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Ausgabe:

1909

Spalte:

147-149

Autor/Hrsg.:

Stauber, Richard

Titel/Untertitel:

Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur 1909

Rezensent:

Brecht, Walther

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147

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 5.

Ut Eva. Dicuntur vulgo sapientes mulicrcs. Occidanlur.
(W. A. 16, 551). 1529 hat er die erfte Exkommunikation
an Hexen vollzogen, und wenn O. etwa betonen wollte,
daß das keine ,maßgebenden' Urteile feien, fo hat
Paulus (Hift.-pol. Blätter Bd. 140, 20ff.) die Wirkung der
Lutherfchen Anfchauung auf die Zeitgenoffen fehr deutlich
illuftriert. Und ift mit dem Hinweis auf das vom
Mittelalter überkommene Material das Verbleiben der
Reformatoren im Hexenwahne erklärt? Was haben fie
doch anderweitig aus diefem Material zu fchaffen ver-
ftanden! Warum gerade hier nicht? O. ahnt das Richtige,
wenn er betont, daß die Lutherfche Reformation reli-
giöfe Bewegung war. Das hätte er erläutern müffen,
und hier wäre vortreffliche Gelegenheit gewefen, zu
zeigen, daß Tröltfch recht hatte, den Rahmen der
Lutherfchen Weltanfchauung mittelalterlich zu laffen. Ob
fich in puncto Hexenwahn ein prinzipieller Unterfchied
zwifchen Katholiken und Proteftanten des 16. Jhs. finden
läßt?! Wohl fchwerlich, es fei denn, daß man die Frage
auf das allgemeinere Gebiet des Ketzerprozeffes fpielen
will. Daß diefe aus Überzeugung, jene aus Geldgier die
Hexen verdammten, glaube, wer mag! Dafür hat O. nicht
einen Beweis beigebracht.

Ich breche ab, möchte aber nicht unterlaffen, O. auf
den Auffatz von A. M. Königer: ,Die Kirche und der
Hexenwahn' (Liter. Beilage z. Köln. Volkszeitung 1907
Nr. 31) hinzuweifen. Hier hätte er lernen können, wie
man das Thema ruhig, kritifch und leidenfchaftslos behandeln
kann. In wiffenfchaftlichen Fragen muß die
Konfeffion aus dem Spiele bleiben.

Gießen. W. Köhler.

Stauber, Dr. Richard, Die Schedelfche Bibliothek. Ein Beitrag
zur Gefchichte der Ausbreitung der italienifchen
Renaiffance, des deutfchen Humanismus und der
medizinifchen Literatur. Nach dem Tode des Verfaffers
herausgegeben von Hof- u. Staatsbibl.-Affift. Dr. Otto
Hartig. (Studien und Darftellungen aus dem Gebiete
der Gefchichte. Herausgegeben von H. Grauert.
VI. Band, 2. und 3. Heft.) Freiburg i. B., Herder 1908.
(XVI, 277 S.) gr. 8° M. 8 —

Der große Wert, den die genaue Kenntnis hervorragender
Bibliotheken der Vergangenheit für die Geiftes-
gefchichte befitzt, ift jetzt wohl allgemein anerkannt.
Das Hauptbeifpiel für den Humanismus war bisher die
Bibliothek des Beatus Rhenanus, die uns Knod fo vortrefflich
befchrieben hat. Sie wird an Bedeutung noch
übertroffen durch die Schedel'fche, deren Entftehung und
Zufammenfetzung jetzt Richard Stauber, ein frühverftor-
bener Schüler Grauert's, im Anfchluß an die von ihm
vielfach revidierten Lebensläufe ihrer Begründer darftellt.

Den Grundftock zu der Bibliothek hat Dr. Hermann
Schedel gelegt, der von feiner frühen Leipziger Studienzeit
(1439) an bis zu feinem 1485 erfolgten Tode in
Italien und Deutfchland weit überwiegend Handfchriften,
humaniftifche und medizinifche, großenteils eigenhändig
kopiert, gefammelt hat. Diefe Sammlung hat, neben
feiner Praxis fein Vetter (nicht Neffe, wie bisher meift
angenommen) Dr. Hartmann Schedel geerbt, der Verf. der
Weltchronik, des berühmten Infchriftenwerkes nach Ciriaco
d'Ancona und der, bisher unbeachteten, ,Laus etpreconium
nobilissime Germanie' (S. 94; Clm 716, fol. 311—326).
Er hat 59 Dubletten verkauft, dann aber durch bei-
fpiellos unermüdliches und zielbewußtes Sammeln namentlich
von Drucken aus den verfchiedenften Gebieten eine
Bibliothek von 623 Werken (645 Bänden) zufammenge-
bracht, mit die größte frühhumaniftifche Bücherfammlung.

Von feinem Enkel Melchior Schedel kaufte im Jahre
1552 Hans Jakob Fugger von Augsburg die Bibliothek
um 500Gulden,und als einen Beftand teil derFugger'-

fchen Bibliothek erwarb fie Herzog Albrecht V von
Bayern. Schon damals wird die Schedel'fche Bücherfammlung
nicht mehr vollftändig gewefen fein, fpätere
Dublettenverkäufe haben fie weiter reduziert: fo ift das,
was die Kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München aus
der ehemaligen Schedeliana aufbewahrt, etwas mehr als
die Hälfte.

