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Ausgabe:

1909 Nr. 4

Spalte:

104-107

Autor/Hrsg.:

Seeberg, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Didache des Judentums und der Urchristenheit 1909

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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103 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 4. 104

nichts Hinderliches entgegen. Dafür, daß die Wege bereits
vorchriftich-jüdifch waren, führt er zunächft noch
einiges beftätigende Material zur Ergänzung an: Im
pfeudophokylideifchen Gedicht lehnen fich die vv. 3—24
eng an die Wege an. Schon die jüdifchen Wege verknüpften
Dekalog mit goldener Regel. Jefus hat die
Wege gekannt, er hat fie, vom Grundprinzip der Liebe
ausgehend, ausgelegt und zurechtgeftellt, hat die Liebesforderung
aus der Reihe aller übrigen herausgehoben
und fie als Zufammenfaffung des göttlichen Willens hin-
geftellt. Nach Mt. 21, 32 hat bereits der Täufer die
Wege gekannt. Die Chriften haben nicht einfach die
jüdifchen Wege übernommen, fondern die Wege, wie fie
Jefus lehrte, tag ev XgiOxm I Kor. 4,17.

Kap. III: Die Speifegebote der chriftlichen Wege
im 2. Jahrh. Der Schluß der Did. enthält eine fehr
kurze Anweifung über die Speifegebote. Es wird darin
viel freigegeben und nur das Götzenopferfleifch wird
unbedingt verboten. Aber die knappe Faffung der Did.
ift eine Verkürzung eines vollftändigeren urfprünglichen
Stoffes. Die jüdifchen Wege hatten auch Speifeverbote,
und diefe treten in chriftlichen Schriften des 2. Jahrh.
vollfländiger zutage als in der Did. Die Stellen Clem.
Horn. 7,4. 8; 8,19, Recog. 4,36 bezeugen für die Juden-
chriften die Enthaltung von eIöojXoO-vxov, alfia, jcvixxov,
VExgöv, &t]QiaXcoTov und (aber nur an einer Stelle) von
Xfirjxöv. Der Genuß der verbotenen Speifen bringt in
befleckende Berührung mit den Dämonen. Bekannte
Stellen (Lugd. Märt, bei Euf. V I, Tert. Apol. 9 u. a, m.)
bezeugen, daß ein großer Teil der Chriftenheit des
2. Jahrh. in den Wegen eine Reihe von Speifeverboten
tradierte. Letzte Quelle diefer aus dem Judentum übernommenen
Verbote ift Lev. 17. Die Chriften des 2. Jahrh.
zeigen den Speifeverboten gegenüber eine merkwürdige
Freiheit: Die Judenchriften beobachteten fehr viel, und
von da ging eine abgeftufte Reihe bis zu denen hinüber,
die gar nichts beobachteten. Den Differenzen gegenüber,
die in der Beobachtung der Speifegebote der Wege
herrfchten, ift Did. 6,3 gefprochen, das auf eine längere
Aufzählung verbotener Speifen in den Wegen hinblickt
und die freien wie die gebundenen Chriften fchont.

In Kap. IV, Die Speifeverbote im 1. Jahrh., behandelt
S. nur eine Stelle, das lukanifche Apofteldekret
Apgfch. 15,20. 29; 21,25. Die Speifeverbote, die bei
den Chriften des 2. Jahrh. zu erkennen find, flammen
nicht aus dem Apolteldekret, fondern unmittelbar aus
dem Judentum. Da im 2. Jahrh. eine weitgehende, über-
rafchende Nichtbeachtung des Dekrets befteht, kann es
nicht vorbildlich und normierend eingewirkt haben, fondern
es tritt felber in eine Reihe mit der Aufzählung
der Verbote bei Tert. und den Clementinen. Die Unzucht
ift zu den verbotenen Speifen hinzugefügt, weil
auch fie in befleckende Berührung mit den Dämonen
bringt. Auch find Spuren vorhanden, daß nicht erft
Lukas die Unzucht mit den Speifeverboten zufammen-
gebracht hat, fondern daß fchon vorher eine Geftalt der
Wege vorhanden war, die Hurerei und verbotene Speifen
verband: Apok. 2,14t. 20 und die bei Paulus öfters vorkommende
Verbindung von Unzuchtsfünden und Götzen-
dienft. Das Apofteldekret flammt demnach aus den
Wegen, es bringt nicht die noachifchen Gebote. Es ift
nicht hiftorifch in dem Sinne, daß es wirklich von den
Apofteln erlaffen wurde. Die Evangelien beweifen, daß
die Apofiel, auf die ja der Bericht der Evangelien zurückgeht
, den Unterfchied von reiner und unreiner Speife
verworfen haben, auch andre Stellen des A. T. (Paulusbriefe
, Hebr., I. Tim.....) zeigen, daß das Dekret

nicht von den Apofteln herrührt. (Refch's Verfuch, den
weltlichen Text für urfprünglich zu erklären, weift S.
mit Recht ab.)

