adr. § 115. 135. De
Joseph. § 7. Vit. Mos. II § 58. 104). Sodann fügen fie
Anmerkungen hinzu, in denen Nachweife über die Quellen,
über das Verhältnis der von Philo benutzten LXX
zum hebräifchen Texte, Parallelen aus Talmud und
Midrafch und bisweilen Hinweife auf entfprechende
Ausfagen des Philo gegeben werden. Diefe Anmerkungen,
die anregen wollen und nicht auf vollftändige Erledigung
der in Betracht kommenden Fragen ausgehen, find durchweg
fachlich gehalten, Verbuche zu tendenziöfen Ableitungen
find vermieden. So bieten fie, ebenfo wie die
kurzen, gut orientierenden Einleitungen zu den einzelnen
Schriften, eine wertvolle Ergänzung der griechifchen Philoausgabe
(vgl. z. B. De. Jos. § 125) und gewähren, ohne
die Überfetzung mit Fachgelehrfamkeit zu belaften, auch
dem Forfcher gute Fingerzeige.

Die überfetzten Schriften find nach fachlichen und
chronologifchen Gefichtspunkten ausgewählt. Die im
erften Bande dargebotenen gewähren einen Einblick in das
Hauptwerk Philos, feinen großen Pentateuchkommentar,
in dem er alle ihm zugängliche Weisheit feiner Zeit zu-
fammenhäuft, um den unüberbietbaren Wert der alr-
teftamentlichen Gottesoffenbarung nachzuweifen. Es find

die Schriften von der Weltfchöpfung (überfetzt von
| J. Cohn), über Abraham, den Weifen, der durch Belehrung
zur Vollkommenheit gelangte, (J. Cohn), Jofeph,
den Staatsmann (L. Cohn), Mofes, den idealen Typus
des Königs, des Gefetzgebers, des Priefters und Propheten
(B. Badt), und über den Dekalog (L. Treitel).
Zutreffend wird in der Einleitung zum Leben des Mofes
I betont, daß diefe Schrift aus dem Rahmen der übrigen
| heraustritt. Sie hat nicht Glaubensgenoffen, fondern
1 Griechen als Lefer im Auge und ift apologetifchen Charakters
, indem fie Israel als das Prieftervolk der Menfchheit
gegen den Vorwurf des Menfchenhaffes fchützen will. Ich
j erinnere dabei an die tüchtige Arbeit Paul Krügers, Philo
undjofephus als Apologeten des Judentums (Leipzig 1906).
Philo zu überfetzen ift fchwer. Er liebt es, in
I langen Perioden fich zu ergehen und an gehobenen Stellen
dem Ausdruck eine poetifche Färbung zu verleihen. Er
i liebt kühne Kompofita, die er gerne felbftändig formt,
j bevorzugt Antithefen, freut fich an Wortfpielen, fucht Affo-
nanzen, kurz, er erweift fich als ein gewandter Stilift,
| der allerdings den Eindruck feiner Darlegungen durch
[ ihre Breite und vielfache Wiederholungen abfehwächt.
I Die Überfetzer haben den Stilcharakter möglichft treu
| bewahrt, die langen Perioden nicht in kurze Sätze
I zerfchnitten, die Zwifchenglieder, wie fie Philo oft ein-
1 fchaltet, an ihrer Stelle belatfien. Sie haben gut daran
'■ getan. Der Eindruck des Originals ift dadurch nicht
verwifcht, und es ift doch ermüdende Schwerfälligkeit
und Verfchränktheit glücklich vermieden. Wie viel
I leichter lieft fich der deutfehe Philo, als z. B. Schleier-
| machers deutfeher Plato. Ich habe über dem Lefen bisweilen
vergehen, daß es fich um eine Überfetzung handele
, am meiften bei der Überfetzung des Lebens Jofephs.
Im einzelnen ließe fich felbftverftändlich manches beffer
faffen. Von der Weltfchöpfung § 82 ift der Menfch, ,der
I viele fternenähnliche Wefen als Bilder in fich trägt',
fchwer vorzuftellen, deutlicher hieße es: ,der die Bilder
vieler fternenartigen Wefen in fich trägt'. Gut wird 8 101
flTjvoetdrjq mit ,fichelförmig' überfetzt, aber § 110 stiqa
ßaOavog wenig zutreffend durch ,andere Art'. Wenn De
Abrah. §99 rpvöixol avÖQtq als Gewährsmänner eingeführt
werden, fo denkt Philo nicht an ,naturkundige Männer',
fondern an Naturdeuter, tpvaioXoyoi. öiaßarriQia ( Vit. Mos.
I § 224 u. ö.) ift wohl beffer mit ,Durchfciireitungsfeft'
j als mit ,Überfchreitungsfeft' zu überfetzen. Recht hölzern
nimmt fich der fein durchgefeilte, rhythmifche Lobpreis
I des Glaubens (De Abrah. § 268) in der Überfetzung
; aus, lebendiger die rhythmifierten Anfprachen im Leben
! des Mofes II § 239. 25j.fi Schwer verftändlich ift der
j Satz: ,Die vernunftlofen Tiere geben einen Übungsttoff
1 für die beiden Lagen der Herrfchaft, den Krieg und den
Frieden' (Vit. Mos. I § 60). lötai De Decal. § 1 bedeutet
doch etwas anderes als ,allgemeine Grundzüge'. Doch
das find Kleinigkeiten.

Die Überfetzung wird eingeführt durch eine gehaltvolle
Charakteriftik des Schrifttums Philos, der reifen
Frucht der Philoftudien Leopold Cohns. Sehr richtig wird
in ihr die ftarke Individualität des alexandrinifchen Juden
betont, der, obwohl er ganz in der Bildung feiner Zeit
fich orientiert, traditionelle Schriftauslegungen berück-
fichtigt und mit innigfter Liebe für die Religion und die
Größe feines Volkes eintritt, nicht als Glied oder als
Stifter einer Schule anzufeilen ift. Wegen der Eigenart
feiner Schriftftellerei fteht er für fich da als der erfte,
der in großem Stile die hellenifche Bildung feinem Volke
zuzueignen und für fein Volk zugleich die Achtung der
Hellenen zu erobern unternimmt. Als der erfte? Ebenbürtige
Nachfolger hat er nicht gefunden, und die palä-
ftinenfifche Gelehrfamkeit ift andere Wege gegangen und
hat feinen Namen mit Stillfchweigen zugedeckt. Das
Verhältnis der entfeheidenden Momente in dem Geiftes-
] leben Philos aber möchte ich etwas abweichend beftimmen.
; Darf man wirklich fagen: ,Philos ganze Denkweife ift mehr