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Ausgabe:

1909 Nr. 3

Spalte:

69-70

Autor/Hrsg.:

Kirchner, Victor

Titel/Untertitel:

Der ‚Lohn‘ in der alten Philosophie, im bürgerlichen Recht, besonders im Neuen Testament 1909

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 3.

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diefer Überfetzung eine neue, größere und fchöner aus-
geftattete Geftalt heraus. Und diefe Neuausgabe hat
dem Überfetzer felber die Gelegenheit gegeben, die Feile
an fein Werk anzulegen. So ift die Überfetzung an einzelnen
Stellen verbeffert worden, Fremdwörter find erfetzt
worden, XqiOtoc. das in der kleinen Ausgabe durch
.Meffias' wiedergegeben wird, erfcheint jetzt hier, ge-
fchmackvoller und mit mehr Recht, faft ftets als ,Chriftus'.
Die Verszahlen, die in der kleinen Ausgabe weggelaffen
waren, lind jetzt aufgenommen worden, aber nur am
Rande. Ich kann dies Verfahren nur billigen. Denn
wenn auch die böfe Gefahr der Textzerftücklung durch
den ohne Verszahlen gedruckten Text vermindert wird,
fo hat eine folche Ausgabe andrerfeits für den Gebrauch
ihre handgreiflichen Nachteile. Eine fynoptifche
Tafel am Eingang erleichtert die Befchäftigung mit den
Evangelien.

Wien. Rudolf Knopf.

Kirchner, P. Lic. Dr. Victor, Der ,Lohn' in der alten
Philofophie, im bürgerlichen Recht, befonders im
Neuen Teflament. Gütersloh, C. Bertelsmann 1908.
(X, 216 S.) gr. 8« M. 3-; geb. M. 3.75

An Dispofition und Gliederung fehlt es vorliegender
Unterfuchung am weniglten. Sie bringt nach 2 ,Vor-
unterfuchungen' 3 ,Hauptftücke', 4 .Hauptabfchnitte', 6
.Abfchnitte', 12 .Kapitel', die meift wieder in 2—6 .Paragraphen
' zerfallen. Durch das ganze Buch gehen Belehrungen
über die innere Logik und äußere Zweckmäßigkeit
diefer komplizierten Anordnung, die es z. B.
mit lieh bringt, daß die Überfchrift zu den letzten 12
Seiten lautet: III.Hauptftück, 4.Hauptabfchnitt,6.Abfchnitt,
12. Kapitel (S. 203). Als ,der langen Rede kurzer Sinn'
erfolgt am Schluffe der Ausfpruch: ,Das Chriftentum im
evangelifchen Verftändnis ift nicht lohnfüchtig und ift
nicht eudämoniftifch' (S. 214). Verf. verwirft ebenfo nach
rechts den nationalökonomifch oder auch nur bürgerlichrechtlich
verftandenen Lohn, wie nach links den antiken
Eudämonismus. Diefer letztere wird fchon in der erften
Vorunterfuchung verabfehiedet (S. 20: .Haltlofigkeit der
Antike'), während die Unterfcheidung des in erfterem
Sinn verftandenen vom religiöfen, fpeziell neuteftament-
lichen Lohnbegriff die ganze Unterfuchung beherrfcht
und in dem nach Rom. 4, 4.5. 6, 23 konträren Gegen-
fatz von Recht (Lohn) und Gnade (Gnadenlohn) gipfelt.
Ebenfo ficher (teilen fich in allen oben genannten Teilen
und Teilchen die ,6 konftitutiven Momente' des Lohnbegriffes
ein, wie fie namentlich zur Unterfcheidung der
rechtlichen von der religiöfen Seite desfelben dienen.
Beifpielsweife befteht das erfte derfelben darin, daß der
Arbeiter dort als t(r/«T>/- freiwillig in das durch die Ergänzungsbegriffe
,Lei(tung' und .Lohn' gekennzeichnete
Verhältnis eintritt, hier dagegen, weil als öovloc,, nach
I Kor. 9, 17 unfreiwillig, wobei aber Freiwilligkeit für die
weitere Durchführung vorbehalten wird. Als Illuftration
des ausfchließenden Gegenfatzes wird vorzugsweife das
Gleichnis Mt 20, 1 —16 verwendet, wo die erften Arbeiter
mit Ausficht auf bedungenen Lohn, die fpäteren nur im
freien Vertrauen in den Weinberg gehen, jene daher die
Gerechtigkeit, diefe die Güte des Arbeitgebers erfahren
(S. 71—80. 171. 174. 183 f., wogegen jedoch vgl. Jülicher,
Gleichniffe II, S. 461). Als Konfequenz daraus ergibt fich,
daß von Leistung und Lohn nur zwifchen Menfchen die
Rede fein kann, nimmermehr aber, wo ein Verhältnis zu
Gott in Frage fleht. Während nun moderne Theologen (es
find die ,Lohnbearbeiter' S. 179) fich gleichwohl ent-
fchließen, den Herrn Chriftus unbefangen im Anfchluffe an
die überkommenen Begriffe von Lohn reden zu laffen, hilft
der Verf. mit AufftellungderbeidenMittelgliederBelohnung
und Gnadenlohn (übrigens S. 85. 98 t. ein inadäquater
Ausdruck, den .Mangel an Schöpferkraft der Sprache'

