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Ausgabe:

1909 Nr. 5

Spalte:

150-154

Autor/Hrsg.:

Wappler, Paul

Titel/Untertitel:

Thomas Münzer und die ‚Zwickauer Propheten‘ 1909

Rezensent:

Bossert, Gustav

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149 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 5. 150

recht forgfältig herausgegeben worden. Allerdings hätte
ein fo bekannter Forfcher wie Paul Joachimfohn nicht
konftant als Joachimfen erfcheinen follen. — Der pileus
magriuszinantonti, ein großer Hut vollZimmet, Empfangs-
präfent eines Apothekers 1473 (S. 24), hat doch nichts
befremdliches; ebenfowenig die janua nbi intronizantur
sponse, vor der in cimiterio sancti Sebaldi Dr. Hieron.
Münzer 1508 begraben wird (S. 90): es ift die noch heut
unter diefem Namen wohlbekannte ,Brauttür' an St.
Sebald. —

Das Werk wird von jedem, der fich mit dem 15. und
16. Jahrhundert befchäftigt, forgfältig beachtet werden
müffen.

Göttingen. Brecht.

Ebftein, Prof. Dr. Wilhelm, Dr. Martin Luthers Krankheiten

und deren Einfluß auf feinen körperlichen und geiftigen
Zuftand. Stuttgart, F. Enke 1908. (64 S.) gr. 8° M. 2 —

Eine Behandlung der Krankheiten des großen Reformators
ift zeitgemäß, trotzdem wir die verdienftvolle
Schrift des Arztes Friedrich Küchenmeifter: Dr. Martin
Luthers Krankengefchichte (1881) befitzen. Nicht nur,
daß die moderne Medizin feitdem gerade auf diefem
Gebiete der phyfifchen Bedingtheit des pfychifchen Lebens
lebhafte Fortfehritte gemacht hat, in der Kriminaliftik die
,Unterfuchung auf den Geifteszufland' beinahe in jedem
größeren, oft auch kleinerem Prozeffe begegnet, das
,Anormale' auf Grund körperlicher Defekte eine Rolle
fpielt wie nie zuvor, die ganz Radikalen die Pfyche einfach
in Materie auflöfen, es hat diefe Gefamtfituation
fchon deutlich auf die Lutherforfchung der Gegenwart
abgefärbt. Adolf Hausrath in feiner Lutherbiographie
betonte fehr ftark, für manche zu ftark, das Pathologifche
an Luther, Denifle und in feinen Bahnen namentlich Grifar
(Literar. Beilage der Köln. Volkszeitung 1904) wandten
es als maßgebenden Faktor zur Erklärung des Abfalles
Luthers vom Kirchenglauben an — man verfteht vollkommen
, daß an Ebftein, den Verfaffer einer .Medizin im
Alten Teftament', ,im Neuen Teftament und Talmud' und
zahlreicher Unterfuchungen zur Krankheitsgefchichte berühmter
Männer, ,einer unterer hervorragendften Hiftoriker
fchrieb, daß er fleh betreffs der Beurteilung Luthers nach
ärztlichem Beifland fehne' (S. 7). Ebftein leiftet diefen
Beiftand in methodifch exakter Ünterfuchung, unter klarer
Formulierung der Probleme. Es handelt fleh darum:
Welche Krankheiten Luthers find feftzuftellen? (fogen.
Anamnefe) Welches find ihre Urfachen, ihre Natur und
ihre Wechselbeziehungen? Welchen Einfluß haben die
Krankheiten auf feinen Körperzuftand gehabt? Welchen
auf fein Geiftesleben? Bei Beantwortung der erften Frage
geht E. flreng hiftorifch vor. Eine hereditäre Beladung
ift nicht feftzuftellen, das bekannte Fieber in Magdeburg
war akut, hinterließ keine nachteiligen Folgen für die
Gefundheir. Welche innere Krankheit er in Erfurt durchmachte
, ift unbekannt. Das Kafteien im Klofter war feiner
Gefundheit fchädlich. ,Er wurde von gefchlechtlichen
Erregungen nicht fehr gepeinigt, je mehr er fich aber
kafteite, um fo mehr traten auch diefe Reizungen hervor.
Dabei bewahrte er aber feine Keufchheit' (S. 10). ,In
diefem Zuftande körperlicher und geiftiger Erfchöpfung
(teilten fich einmal heftige geiftige Erregungszuftände und
ein anderes Mal exzentrifche Gemütsverftimmungen ein,
welche feine Kloftergenoffen zu dem Glauben verführten,
daß er ein Epileptiker oder ein von Dämonen Befeffener
fei'. In der Beurteilung des weiteren Verlaufes der Krankheitsgefchichte
weicht E. wiederholt von Küchenmeifter ab.
Betont wird Luthers einfache Lebensweife, das Ohrenleiden
1541 faßt E. nicht als einen entzündlichen Prozeß
des äußeren Ohres, fondern als ,wahrfcheinlich doppel-
feitige Mittelohrentzündung mit Durchlöcherung des
Trommelfells'; von diefem chronifchen Ohrenleiden rührte
auch die 1543 oft von Luther beklagte .Schwere im Kopf