Dies zu konftatieren ermöglicht ein erhaltener hand-
fchriftlicher Katalog Hartmann Schedel's aus den Jahren
nach 1498 und von 1507 (Münchener Clm 263). Stauber
druckt ihn im Zweiten Kapitel ab, nachdem er im Erffen
die Gefchichte der Bibliothek gegeben, und ftellt im
Dritten feft, was von dem ehemaligen Beftande jetzt
noch in München, Nürnberg (Stadtbibl.), Maihingen
(Fürftl. Öttingen-Wallerfteinfche Bibl.), Hamburg (Stadtbibl
.), Augsburg (Staats-, Kreis- und Stadtbibl.), Bamberg
(K. Bibl.), Berlin (K. Bibl.) und Caffel (Ständ. Landesbibl.)
vorhanden ift, überall die einzelnen Titel forgfältig verifizierend
.

Was man da zu fehen bekommt, ift imponierend.
Was hat der bienenfleißige und verblüffend findige Bibliophile
, der eigentlich ein gefuchter Arzt war, nicht alles
gefammelt: Grammatik, Logik, Rhetorik; Aftronomie,
Aftrologie (vom Mediziner gefchätzt), Mathematik, Mufik
(nur Guido von Arezzo und Hugo von Reutlingen),
Natur- und Moralphilofophie, Alchymie, sacri Codices
Iiistorie sanete theologice veritatis (146 Nummern), Ora-
tionalia, libri Juris (nur 24), libri vulgares in lingua
theotonica — gerade 18! deutfehe Bibel, Schwank- und
Heldenbücher, Boccaccio, Mandeville, Schatzbehalter,
Wyl's Translationen, Sachfenfpiegel, Narrenfchiff u. a.,
ganz überwiegend Profa; außerdem Hans Folz und in
einer lat. Sammelhandfchrift Clm 237 einen pauper Hein-
ricus und einen Eridanctes. Vor allem aber medizinifche
Werke und In arte humanitatis libri, Poetae et Oratores
(= Dichter und nichterzählende Profaiker), Historici Grcci,
Latini veteres (beide in befonderer Vollftändigkeit) und
Modcrniores, Cosmographi et Geographi. Hartmann hat
Dante befeffen, Petrarca und Boccaccio, Salutato und
Leon. Aretino, Poggio, Bonif. Bembo, Valla, Guarino, Enea
Silvio, L. B. Alberti, Gasparino da Barzizza, Pomponio
Leto, Marfilio Ficino (er war ftark intereffierter Neuplato-
niker), Angelo Poliziano, Codrus Urceus, Phil. Beroaldus,
Baptifta Mantuanus, Fauftus Andrelinus, Giov. Pico della
Mirandola. Er hat Savanarola-Literatur methodifch
gefammelt und fich für die Renaiffancepäpfte intereffiert.
Schriften Albrecht's von Eyb, Gregor Heimburg's
und feines Kreifes hatte fchon der alte Hermann Sch.
erworben, Hartmann fügt Werke von Peter Luder, Paulus
Niavis, Ludwig Dringenberg, Heinrich Grieninger, Jakob
Locher Philomufus, Bebel, Wimpheling, Geiler, Aefticam-
pian, Murmellius, Wimpina, Mellerftadt, Herrn, v. d. Bufchc,
Jof. Grünbeck, Chriftoph Scheurll, Peutinger, Reuchlin
und Erasmus (nur die Adagia), vor allem aber von feinem
Freunde Celtis hinzu. Literatur über den Kölner Domini-
kanerftreit hat er wahrfcheinlich in reicher Fülle befeffen;
nachweisbar find leider nur die bekannten Schriften Victor'.s
von Carben und Pfefferkorns. Bei Hartmann tritt der
Humanift weit ftärker hervor als bei Hermann; trotzdem
zeigen auch die von ihm der Bibliothek zugefügten Be-
ftandteile jene für die Frühzeit fo bezeichnende Mifchung
humaniftifcher und fcholaftifcher Literatur: Todfeinde
flehen ruhig nebeneinander. Hartmann's Latein ift ebenfalls
noch ftark mittelalterlich gefärbt. Daß Hermann
wie Hartmann Sch. Geifter zweiten Ranges gewefen find,
dafür werden wir nur dankbar fein: durchfehnittliche
Kulturrepräfentanten pflegen die vielfeitigften und darum
hiftorifch inftruktivften Bibliotheken zu hinterlaffen.

Von den 18 Anlagen des reichhaltigen Werkes verdient
Grauert's Exkurs über Hartmann Schedel's Anteil am
Behaim'fchen Globus befonders hervorgehoben zu werden.

Das Ergebnis mühfamfter Arbeit des verftorbenen
Verfaffers ift von feinem FVeunde Otto Hartig im Ganzen