Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909

Spalte:

51-53

Autor/Hrsg.:

Battifol, Pierre

Titel/Untertitel:

L‘église naissante et le catholicisme 1909

Rezensent:

Harnack, Adolf

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 2.

52

ganz ungenügenden Kollationen geht das nicht hinlänglich
klar hervor: ich hoffe es durch meine künftige Ausgabe
zur Evidenz zu bringen. Daß Kürzungen vorgekommen
find, beweift eine große Anzahl griechifcher und
lateinifcher Texte der Pilatus-Akten. Bei den Syrern
nenne ich als Analogie nur die Ignatiusbriefe.

Bemerkenswert ift, daß neben den kanonifchen Evangelien
auch fonftige Traditionen eingewirkt zu haben
fcheinen: die beiden Schacher werden K. 9,5 Duma und
Tita genannt, was dem griech. AvOjiag und reoraq ent-
fpricht, wobei Dismas, wie die Lateiner meift fchreiben,
den guten Schacher zur Rechten (Weften?) bezeichnet.
K. 10, 2 erfcheint aber als Name des frechen Schachers
Dümächös, während der reuige nur als ;fein Genoffe'
(man) eingeführt wird. Der Name Dumachos neben
Titus war aus Hierotheos K. 21 und Barhebräus zu Mt. 27,38
aus dem arab. Kindheitsevangelium K. 23 und der Biene
des Salomo von Bosra bekannt und mit großer Wahr-
fcheinlichkeit als Oen/taxog gedeutet (J. R. Harris, expos.
1900, 161 ff. 304 ff.).

Im übrigen kann ich dem Patriarchen nur beipflichten, wenn
diefer ausführt, daß unfere fog. Pilatus-Akten nichts mit dem von Juftin
und Tertullian erwähnten Bericht zu tun haben, daß fie vielmehr erft im
4. Jahrh. im Gegenfatz zu dem heidnifchen Pamphlet entftanden find (vgl.
meinen Art. Nicodtmus, Gospel of, in Baslings Diel, of the Bitte).

Als Anhang gibt Rahmani den fchon von Cureton
publizierten Briefwechfel des Pilatus und Herodes, aus
jenen beiden und einem 3. neftorianifchen Kodex. Der
griechifche Text ift inzwifchen von M. R. James in Apo-
crypha aneed. II gedruckt. Dazu 3 kurze Stucke, Korre-
fpondenzen zwifchen einem Theodor und Pilatus, einem
Longinus und Auguftus und die Notiz eines Urfinius über
die Sonnenfinfternis, Fiktionen, welche bei den fyrifchen
und armenifchen Chroniften wie Michael und Mofes von
Khoren fehr beliebt find.

Übrigens find auch für dieGefchichte der Überlieferung
und Verbreitung der Pilatus-Akten im Abendland neuerdings
wertvolle Beiträge zu verzeichnen: neben K. Helms
Ausgabe der deutfehen Dichtung von Heinrich Hesler
(1902, Lit. Verein 224) ftellt fich eine treffliche Bearbeitung
der mittelenglifchen Verfifikation durch W. H. Hulme
in E. E. T. S. extr. scr. C'(1908). Von demfelben Autor
erhoffen wir noch weitere Textausgaben und Auffchlüffe
über das Verwandtfchaftsverhältnis der verfchiedenen
Rezenfionen.

Straßburg. von Dobfchütz.

Batiffol, Pierre, L'eglise naissante et le catholicisme. Paris,
V. Lecoffre 1909. (XIV, 502 p.) 8°

,L'Eglise romaine, comme au temps d'Irenec et
d'Ignace, demeurc le coeur intact de la ,,grande Eglise",
mais, depuis des sieeles, que d'iglises separees d'elle, que
de brebisperdues! E historiennepeuty penser sans emotion,
au souvenir de la catholicite naissante et conquerante des
trois Premiers Steeles. Du moins je n'aurais pas ecrit ce
livre, — surtout a Fheure cruelle ou je l'ai ecrit, ■— si
je ne croyais pas l'histoire des origines capable de donner
aux eglises errantes la nostalgie de l'uuite et aux chretiens
sans eglisc l'intuition de la vraie foi.' In welcher Lage
der Verfaffer fchreibt, würde man aus dem der ,Mater
Ecclesia' gewidmeten Buche nicht erfehen, wenn er nicht
felbft in diefen Schlußfätzen daran erinnert hätte; der
Zweck des Buchs aber fchimmert auch in ihnen durch
und ift in der Vorrede mit dogmatifcher Schärfe aus-
gefprochen: der Verfaffer will zeigen, daß die Kirche
fo alt ift wie die chriftliche Religion, der Katholizismus
fo alt wie die Kirche und der römifche Primat fo alt
wie der Katholizismus. Ob die perfönliche Lage, in der
er fich befindet, dem Verfaffer diefe Aufgabe nahe gelegt
hat, braucht uns nicht zu kümmern. Jedenfalls hat er feiner
Kirche, die ihn fo übel behandelt hat, als wäre er ein
Modernift, einen ganz ausgezeichneten Dienft geleiftet;

denn mit größerer Sachkenntnis kann man den Beweis für
die wurzelhafte Einheit von Chriftentum, Katholizismus und
römifchem Primat nicht unternehmen, als hier gefchehen

i ift. Nicht durch eine metahiftorifche Spekulation, die
fich um die Chi onologie der Erfcheinungen nicht kümmert,
wird hier die Einheit nachgewiefen, fondern der Verfaffer
bleibt auf dem Boden der Tatfachen und ihrer
Abfolge und fucht einen wirklich gelchichtlichen Nachweis
zu liefern. Daß Römifch = Katholifch fei, habe ich

