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Ausgabe:

1909 Nr. 6

Spalte:

166-168

Autor/Hrsg.:

Lütgert, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Freiheitspredigt und Schwarmgeister in Korinth. Ein Beitrag zur Charakteristik der Christuspartei 1909

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 6.

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fo fehr in die allgemeine Bekämpfung des Kleinfinns und I Lütgert, Prof. D. W, Freiheitspredigt und Schwarmgeilter in
Kleinmuts eingebettet, daß der letzte Zweck geradezu Korinth. Ein Beitrag zur Charaktenfbk der Chriftus-
verhüllt wäre. Die Hypothefe, die ich aufgeteilt habe, , partei. (Beiträge zur Förderung chrifllicher Theologie.
Aquila und Priska (bez. Priska) feien die Verfaffer, wird Zwölfter Jahrgang 1908. Drittes Heft.) Gütersloh,
fad allen den Punkten auch gerecht, denen Ramfay's (bez. Bertelsmann (iwSl er 8° M

Lewis') Annahme entgegenkommt, und erklärt zugleich,

3-

warum der Verfaffer fo"bald in Vergeffenheit geriet. Um- Lütgert fucht in feinem ,Beitrag zur Förderung chrift-

gekehrt ift es doch fehr auffallend, daß man in Cäfarea licher Theologie' die Thefe durchzuführen, daß es Pau-
zur Zeit des Clemens und Origenes nichts mehr davon j lus in Corinth mit libertiniftifchen Schwarmgeiftern zu
gewußt hat, daß der Hebräerbrief von hier ausgegangen tun gehabt habe, deren Geiftesrichtung und eigenartige
ift! Wie konnte das in Vergeffenheit geraten? Das einzige , Frömmigkeit fich durchaus als eine Wirkung der Chriftus-
Argument, welches R. meiner Hypothefe entgegenhält, partei darftelle. Er ift fich bewußt, die bisher herrfchende
ift der Mangel von Spuren ,of womanly character' in j Auffaffung zu korrigieren, und hält fich daher für ver-
dem Brief. pflichtet feine Unterfuchung in fortlaufender Auseinander-

12. Die wichtigfte Abhandlung in dem Buch ift die fetzung mit feinen Vorgängern zu führen. Vollftändig-
letzte über die lykaonifche Kirche im 4. Jahrhundert, aus- keit in der Vorlegung und Verwertung der Literatur wird
gezeichnet durch die Fülle intereffanter Infchriften, die niemand erwarten, das Fehlen von Namen etwa wie
den Verf. zu Unterfuchungen über die Landfchaft und p. W. Schmiedel und Ph. Bachmann manchen wunder-
ihre kirchliche Organifation und zu Unterfuchungen über nehmen. Im übrigen kommen die anderen Forfcher
die inneren chronologifchen Merkmale der Infchriften, > reichlich und in längeren Zitaten zum Wort,
über Bifchöfe, Presbyter, Ökonomen, Diakoniffen, Laien, Die Arbeit gliedert fich in vier Abfchnittc: 1) Die

