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Ausgabe:

1909

Spalte:

78-79

Autor/Hrsg.:

Böckenhoff, Karl

Titel/Untertitel:

Speisesatzungen mosaischer Art in mittelalterlichen Kirchenrechtsquellen des Morgen- und Abendlandes 1909

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr, 3.

78

Wie wertvoll fie als Gefchichtsquellen fein können,
weift das 2. Kapitel nach. Sie belehren uns über die
Intentionen und Ambitionen der Fürften, denen fie gewidmet
find; find getreue Reflexe der kaiferlichen Politik;
geben Auskunft über die Kntwickelung der dynaftifchen
Idee, über die einzelnen Etappen, die fie bis zur Erblichkeit
des Thrones gegangen ift. Sie unterrichtet uns
auch z. B. über die Haltung Conftantins in der religiöfen
Frage; vom Chriftentum fprechen fie nicht; aber fie
fprechen von der Religion, wie Conftantin in den offiziellen
Akten. Auch über das Verhältnis der Regierung
zu den Barbaren enthalten fie wertvolle Angaben. Bedeutend
find fie, weil fie die religiöfe Toleranz der höheren
Gefellfchaft des 4. Jahrhunderts deutlich fehen laffen.

Das dritte Kapitel {La societe mondaine au IVe siede
d'apres les poesies d'Ausone) ift ganz Aufonius gewidmet.
Mit grober Kunft ift hier durchgeführt, wie in ihm die
Tendenzen feiner Zeitgenoffen verkörpert werden, und
wie gerade darum feine Gedichte wertvolle Dokumente
für die Sittengefchichte feiner Zeit find. Er wird aufgefaßt
als Ic premier poete bourgeois et familier de France.
Wie ftimmt damit das Urteil zufammen, daß er oft
langweilig ift?) In feiner religiöfen Haltung findet der
Verfaffer ihn korrekt orthodox, aber nichts weiter: der
Weltmann geht über den Chriften; gerade darum ift er
typifch für eine beftimmte Klaffe der höheren Gefellfchaft.

Vortrefflich wird in Kap. IV das Publikum ge-
fchildert, für das die Komödie Querolus berechnet ift;
es will nicht bloß lachen und nicht nur fich feiner Gelehr-
lamkeit freuen; fondern es will auch mit ernften philo-
fophifchen Fragen unterhalten fein.

Im 5. Kapitel interefliert am meiden der Nachweis,
daß die Antipathie des Rutilius Namatianus gegen die
Mönche nicht etwa bloß diefe meine, fondern ein Ausdruck
feiner Gegnerfchaft gegen die Kirche überhaupt
fei. So wie er mochten viele der heidnifchen Arifto-
kraten denken.

Der Anhang bietet Unterfuchungen und Einzelbemerkungen
: 1. Lorigine du recueil des panegyriques :
2. Le texte des panegyriques et la prose metrique; 3. Les
points doutcux de Lliistoire d'Ausone; 4. Observation^ sur
le texte d'Ausone.

Kiel. G. F ick er.

Grupp, Georg, Kulturgelchichte des Mittelalters. I. Band.
Zweite, vollftändig neue Bearbeitung. Mit 45 Illuftra-
tionen. Paderborn, F. Schöningh 1907. (XI, 458 S.)
gr. 8° M. 5.6b

Die erfte Auflage diefer Kulturgefchichte erfchien
1894 und 1895 in zwei Bänden. Mit Recht hat der Verfaffer
die neue Auflage, von der der erfte Band vorliegt,
eine vollftändig neu bearbeitete genannt. Denn auch
dort, wo Partieen aus der erften übernommen worden
find, fpürt man überall die beffernde Hand. An der
Ausdrucksweife ift gebeffert; die frühere Auflage zeigte
viele fprachliche Verftöße, die wohl nur auf Flüchtigkeit
zurückzuführen find; fie fehlen freilich auch jetzt nicht
(fo S. 396: fich um die Kunft und Dichtung feiner Zeit
anzunehmen). Am meiften fällt auf, daß die Abfchnitte
über das Chriftentum und die ältefte Kirchengefchichte
weggefallen find. Die zweite Auflage beginnt mit der
Völkerwanderung. Dafür hat nun aber faft überall fonft
eine Erweiterung ftattgefunden, fo daß der erfte Band
nur bis ins 8. Jahrhundert reicht. Den Hauptteil nimmt
die Schilderung der Merowingerzeit ein. Dazu werden
aber auch die übrigen germanifchen Stämme, die ausgehende
Antike, das byzantinifche Reich, felbft der Islam
berückfichtigt. Die einzelnen Abfchnitte hängen freilich
nur mehr lofe zufammen, und es wäre wohl nicht ganz
leicht, die Logik der Dispofition darzulegen. Die Lektüre
befriedigt auch deswegen nicht, weil nicht deutlich