mit Jäftigem Schwindel' her. Die Zufammenftellung ergibt
, daß ,Luther während eines großen Teils feines
Lebens ein von körperlichen Leiden fchwer heimgefuchter
Mann wai' (S. 37). Er felbft hat um feine Leiden fehr
wohl gewußt und befchreibt fie kraft eines fcharfen Beobachtungsvermögens
; für Infektionskrankheiten war er
offenbar wenig disponiert. Als Grundfaktor für die
mannigfachen Leiden konftatiert E. ,harnfaure Diathefe1 —
Gicht, und wir werden dem gerade auf diefem Gebiete
erprobten Forfcher glauben müffen, wenn er ,das gefamte
Weh und Ach' (S. 47) hier als Folgeerfcheinungen unterbringt
. Von hier aus auch erklärt fich der Einfluß feiner
Krankheiten auf feinen Körperzuftand. .Fettleibigkeit und
harnfaure Diathefe vergefellfchaften fich häufig mit einander
' (S. 49), doch ift (gegen Küchenmeifter) von Altersmarasmus
nicht zu reden, aber fein Herz war affiziert,
wäre das nicht der Fall gewefen, fo hätte er noch lange
leben können (S. 53). Aber nun die wichtigfte Frage:
wie haben die Krankheiten auf fein Geiftesleben gewirkt?
E. Hellt an die Spitze den Satz: ,Die Macht feines Genius
ftrahlt in nur noch höherem und erfcheint in einem noch
glänzenderen Lichte, wenn man ins Auge faßt, welch
körperliches Leid und wie große Anfechtungen aller Art
fich ihm entgegengeftellt haben'. Von einer krankhaften
Kampfesweife ift (gegen Küchenmeifter) keine Rede. Hätte
Luther ferner unter dem Einfluß feiner Krankheiten den
Stimmungen melancholifcher und weltfchmerzlicher Natur
Folge gegeben, ,fo wäre fein Werk gefcheitert' (S. 54f.).
Seine geiftige Arbeit ift nicht durch feine Krankheit
beeinträchtigt worden, mochten auch nervöfe Störungen,
Hypochondrie u. a. zeitweilig ftören. Ein Flpileptiker oder
gar, wie auch gefagt worden ift, Verrückter war er nicht.
,Er ift feiner krankhaften Stimmung durch die Kraft feines
Willens und feiner nie vertagenden Energie ftets Herr
geworden und ift bis an feines Lebens Ende Sieger in
einem Kampfe geblieben, den auszufechten die denkbar
größte geiftige Widerftandskraft erforderte'.

Daß uns das von medizinifcher Seite gefagt wird,
ift fehr wertvoll. Man wird Luther nicht mehr unter die
,Anormalen' rechnen dürfen und auch bei der Wertung
des Pathologifchen in der Klofterzeit zurückhaltend fein
müffen. Die Richtigkeit der Diagnofe für Luthers zahlreiche
Leiden vermag nur der Mediziner zu prüfen, follte
fie falfch fein, fo ändert das am Gefamtergebnis nichts.
Luthers Krankheitsgefchichte gehört ganz auf die
Peripherie feiner Perfönlichkeit. Stellen wir einmal
die verfchiedenen Krankheiten zufammen: Steinleiden,
Verftopfung, Hämorrhoiden, Mittelohrkatarrh bis zur
Taubheit, Schienbeinleiden, Magenbefchwerden, Herz-
fchwäche, Dyfenterie, Altersftar auf einem Auge, Gicht —
welch ein Jammerlappen'!, möchte man rufen. Aber welch
ein Prachtkerl ift er wirklich gewefen! So zeigt die
FLfche Schrift in glänzender Weife die Überlegenheit des
Geiftes über die Materie. — Zu S. 39 Anm. 1. Der von
E. bei Enders vermißte Brief fleht FkA. 54, Nr. 297; Enders
wies ausdrücklich Bd. 7 Nr. 1548 darauf hin.

Gießen. W.Köhler.

Wappler, Oberlehr. Dr. Paul, Thomas Münzer und die
,Zwickauer Propheten'. Wiffenfchaftliche Beilage zu
dem Jahresberichte des Realgymnafiums mit Real-
fchule zu Zwickau. Oftern 1908. (43 S.) 40

— Inquilition und Ketzerprozefle in Zwickau zur Reformationszeit
. Dargeftellt im Zufammenhang mit der Entwicklung
der Anflehten Luthers und Melanchthons über
Glaubens- und Gewiffensfreiheit. Leipzig, M. Heinfius
Nachf. 1908. (IV, 219 S.) gr. 8° M. 5.60

Das in den letzten Jahrzehnten fleißig angebaute Feld
der Zwickauer Reformationsgefchichte, welches dank dem
Ratsarchiv und der Ratsfchulbibliothek für die deutfehe