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Ausgabe:

1909 Nr. 4

Spalte:

123-125

Autor/Hrsg.:

Rott, Hans

Titel/Untertitel:

Kleinasiatische Denkmäler aus Pisidien, Pamphylien, Kappadokien und Lykien 1909

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 4.

124

Rott, Hans, Kleinafiatifche Denkmäler aus Pilidien, Pamphy-
lien, Kappadokien und Lykien. Darftellender Teil. Nebft
Beiträgen von Dr. K. Michel, L. Mefferfchmidt
und Dr. W. Weber. Mit 6 Tafeln, 130 Abbildungen
im Text und einer archäologifchen Karte von Klein-
afien. Mit Unterftützung der Cunitz-Stiftung in Straßburg
. (Studien über chriftliche Denkmäler. Herausgegeben
von Johannes Ficker. Fünftes und fechftes
Heft.) Leipzig, Dieterich'fche Verlagsbuchhandlung
1908. (XIV, 393 S.) gr. 8» M. 25-

Mit einem Gefühl der Erleichterung fchließt man
die Lektüre diefes umfangreichen Werkes, nicht fofern
es fchwerfällig gefchrieben und ermüdend zu lefen wäre
— im Gegenteil, der Verfaffer ift ein brillanter Stilift —
oder fofern es inhaltlich wenig bedeutfam und fachlich
nicht intereffant wäre — im Gegenteil, für den archäologifchen
Fachmann wie für den Hiftoriker und den
Gebildeten im weiteften Sinn ift das Buch voll der
intereffanteften Mitteilungen —, wohl aber fofern man
aufatmet von einem gewiffen Druck, der mit wachfender
Beharrlichkeit fich auf die Seele legt angefichts der mitunter
bitterften Strapazen, Entbehrungen, Mühfeligkeiten
und Gefahren, unter denen Rott und fein Reifegefährte
K. Michel zu leiden hatten, und fofern man zum Schluß
froh ift, fie aus allen Fährlichkeiten gerettet zu wiffen.
Rott bemerkt zwar einmal nebenbei (S. 316, Anm. 1),
die Schilderung folcher Erlebniffe wie jener drei langen
bangen Tage, wo fie, heben Menfchen, vier Pferde und
zwei Efel, nach einem fchweren Gewitter mit folgendem
Hochwaffer in einer einzigen kleinen Lehmhütte zu-
fammengepfercht lagen, im qualmenden Rauch des
Kamins und von fchrecklichem Dürft geplagt, da alles
Waffer ungenießbar war und bald die Folgen des
fchmutzigen Flußwaffers verfpürt wurden, während des
Nachts die Kühe, Schafe und Ziegen zu den Läden und
gar zum Schornftein ihres angeftammten Heims hineinbrüllten
und fchließlich fich auch die Lehmdecke in
Wohlgefallen auflöfte, hätte für die, welche nicht
gleiches im Herzen Kleinafiens erduldet, keinen Zweck,
für die wenigen ,Wiffenden' feien fie allein verftändlich,
für fie aber überflüffig. Gleichwohl bleibt auch für den
nur einigermaßen aufmerkfamen ,Nichtwiffenden' fo viel
des Entbehrungs-, Mühe- und Gefahrvollen zwifchen den
Zeilen zu lefen und aus kurzen, aber vielfagenden Worten
und Wendungen zu ahnen, daß auch er ein volles, tiefes
Verftändnis hat für den eminenten Aufwand an Energie,
Ausdauer, Rückfichtslofigkeit gegen fich felbft und Opfer-
finn für die Wiffenfchaft, der erforderlich war, um
diefer die reichen Schätze zu bergen, welche Rott und
Michel mitgebracht haben. Man verlieht es aber auch,
wenn Rott, nachdem er, verlockt durch die Ausficht, an
tiefer Felswand eine, wie ihm von phantafievollen Türken
gefagt wurde, merkwürdige Infchrift zu finden, fich tollkühn
in den fchaurigen Abgrund am Kydnos hinabgewagt
, die letzten 15 m am Strick, jeden Augenblick in
Gefahr, hier für immer begraben zu werden, während der
Regen beftändig niederraufchte, um nichts anzutreffen,
,als müßiges, unverftändliches Gekritzel, das vor Hunderten
von Jahren eine Hand in die Felswand gefchrieben,
als die Höhle noch von oben her zugänglich war', wenn
Rott hier mit ernftem Humor hinzufügt: ,Als ich am
Seil wieder über dem Abgrund fchwebte und kaum in
der Umfchlingung Atem gewann, da fchwur ich allen
Oreaden, der allein feligmachenden deutfchen Gründlichkeit
in Punkto Wiffenfchaft fürderhin in folchen Fällen
eine Nafe zu drehen' (294). Daß von den nicht durch
die Natur, fondern durch die Menfchen Anatoliens bereiteten
Schwierigkeiten, Hemmungen und Unannehmlichkeiten
weniges den Griechen und verhältnismäßig das
wenigfte den Türken zur Laft fällt, dagegen fehr viel den
Armeniern, von denen Rott nur Unangenehmes zu berichten
weiß (156. 158. 180. 182. 200 f.), wird vielen nicht
erfreulich zu lefen fein.

