Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909 Nr. 26

Spalte:

710-712

Autor/Hrsg.:

Kübel, Johannes

Titel/Untertitel:

Geschichte des katholischen Modernismus 1909

Rezensent:

Köhler, Walther

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

709 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 26. 710

Amt zu fordern verpflichtet fei. . Sobald er ins Amt ; giöfen Standpunkt aus unterer weltlichen Kultur den Krieg
eingetreten, folle er fleh von Herzen angelegen fein laffen, , angefagt hat: Leo Tolftoi! Nur gelegentlich S. 112 wird
den überlebten Brauch zu Falle zu bringen und der 1 er gedreht. Es hätte uns mehr interefflert als die lächer-
Kanzel . . die gleiche Meinungs- und Redefreiheit, wie < lieh aufgebaufchte Gefchichte von Dalton's verzögerter
dem Lehrftuhl auf der Hochfchule zu verfchaffen. Die Aufnahme in dieBerlinerDomgemeinde wegen mangelnden
argliftige Gewiffensbefchwichtigung hatte eine dem Rat- Nachweifes des deutfehen Indigenats durch den Kirchengeber
unerwartete Wirkung. ... In ernftem Nachfinnen , vorfland. Wie konnte fleh darüber felbft der Oberhof-
an der Hand des Wortes Gottes ging das Ärgernis an i und Domprediger Kögel aufregen? Juriflifch ift die Ber-
der vor kurzem noch fo verehrten Geftalt (des Profeffors) liner Domgemeinde die erweiterte Hausgemeinde des
weiter und tiefer zu einem Ärgernis an einer Theologie, preußifchen Königs. Da konnten ängflliche Philifler im
deren begeifterter namhafter Vertreter fo ärgerlichen, Kirchenvorfland doch meinen, auch ohne ein Gefetz darboten
Rat geben konnte. . . Nicht wenige freilich in über, daß nicht jeder beliebige Zuzügler aus Rußland —
unfern Tagen haben folch argliftigen Rat befolgt. Sie , aus dem nihiliflifchen Rußland, Einlaß dahinein begehren
verkünden am Tage des Herrn und an der weihevollen könne; mindeftens müffe er beglaubigter deutfeher Reichs-
Stätte, die ein Bethaus, keine Mördergrube zu fein hat, bürger fein.

einem mehr oder minder großen Zuhörerkreis das Gegen- Die mancherlei .Stilblüten' und Selbftwiderfprüche
teil von dem, was fie zu predigen gelobet. . . . Andre des Verfaffers feien übergangen. Der ftärkfte der letzteren
wieder unter diefen modernen „Kanzelrednern" haben den iß bei dem Schwärmer für die Gemeindeverfaffung die
Rat nicht erft abgewartet, fondern find felbft darauf ver- Auflehnung dagegen, daß der Wohnfitz die Zugehörigfallen
und ihm zuvorgekommen. Was alles hat doch keit zu einer Pfarrei begründet. Wie foll man denn
die chriftgläubige Jüngerfchar mit neigendem Staunen . . anders aus einer gefchloffenen evangelifchen Einwohnererleben
müffen, welche Frevelreden Von der Kanzel zu fchaft einzelne Gemeinden bilden?

hören bekommen! Ich denke an Bremen, in meiner , Wie kommt der gute fchalkhafte Emil Frommel zu

Jugend als .Herberge Gottes' weithin in deutfehen Landen dem Namen .unfchuldsvoller kleiner Sünder'? Doch nicht,

gepriefen, an Köln, in deffen Mauern zur Zeit der Refor- weil es im Gaffenhauer ,die Huffiten vor Naumburg' heißt:

mation eine Märtyrergemeinde feft und unbeweglich auf .Kinder, fprach er, ihr feid Kinder, unfchuldsvoll und

dem Fels evangelifchen Bekenntniffes geftanden . . Ich keine Sünder'?

denke an Dortmund, ach an wie viele, viele Orte unfrer Möchten nur übereilt, wie fo manche Zitate in diefem

deutfehen Heimat. . . Auch Deutfchlands herrlich auf- Buch, auch manche Urteile fein. Es wäre noch Zeit, fie

blühende Reichshauptfladt ift von den wortbrüchigen zu revidieren.