genug hervortritt, inwiefern die fpätere Zeit gegenüber
der früheren einen Fortfehritt oder einen Rückfehritt
bedeutet. Daß die gefchilderten Zuftände zum guten
Teile in der Antike wurzeln, tritt allerdings zur Genüge
hervor. Auf das Nachleben des germanifchen Heidentums
bei den chriftianifierten Germanen ift befonders
geachtet worden. Wenn ich recht fehe, fo ift der Verfaffer
in feinem gefchichtlichen Urteile freimütiger geworden
; er betrachtet die Vergangenheit nicht mehr nur
von katholifchem Standpunkte aus. Ich habe die Werke
des Verfaffers immer gern gelefen, weil fie frifch ge-
fchrieben find und eine Fülle der intereffanteften Notizen
enthalten. Aber ob in der Verarbeitung und namentlich
in dem Streben, durch Zufammenfaffung gefchloffene
Bilder zu erreichen, nicht weiter gegangen werden könnte?
Auch an der nötigen kritifchen Sorgfalt fcheint es mir
zu fehlen: man vergleiche, was S. 92 h über die Urfachen
der Bekehrung Chlodwigs, S. 103 über den flawifchen
Namen Juftinians gefagt wird. Mit der Art zu zitieren
kann ich mich öfters nicht einverftanden erklären: wenn
für die herrlichen Strophen Columbas S. 349 Montalem-
bert, Mönche 3, 155 zitiert wird, fo erfchwert fo etwas
dem Rezenfenten die Arbeit beträchtlich. Die Illuftra-
tionen bieten manches Intereffante; einige fuid undeutlich.
Ein abfchließendes Urteil über das Werk kann natürlich
erft gegeben werden, wenn es fertig vorliegt.

Kiel. G. Ficker.

Böckenhoff, Prof. Dr. Karl, Speilefatzungen molailcher Art

in mittelalterlichen Kirchenrechtsquellen des Morgen-
und Abendlandes. Münfter i. W., Afchendorff 1907.
(VII, 128 S.) gr. 8° M. 2.50

Diefes lehrreiche Buch ftellt zunächft zufammen und
befpricht, was in der morgenländifchen Kirche von
Speifeverboten vorhanden ift. Gemeint ift nicht bloß
die griechifche (ruflifche), fondern auch die armenifchc,
koptifche, jakobitifche Kirche. Und zwar werden die
kirchenrechtlichen Beftimmungen und die in Betracht
kommenden kirchlichen Riten und Gebete unter den
Titeln: das Verbot der Miarophagie und das Blutverbot
behandelt. Unter Miarophagie werden die kultifch verunreinigten
, die phyfifch ekelhaften und die phyfifch verunreinigten
Speifen zufammengefaßt. An der erften
Klaffe lieht man, wie lange das Verbot des Götzenopfer-
fleifches aufrecht erhalten und je nachdem laxer oder
ftrenger gehandhabt worden ift; an der zweiten Klaffe,
daß es fich faft ausnahmslos um Tiere handelt, die nach
Levit. 11, 3—8 als unrein galten, wobei man fich freilich
von dem Vorwurfe des Judaifierens frei halten wollte.
(Das hier vorliegende Problem ift nicht genügend gewürdigt
.) Auch die dritte Klaffe zeigt, wie das griechifche
Chriftentum die korrekte chriftliche (d. h. römifche) Auf-
faffung und die levitifierende Praxis mit einander auszuformen
und einigermaßen in Einklang zu bringen buchte.
Das Blutverbot hat namentlich in der Polemik gegen die
Lateiner eine große Rolle gefpielt und es hat offenbar
gerade dadurch für die Griechen noch eine längere Geltung
in der Praxis erlangt. In die fem erften Teile find
die Quellenftücke, die immer in Überfetzung gegeben
werden, und ihre Erklärungen mehr lofe aneinander
gereiht; die hiftorifche Verarbeitung unter dem Gefichts-
punkte der Ableitung der orientalischen Kirchen von der
griechifchen wird nur flüchtig in Angriff genommen;
auch fehlt hier ein Hinweis auf Analogien bei den örtlichen
nichtchriftlichen Völkern. Der Verfaffer will der
griechifchen Kirche nicht den Vorwurf des formalen
Judaismus machen; er hebt aber hervor, daß die felt-
famen Riten der Mißdeutung zugänglich find.

Der zweite Teil ift dem Nachweis gewidmet, daß
für die gemeinkirchliche Praxis des Abendlandes die
Erklärung des Apofteldekrets, die Auguftin bietet, maß-