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Ausgabe:

1909 Nr. 3

Spalte:

88-90

Autor/Hrsg.:

Froehlich, Jos. Ans.

Titel/Untertitel:

Freiheit und Notwendigkeit als Elemente einer einheitlichen Weltanschauung 1909

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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87 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 3. 88

des Bewußtfeins feiner Gotteskindfchaft und feiner demütigen
Hingabe an den Willen des Vaters bewährt fich
Chriftus in der Verfuchung. Dementfprechend die Aufgabe
des Menfchen, durch willige und vertrauensvolle
Untergebung unter die ihm gewiefenen Schranken Gott
zu verherrlichen, im Gegenfatz zu dem Streben nach
abfoluter Vollkommenheit. Zentrale Bedeutung hat für
den Verfaffer die Frage nach der Vereinigung der per-
fönlichen religiöfen Abfolutheit mit der äußeren durch
Natur und Gefchichte gegebenen Bedingtheit.

Im vierten Band handelt T. von der chriftlichen Freiheit
, d. h. der Beziehung des Chriftentums zu allen aus
Natur und Gefchichte erwachfenden Fragen des Lebens.
Denn die religiös freie Perfönlichkeit bekundet fich im
fittlichen Verhalten. Sie weiß hier ebenfo einen falfchen
Asketismus, wie einen morallofen Äfthetizismus zu vermeiden
, denn die abfolute Gottesliebe wird die Kraft
der Liebe zu den Menfchen, und verbindet die Religion
mit dem Leben in der Gemeinfchaft, ohne daß doch die
fozialen Aufgaben die ganze geiftige Kraft des Menfchen
in Anfpruch nehmen dürfen. Es gilt aber, ,die geiftige
Religion von der fymbolifchen Hülle zu befreien und fie
im lebendigen Leben Wurzel faffen zu laffen'. ,Nur in
der Sphäre der perfönlichen Religion' verwirklicht fich
das Prinzip der Freiheit'. T. fchildert zunächft die Typen
des religiös-fittlichen Lebens an der Hand der hervorragenden
Erzeugniffe der ruffifchen Literatur: der vor-
züglichfte Typus jener, in dem das göttliche Prinzip in
innerlicher und freier Weife auch die Peripherie und die
Formen des ganzen menfchlichen Dafeins durchdringt,
wo ein auf das Himmlifche gerichteter Sinn mit Erfchloffen-
heit für alles Irdifche verbunden ift, himmlifche und fo
zu fagen irdifche Liebe waltet. In dem Alefcha in Dofto-
jevskijs ,Die Brüder Karamazov' fieht er diefen Typus
gezeichnet. — Sodann zeigt T. das Verhältnis von Religion
und Sittlichkeit und von Fleifch und Geift. Hierauf
wird von ihm das chriftliche Problem und der ruffifche
religiöfe Gedanke dargelegt. L. Tolftoj, Doftojevskij,
Bucharev, Solovjev werden hier eingehend behandelt,
m. E. der frühere Tolftoj in ftärkerem Gegenfatz zum
Chriftentum, als dies den in feinen berühmten Romanen
,Krieg und Frieden' und ,Anna Karenina' hervortretenden
— um diefe nur handelt es fich und nicht um die per-
fönlich von Tolftoj gehegten •— Anfchauungen entfpricht.
Zum Schluß fetzt fich T. noch mit Rozanov auseinander,
auf den jüngft Kattenbufch auch die deutfchen Lefer
aufmerkfam gemacht hat. — Als Sache der Perfönlichkeit
betont T. das Chriftentum, das ift ihm mit deffen
Innerlichkeit gegeben, aber es foll fich in den Gemein-
fchaftsformen von Familie, Volk und Staat bewähren.

Ich habe mich auf eine kurze Andeutung über den
Inhalt des Tareevfchen Werkes befchränkt. Durchweg tritt
zutage, wie T. beftrebt ift, das eigentliche Wefen des
Chriftentums in feiner Tiefe zu erfaffen und es in felb-
ftändiger Weife als ein einheitliches Ganze vorzuführen.
Dies gefchieht in feffelnder Sprache und oft glänzender
Darftellung. Seine Schrift ift ein Beweis, wie nicht nur
auf exegetifchem und hiftorifchem Gebiet, fondern auch
auf fyftematifchem die ruffifche Theologie darnach ringt,
hinter der Theologie der andern Kirchen nicht zurückzubleiben
.

Göttingen. N. Bonwetfch.

Niffen, Heinrich, Orientation. Studien zur Gefchichte der
Religion. Zweites Heft. Berlin, Weidmann 1907. (IV
u. S. 109—260.) gr. 8° M. 4 —

Vorliegende Schrift bildet die Fortfetzung der in
Nr. 26 diefer Zeitfchrift, Jahrgang 1907, befprochenen
gleichnamigen Publikation desfelben Verfaffers. Ein Ab-
fchluß wird auch hier nicht erreicht, und ein abfchließen-
des Urteil verbietet fich daher von felbft.