Was nun die beiden jungen Gelehrten trotz aller
Hinderniffe und trotz der Kürze der Zeit fowie trotz
ihrer verhältnismäßig befcheidenen Mittel, um deren
Befchaffung und Bewilligung, vor allem feitens der
Straßburger Cunitz-Stiftung, namentlich Profeffor Ficker
in Straßburg fich die höchften Verdienfte erworben, an
Ergebniffen ihrer Studienreife der Wiffenfchaft darzubieten
vermögen, kann nur mit höchfter Anerkennung
und vollem Dank aufgenommen werden. Rott's Doppelheft
, das den darfteilenden uud befchreibenden Teil
gibt, bildet mit der durch Michel zu ergänzenden fyfte-
matifchen und hiftorifchen Bearbeitung der Ergebniffe
einen erftklaffigen Beitrag zu der großen Aufgabe: Er-
fchließung des chriftlichen Orients für die chriftliche
Archäologie. Faft fcheint der Reichtum des Mitgeteilten
fowohl hinfichtlich des Textes wie insbefondere hinficht-
lich der vorzüglichen, ungemein fcharfen und willkommenen
Abbildungen von Fresken, Skulpturen, Grundriffen
und Architekturen den fchlichten Rahmen der
,Studien' zu fprengen. Aber der Verleger hat in bezug
auf Ausftattung, Papier, Druck und Reproduktion alles
getan, um das Gebotene zur beftmöglichen Wirkung
kommen zu laffen. Auf der ganz vorzüglichen Karte,
die von Dr.W. Rüge und Dr. E. Friedrich bearbeitet
und in dem Geographifchen Inftitut G. Sternkopf zu
Leipzig ausgeführt ift, läßt fich die von Michel und
Rott eingefchlagene und auf chriftliche Denkmäler
durchforfchte Route trefflichft verfolgen. Die Reife
des Frühjahrs 1906 (April bis Juni) führte durch Pifidien
und Pamphylien (S. 1—74), die Herbftreife des gleichen
Jahres (September bis Dezember) durch Kappadokien
und Lykien nebft Rhodos (74—346). Mancher aus der
alten Kirchengefchichte dem Namen nach bekannte oder
berühmte Ort konnte, teilweife abweichend von älteren
Forfchern, identifiziert (z. B. Findos = Bindos S. 13;
Kedfchiborlu = Eudoxiopolis S. 81; Suwafa = Sobefon
S. 254; Nazianz S. 281), manches in früheren Reifewerken
genannte oder befchriebene und dargeftellte, aber ungenügend
oder entftellt wiedergegebene Monument genau
aufgenommen, manches gänzlich neu entdeckt und
erfchloffen werden. In jener Beziehung hat fich für
zahlreiche Denkmäler namentlich die unglaubliche, geradezu
vernichtende Unzuverläffigkeit und Leichtfertigkeit
der Aufnahmen Texier's ergeben, die z. T. in die
neueften Handbücher gelangten (cf. S. 2iof. 2321. 299.
310f. 325. 33°- 334- 339); aber auch die Gfterreicher
Heberdey und Wilhelm müffen fich fagen laffen, daß
fich von ihnen verzeichnete Kirchenruinen als Badeanlagen
entpuppten (61. 68). Unter den erftmals bekannt
gemachten Denkmälern ragt, außer vielen alt- und
mittelbyzantinifchen Infchriften, denen fich zwei hettiti-
fche beigefeilen (über diefe f. Bemerkungen zu den
hettitifchenInfchriftenvonL.Mefferfchmidt,S. 175—17 s;
über jene, 1IO von Rott und Michel nebenbei kopierte
Nummern, den anhangsweife beigegebeneia Abfchnitt von
W. Weber, S. 347 ff.), befonders die große Zahl der
Höhlenkirchen hervor, die fowohl baulich als durch
ihren fehr ausgedehnten Freskenfchmuck das größte
Intereffe beanfpruchen. Sie und die mannigfachen
kleineren und großen kirchlichen Baudenkmäler, die, wie
die übrigen Denkmäler, die Zeit etwa vom 5. bis zum
13. Jahrhundert umfaffen, werden nach ihrer gefchicht-
lichen Bedeutung und Stellung erft in Michel's Bearbeitung
ihr volles Licht erhalten. Rott hat nur hie und
da bereits die kunffgefchichtlich-archäologifchen Brücken
vom Offen nach dem Werten angedeutet. Letzterer hat
feine Sache vortrefflich gemacht; wir find gewiß, daß
Michel die feine ebenfo vortrefflich machen wird: wir
fehen feiner Arbeit, die die kunftgefchichtlich fo wertvollen
Schätze erft recht fruchtbar machen wird, mit
höchftem Intereffe entgegen. Das Doppelwerk wird aber