Kap. V: Das gefchichtliche Apofteldekret. Die Vor-
fchriften, die wirklich von den Apofteln zu Jerufalem
erlaffen wurden, beftimmten nur: die bekehrten Heiden

find nicht zur Befchneidung und Gefetzesbeobachtung
zu zwingen, von Unzucht und Götzenopfer, diefen eingewurzelten
Sünden des Heidentums, haben fie fich zu
enthalten. Dabei wird das Effen von Opferfleifch bei
privaten Mahlzeiten, wie Paulus zeigt, erlaubt gewefen
fein. Das echte Dekret verbot Hurerei und Götzenopfer;
Judenchriften, in deren Wegen neben diefen zwei Stücken
auch das Verbot unreiner, Speife ftand, dachten, auch
diefe müffe von den Apofteln unterlagt worden fein,
und Hellten folche Verbote ins Dekret ein. So entftand
die Form des Dekrets, die Lukas bietet, der ein juden-
chriftliches Referat übernahm. Die goldene Regel ift
ein fpäterer Zufatz, und ob nun bei Lukas xal xvixxmv
urfprünglich ift oder nicht — er hat für jeden Fall in
Übereinftimmung mit feiner Quelle nicht an ethifche,
fondern an ritualgefetzliche Vorfchriften gedacht. Die
Urfache für die Entfcheidung der Apoftel zugunften der
freien antiochenifchen Praxis liegt in der Geiftesbegabung,
die fie bei dem unbefchnittenen Heidenchriften Titus fahen.
Die Erkenntnis, daß auch die Heidenchriften den Geift
haben, liegt dem hiftorifchen Apofteldekret zugrunde.
Schon die Männer von Cypern und Cyrene (Apgfch. 11, 20 f.)
müffen gewußt haben, daß auch bekehrte Heiden das
Pneuma bekommen, und der Ausgang der Cornelius-
gefchichte (Apgfch. 10, 44 fr.) wird die grundfätzliche
Trennung der neuen Religion vom Judentum bedeuten.
Petrus wird auf der Apoftelzufammenkunft fo gefprochen
haben, wie ihn die Apoftelgefchichte reden läßt.

In den drei erften Kapiteln des Buches ift mancherlei
in den Einzelheiten (z. B. Jefus und die Wege; die Wege
bei Paulus) auszufetzen. In den Hauptfachen möchte
ich S. beiftimmen. Er hat fchon in feinen früheren Veröffentlichungen
, die aber viel mehr als die vorliegende
mit unhaltbaren, kühnen Kombinationen vollgefteckt find,
Wertvolles und Bleibendes zutage gefördert. Die vor-
chriftlichen jüdifchen Wege und ihren unmittelbaren Einfluß
auf chriftliche Sitte und Lehre, ihre Herübernahme
in chriftliche Überlieferung hat er nachgewiefen.

Viel fragwürdiger find die Aufhellungen der beiden
letzten Kapitel. Zwar daß auf das Apofteldekret die
Wege und nicht die noachifchen Gebote eingewirkt
haben, halte ich für einen wertvollen Nachweis. Die
Anfchauung aber von den gefetzesfreien Apofteln und
die Konftruktion der chriftlichen Urgefchichte ift aus
Paulus und auch aus der Apoftelgefchichte leicht zu
widerlegen. Die ganze Gefchichte des älteften Chriften-
tums wird unverftändlich, wenn man S.s Anfchauungen
annimmt.

Einen kuriofen, mir fchwer verftändlichen Lapfus
möchte ich zum Schluß nicht unerwähnt laffen. S. nennt
Bernays, den er öfters anzuführen hat, immer Bernay.

Wien. Rudolf Knopf.

Seeberg, Prof. D. Alfred, Die Didache des Judentums und

der Urchriltenheit. Leipzig, A. Deichert Nachf. 1908.
(VI, 122 S.) gr. 8° M. 3.50

Auch in diefer Veröffentlichung dringt S. auf Wegen
weiter vor, die er bereits in feinen früheren Unterfuchungen
eingefchlagen hat. Es handelt fich wieder um den Tra-
ditionsftoff, der im Judentum den Profelyten und den
Heranwachfenden eingeprägt wurde, und der von dem
jungen Chriftentum dem Judentum entlehnt wurde. Zu
dem fchon von ihm nachgewiefenen Lehrftoff der ,Wege'
fügt er jetzt noch zwei andere Stücke, fo daß die ge-
famte Lehrtradition, die ,Didache' dreigliedrig wird. Die
beiden hinzukommenden Stücke find eine Gotteslehre
und ein eschatologifches Lehrftück.

Mit der Gotteslehre befchäftigt fich S. im zweiten
Kapitel. Er weift nach, daß die angehenden Profelyten
in der Gotteslehre unterwiefen wurden und zwar in Verbindung
mit der Belehrung über die Wege, und er verflicht
dann, aus Stellen jüdifcher und chriftlicher Über-