Der Autor befchäftigt fich mit der Axenlage der
griechifchen Tempel, wodurch er gelegentlich zu befon-
ders eingehender Erörterung einzelner in Betracht kommender
Fefte geführt wird. Nach kurzer Auseinander-
fetzung mit der Theorie Penrofes ftellt er in peinlich
genauer Unterfuchung feft, daß von 113 in Griechenland
und den Kolonien, in Sizilien, Italien und Kleinafien
gelegenen Tempeln nur etwa neun zweifelsohne nach
Sternen orientiert waren, und zwar vier nach Kaftor, drei
nach Pollux, zwei nach Capella. Faft alle übrigen waren
mit Rückficht auf die Sonne angelegt. Doch handelt
es fich dabei keineswegs immer um örtliche Orientation;
auch weltliche kommt vor und ftellenweife, wo fich
fremder (etwa ägyptifcher) Einfluß geltend gemacht hat,
fogar nördliche und füdliche.

Ein Schlußkapitel gibt neben einer Tabelle eine
knappe, etwas inkohärente ,Gefchichte der hellenifchen
Orientation'. Der Anlage nach den Sternen wird ein
mehr priefterlicher, der nach der Sonne ein mehr bürgerlicher
Charakter zugefprochen. An religionsgefchicht-
lichen Folgerungen allgemeineren Inhalts treten wieder
Sätze auf wie folgende: ,Der Gegenfatz zwifchen Licht
und Finfternis bildet die Grundlage aller religiöfen Vor-
ftellungen.' ,Das Gebet zur Sonne betrachten wir als
den Anfang in der Entwicklung unfrer Religion.' ,Die
Verehrung der Sonne lieferte einen Eckftein für den
Bau der neuen Weltreligion.' Unnütz zu fagen, daß das
teils unbeweisbare Thefen find, teils Übertreibungen, die,
um Wahrheiten zu werden, gewaltig reduziert werden
müßten, etwa auf das Maß der Äußerungen Brintons
über das Verhältnis der Religion zu Licht und Finfternis
in der Schrift Jleligions of primitive peoples' (New York,
Putnam's sons, 1897).

Straßburg i. E. E.W.Mayer.

Froehlich, Dr. Jof. Anf., Freiheit und Notwendigkeit als

Elemente einer einheitlichen Weltanfchauung. Leipzig,
M. Heinfius Nachf. 1908. (VII, 151 S.) gr. 8° M.4 —

Die Grundgedanken diefes Buches laffen fich folgendermaßen
fkizzieren. Unbefriedigend find alle Lö-
fungsverfuche des Freiheitsproblems, welche darauf beruhen
, daß man die Freiheit und die urfächliche Notwendigkeit
verfchiedenen Geltungsbereichen oder Betrachtungsweifen
zuweift. Will man überhaupt Freiheit
anerkennen, fo darf man fie nicht von dem Boden der
kaufalen Erfahrungswelt ausfchließen, auf dem allein fie
für uns praktifchen Wert hat. Man muß die Freiheit
nicht neben der Kaufalität fuchen, fondern muß die
Kaufalität fo auffaffen, daß die Freiheit innerhalb ihrer,
als zum innerften Wefen der Kaufalität gehörig, Raum
hat. Zum rechten Begriff der Freiheit gehört das Moment
einer fchöpferifchen, über die Gegebenheiten hinausgehenden
Kraft. In unferm Willen find wir uns der Betätigung
einer folchen fchöpferifchen Kraft bewußt. Aber
wir finden fie doch keineswegs hier allein. Vielmehr
wird uns auch der Beftand der ganzen übrigen Welt nur
dann wahrhaft verftändlich, wenn wir in ihm eine uner-
fchöpfliche Fülle fchöpferifcher Aktivität anerkennen,
die wir letztlich nach Analogie unferes Willens deuten
müffen. Von den mechaniftifch zu begreifenden Bewegungen
in der Welt, die immer wieder nur auf Bewegung
zurückzuführen find, muß die bewegende Kraft in den
Dingen unterfchieden werden. Eben diefe Kraft ift als
ein Wille aufzufaffen, der auf etwas noch nicht Fertiges
, Befferes, Höheres gerichtet ift: als ein Wille zur
höheren Einheit, d. h. als ein Wille, der das Ganze
und alle Teile in lebendiger Wechfelbeziehung einem höheren
Zuftande zuzuführen ftrebt. In diefem Willen
zur höheren Einheit verbindet fich eine Tendenz zur
Befonderung und zur Vielheit mit einer Tendenz zum
Ganzen und zur Einheit, verbindet fich Freiheit mit
Notwendigkeit. ,Das Werden, der Gewinn, das Neue,