Märtyrer, Virgincs, häretifche Sekten, chriftliche Arzte, chriftliche Freiheit nach Paulus 2) die Chriftuspartei in
.Sklaven Gottes', endlich über das Kreuz und andere Corinth 3) die Schwarmgeifter in der corinthifchen Ge-
chriftliche Ornamente veranlaßt haben. So außerordent- meinde 4) die Geltung des Gefetzes nach Paulus. Der
lieh der Reichtum des von Ramfay in langer Arbeit zu- Schwerpunkt liegt auf den beiden mittleren Kapiteln
tage geförderten monumentalen und infehriftlichen Ma- und in ihnen wiederum auf den Partien, welche fich mit
terials ift, fo berechtigt läßt eben diefer aus einer ab- t dem zweiten Corintherbrief und den von diefem vorausgelegenen
Ecke Kleinafiens flammende Reichtum die gefetzten Zuftänden befaffen. Daß der erfte Brief bereits
Klage Cumonts erfcheinen, daß in kirchengefchichtlicher j ganz diefelben Mängel bekämpfe und daß diefe Mängel
Hinficht der Boden Kleinafiens, von einigen Strichen ab- j ein Ausfluß der Wirkfamkeit der Chriftusleute wären,
gefehen, noch immer terra incognita ift. Eben deshalb : läßt fich nicht beweifen, hat wenigftens Lütgert nicht befind
Schlüffe in bezug auf das, was nur lokal und was j wiefen. S. 87—IOI fucht er zwar die Berechtigung darallgemein
in Kleinafien beftand, noch verfrüht, und ver- j zulegen, auch den erften Brief zur Charakteriftik der
früht fcheint es mir auch, die Chronologie der Infchriften corinthifchen Gegner des Apoftels zu verwerten. Aber
nach inneren Merkmalen zu beftimmen; aber das konkrete auch abgefehen von der merkwürdigen Deutung von
und fichere Material, das hier geboten ift, ift doch über- | i.Cor. 1,13: peppttfrar o Xniöxöq; als nicht gegen diePar-
rafchend groß. Man erhält auch hier die herrliche, t teifucht als folche fondern gegen die Chriftusleute gerich-
vonCalder entdeckte Eugenius-Infchrift (338/40) wieder, tet: ift etwa Chriftus geteilt, fo daß man nur einen Teil
die fich mit den wichtigftten altchriftlichen Infchriften von ihm, feinen Geift, für fich in Anfpruch nehmen kann?
meffen kann. Hier flehen die Worte: .. .uez emxn[(i}- j (S. 90 f.) haben diefe Seiten für mich nichts Über-
iaq oxQazsvöccfievov kv 6h zm uexaffr XQ0V<? xtXsvOBmq zeugendes. Ich will nicht beftreiten, daß die Chriftuspartei
fp[o]irrjaäar]q hA M]agtulvov zovq XQ[eiGxiavovq ftveiv 1. Cor. 1, 12 in den Gegnern des zweiten Briefes wieder
yxd ut) axa[X]Xa06eo&ai xi)q GZQazei[aq, stXeiözaq 6h auftaucht, trotzdem mir das nicht fo ficher zu fein fcheint,
oOaq ßaöavov[q) vjcoiieivaq kxl Aioytvovq rjyefiovoq, öjrov- wie vielfach behauptet wird. Aber gegen die Annahme,
6aöaq6h ctjtaXX.ayrjvcu z?jq Gxoaxetaq zr)v xmv XgeiOziavcov daß fich fchon in 1. Cor. das ganze Intereffe des Apoftels
nUsxiv cpvXctGGcov, XQÖvov t[e] ßnayyv 6iazQ£ltpaq tv zy j um die Chriftusleute drehe und das von ihnen angerichtete
Aaoötximv szöXi xcd ßovXrjaei xov xavzoxQctzoQoq Iteov Unheil, muß ich proteftieren. Dazu gibt uns der erfte
imOxojtoq xaxaoxad-Eiq, xai elxoOi xtvze öXoiq ezeGiv zr/v Brief abfolut kein Recht. Er rügt wohl zahlreiche Ge-
EJtiaxo.tijV ueza jroXXijq txizeiuiaq 6ioixr)Gctq xzX. Ferner 1 brechen; daß die Chriftusleute fie verfchuldet, deutet er
mache ich auf zwei novatianifche Infchriften aufmerkfam . mit keiner Silbe an und wird auch von Lütgert lediglich
Lp. 400f.: t[yov](i£Voq xijq ayeiaq [xh] xad-aciäq xov &eov vorausgefetzt. Die Chriftusmänner trifft kein höherer
txxXtjCslaq und — der Urtext ift nicht mitgeteilt —- flu Tadel als die Anhänger des Paulus, Kephas und Apollos,
very pious dcacon oj the Holy Church of God of the nämlich der Vorwurf, mit ihrer Parteifucht den Tempel
Novatians'X Zu den hypfiftarifchen Infchriften bemerkt Gottes zu ruinieren. Von Anfang bis zu Ende durch den
R. (p. 402): ,// is probable that their (der Gregore) dental Brief hin redet der Apoftel mit ,Ihr'und .Euch'die Gemeinde
oftke Christian character 0/ the sect was were/y the result als Ganzes an, und es ift durch Vorurteil erzeugte Will-
of prejudice and illfeeling, and that the Jconian epitaph kür, wenn Lütgert fort und fort konftatiert: die Miß-
is a fairer and safer witness to the character of the Hyp- achtung des Kreuzes und die Überfchätzung der Weis-
sistarüthan themalignant aecount of ecclesiastical enemies'. heit ift ,eine Wirkung der Chriftuspartei' (S 104) der
Aber die Infchrift (p..389f.) fcheint mir für folche Schlüffe ganze Charakter der Gemeinde wird erklärlich' als ,Wir-
eine zu fchwache Balis zu bieten Es gehört zu den kung der Chriftusleute'(S. 117), der Freiheitsgebrauch in
Eigentümlichkeiten der Ramfayfchen Methode, daß er Corinth zeigt den .Einfluß der Chriftuspartei' (S. 119).
mit bohrender Energie und lebhafter Phantafie dem >die Ableitung der Freiheit aus der Gnofis' ift ,eine W.r-
e.nzelnenQuellenzeugn.s fehr viel für die Kirchengefchichte kung der Chriftuspartei' (S. 121), Gleichgültigkeit gegen
abzugewinnen weiß, wahrend ihm die Gefamtlage der moralifche und religiöfe Gefahren ift zuzufchreiben ,dem
gleichzeitigen Entwicklung nicht immer gleich präfent ift Einfluß des Libertinismus der Chriftuspartei' (S. 123), der
oder nicht hinreichend wichtig erfcheint. Er ift daher sexuelle Libertinismus .flammt von der Chriftuspartei her'
geneigt, Befonderheiten anzunehmen und fich dafür auf (S. 127). Das Gleiche gilt von Sklaven- und Frauen-
allerlei lokale .customs' und angebliche oder wirkliche emanzipation (S. 130. 131), von den Unordnungen
,/acts' zu berufen, die von den Kritikern vernachlälfigt beim Herrnmahl (S. 131 —133) und bei den übrigen Ge-
werden, während es fich um unfichere Iraditionen oder meindeverfammlungen, dem Unglauben gegenüber der
um Gleichgültiges handelt. Auferftehungspredigt — alles ift .Wirkung der Chriftus-

Berlin. _, A. Harnack. partei' (S. 135).