bezeugend), welche das .relative Recht' jener evangelifchen
Lohnfprüche dartun (z. B. S. 179) und zeigen follen, daß
hier ,/ii6l>6g in einem andern, alfo im uneigentlichen,
weitem Sinn flehen muß' (S. 87.104 f.). Für den Sprachgebrauch
Jefu kommen überdies teils zeitgefchichtlich,
teils individuell bedingte pädagogifche Gründe (Bedürfnis
der Anknüpfung an das .Zielbewußtfein des Menfchen'
u. a.) in Betracht (S. 90.190 f.), wobei freilich zuletzt noch
in Mt 19, 24—30 eine recht üble Schwierigkeit im Refte
bleibt, durch welche jedoch ,unfer (fchon zuvor ge-
fichertes) Refultat nicht erfchüttert wird'(S. 211). Eben-
fowenig kann uns daran I Kor. 9, 16. 18 irre machen, fo-
bald wir begreifen wollen, daß der Lohn, von dem hier
die Rede ift, den Ruhm vor Menfchen bedeutet (S. 133 f.,
wogegen jedoch vgl. Heinricis Auslegung), und ein
letzter, von S. 5 an ftets aufs neue betonter, Troft ift
es, daß der Ausdruck .Lohn' fchon bei Paulus möglichft,
bei Johannes ganz vermieden wird. In der Literaturangabe
S. X fehlen die beiden 1886 erfchienenen Abhandlungen
von Umfried und Neverling. Vor allem aber war
ftatt Franz Beyer die in der neuen Auflage der Realenzyklopädie
XI, 1902, S. 605 f. flehende, den Gegenftand
ziemlich erledigende Abhandlung von O. Kirn zu erwähnen
—■ und zu benutzen.

Baden. H. Holtzmann.

Genouillac, D. Henri de, L'Eglise chretienne au tetnps de
Saint Ignace d Antioche. Paris, G. Beauchesne ä Cie.
1907. (XII, 268 p.) gr. 8"

Die ignatianifche Frage als eine literarhiftorifche
kann feit den grundlegenden Werken von Th. Zahn und
Lightfoot als eine abgefchloffene gelten. Auf Grund des
zu Gebote flehenden Quellenmaterials läßt fich mit ausreichender
Beftimmtheit urteilen, daß die heben Briefe
in der kürzeren griechifchen Rezenhon von dem Märtyrer-
Bifchof Ignatius von Antiochien zur Zeit Trajan's ge-
fchrieben wurden. Ad. Harnack, der früher die Briefe
etwas fpäter datierte, hat fich jetzt der Datierung unter
Trajan angefchloffen; auch O. Pfleiderer gab die alte
Beurteilung der Baur'fchen Schule auf, und die Thefe
Völter's, nur der Römerbrief fei unecht, die von E. Bru-
fton wieder aufgenommen wurde, hat keinen Beifall gefunden
. Auch der Verfaffer der vorliegenden Schrift
lehnt he ab und fchließt fich dem feiten einmütigen Urteil
der Forfcher an, an dem auch Hilgenfeld's Widerfpruch
nichts mehr ändern konnte (vgl. Th. LZ. 1903, Sp. 330).
Genouillac hebt es auch mit Recht hervor, daß für die
Gefchichte der älteften Kirche damit eine Quelle erften
Ranges geboten ift, ziemlich genau datiert, unmittelbares
Dokument des Lebens, die Verhältniffe gerade der Gemeinden
beleuchtend, die im zweiten Jahrhundert neben
Rom der geiftige Mittelpunkt der Christenheit waren.
Daher ift nur natürlich, daß fich nach der verfchiedenften
Richtung das Intereffe immer wieder von Neuem den
Briefen des Ignatius zuwendet. Nicht nur v. Dobfchütz
(urchriftliche Gemeinden) und Knopf (nachapoftolifch.es
Zeitalter) und O. Pfleiderer (Urchriftentum) in ihren zu-
fammenfaffenden Darftellungen haben fie gebührend berücksichtigt
; auch die Verhandlungen zur Abendmahlsfrage
(Drews, Rietfchel, Anderten u. a.), zur Verfaffungs-
frage (Sohm, Reville, Monnier, Michiels), alle Dogmen-
gefchichten und die dogmengefchichtlichen Artikel der
Herzog-Hauck'fchen Realenzyklopädie (befonders Loofs:
Abendmahl, Chriftologie) haben wichtige Beiträge geliefert.

Monographifch haben fich nach der dogmengefchichtlichen
Unterfuchung des Rezenfenten (Ignatius v. A. als
Chrift und Theologe TU. XII, 3, 1894) noch E. Brufton
[Ignace d'Antioche, Paris 1897, vgl. Th. LZ 1898, 12) und
A. Stahl (Patriftifche Unterfuchungen II, Leipzig 1901,
vgl. Th. LZ. 1902, 7.) mit Ignatius befchäftigt. Erfterer
brachte außer der verunglückten Verteidigung der Völter-
fchen Kritik des Römerbriefes ein im wefentlichen zu-