: unter gewiffen Referven, die der Verfaffer freilich auch
noch größtenteils zu befeitigen fucht, als proteftantifcher
Hiftoriker vor 22 Jahren in meinem Lehrbuch derDogmen-
gefchichte zuerft dargelegt, und daß das ,Katholifche'
in der Entwicklungsgeschichte des Chriftentums höher
hinaufzurücken fei, als die proteftantifche Gefchichts-
fchreibung gewöhnlich annahm, habe ich dort ebenfalls
zu zeigen verfucht. Seitdem ift diefe Thefe (f. z. B. das
bekannte Werk von Wer nie) noch ftärker akzentuiert worden
, und gewiegte proteftantifche Kirchenhiftoriker werden
heute an dem Satze keinen Anftoß mehr nehmen, daß
Hauptelemente des Katholizismus bis in das apoftohfehe
Zeitalter zurückgehen und zwar nicht nur als peripherifche.
Somit fcheint der Ring gefchloffen und der katholischen
Gefchichtsbetrachtung, ohne daß fie fich felbft fonderlich
bemüht hätte, der Sieg zugefallen zu fein. ,Den Seinen
gibt er es schlafend.' Allein es fehlt viel, es fehlt noch
immer alles, um hier von einem Siege fprechen zu können
; denn erftlich ift die Kluft zwifchen Jefus und den
Apofteln nicht überbrückt und nicht zu überbrücken.
Zweitens gilt dasfelbe in bezug auf die Apoftel und dem,
was fich unter ihren Augen anbahnte oder vollzog. Drittens
haben fich der Wert, der Spielraum und die Ordnung
der Faktoren im komplizierten Organismus der chriftlichen
Gedanken und kirchlichen Lebensformen bis zur Mitte
des 3. Jahrhunderts fortwährend geändert und haben die
entfeheidenden Akzente gewechfelt, und viertens endlich ift
ein ungeheures Element, welches am Anfang wirkfam war,
immer mehr dahin gefchwunden, nämlich das der unmittelbaren
göttlichen Gebundenheit (Pneuma) und der durch
fie gefetzten individuellen Freiheit. Infolge diefer Tatfachen
ift die Kirche um die JJ. 30, 60, 90, 130, 160 und
190 trotz der Kontinuität ftets eine wtfentlich andere
gewefen. Aber die an dritter und vierter Stelle genannten
Erfcheinungen find fo geartet, daß man fie ignorieren
kann, ohne fich dem Vorwurf der Unkenntnis im gemeinen
Sinne des Worts auszufetzen; denn es find Imponderabilien
, die man nicht aus einer einzelnen Quellenftelle zu
belegen vermag. Die Kluft aber, die zwifchen den Apofteln
und dem klafft, was fich alles in ihrer Zeit in der Kirche
eingeffellt hat, kann man durch den Hinweis auf ihre
alles beherrfchende Autorität befchwichtigen, und in
bezug auf die Konkordanz zwifchen Jefus und dem Apofto-
lifchen reicht die alte Rüftkammer der Exegefe fchein-
barnoch immer aus. Alfo ift es möglich, einen eindrucks-

: vollen Beweis zu liefern, daß die katholifche Betrachtung
der iglise naissante die gefchichtlich richtige ift, d. h.
daß Chriftentum, Katholizismus und Romanismus eine vollkommene
gefchichtlicheldentitätdarftellen. Das hat Batiffol
getan, fich alles zunutze machend, was von Proteftanten

I in diefer Richtung gefchrieben worden ift, und mit der
bekannten gründlichen Sachkenntnis, die ihn auszeichnet,
dazu in ruhiger, wiffenfehaftlicher Darlegung. ' Unrichtig,
im groben Sinn des Worts, ift nur weniges in diefer
Darfteilung (mit Ausnahme über das von Jefus Gefagte);
aber indem die gefchichtliche Entwicklungslinie nachgezeichnet
wird, werden Abfchnitt für Abfchnitt die
kleinen Winkel überfehen, die in ihrer Summation die
größten Richtungsveränderungen ergeben. Statt einer
Kurve erfcheint fo eine gerade Linie, die man nach diefer
Methode unfehwierig bis zum Katholizismus des Syllabus
und der Enzyklika vom J. 1907 fortfetzen könnte. Den
triumphierenden Worten der Einleitung, daß der Katholizismus
heute noch fei, was er im erften Jahrhundert war,