Schalksknechten auf der Kanzel nicht verfchont geblieben, Bonn. Seil
die mit ihrem Gerede, wo immer fie empfänglichen Boden

finden, unfer Volk entnerven, ihm fein Lebensmark an- Kübel, Pfr. Johannes, Gefchichte des kathohTchen Moder-

taften. . . . Oben auf der Kanzel (trafen ihre Worte nismuS- Tübingen, J. C. B. Mohr 1909. (XII, 260 S)

Lügen, was fie 5 Minuten zuvor unten am Altar vor Gott g0 M — • b M 1

und der Gemeinde in Gegenwart unferes ewigen Königs • 4 i geD- H. 5

. . feierlich gelobet, gebetet, bekannt haben. . . Warum Schon über zwei Jahre find feit dem Erlaß der großen

doch als ehrliche Männer nicht lieber Steinklopfer wer- Enzyklika gegen den Modernismus verfloffen, fie ift ,Ge-

den, als allfonntaglich in einem Atemzug ja und nein von fchichte' geworden, ragt aber in ihren Wirkungen immer

dem Fels unferes Bekenntniffes ausfagen, daß Jefus der wieder in die Gegenwart hinein, wenn auch der Sturm-

Chrift des lebendigen Gottes Sohn?' flut der anfänglich fich überftürzenden Ereigniffe allmäh-

Heißt man derartige überhebliche, von Sachunkenntnis
(trotzende Ausfälle .Lebenserinnerungen'?

Wie fehr dem kurzfichtigen Verurteiler der modernen
Theologie etwas mehr Befchäftigung mit .moderner Exe-
gefe', etwa mit Jülicher's Gleichnisreden not täte, zeigt
(ich, wenn man mit Befremden feine rednerifche Beteiligung
an einem Bund fürftlicher Damen ,zur Hebung der Sittlichkeit
' unter Befchränkung auf die höchfte Arifto-
kratie lieft. Da glaubt er das Gleichnis von dem Weib

lieh ein Abflauen der Waffer gefolgt ift, die bald größere,
bald kleinere Wellen emporwerfen. Die Gefchichte diefer
großen Bewegung im Katholizismus des 20. Jahrhunderts
kann demnach fchon gefchrieben werden, die Aufgabe
ift reizvoll, aber auch ebenfo fchwer; formell wie inhaltlich
: das Material ift aus Zeitfchriften, Brofchüren, Zeitungsartikeln
zufammenzufuchen, und es gilt, bei dem
beftändigen Wechfel der Szenerien das Wertvolle und
Bleibende feftzuhalten, das Aktuellem gegenüber richtig

mit dem verlorenen Grofchen fo auslegen zu dürfen, daß zu finden klaren Treffblick erfordert,
dabei herauskommt die Rechtfertigung für die .Begrenzung Der Münchener Pfarrer Johs. Kübel hat die Aufgabe,

der Mitgliedfchaft auf einen befonderen Stand' durch ein i die fich fo ftellt, ficher erfaßt und im allgemeinen ausge-
Heilandswort. ,Nachdem das Weib feinen Grofchen ge- zeichnet durchgeführt. Wir erhalten einen vortrefflichen
funden, ruft es nicht alle Welt von der Straße zur Mit- Wegführer durch die Gefchichte des Modernismus, für
freude herbei.fondernfeineFreundinnenundNachbarinnen, den jeder Intereffierte dankbar fein wird, doppelt der,
mit anderen Worten die, welche im gefellfchaftlichen ' dem die unendlich zerftreute Literatur nicht zur Hand ift.
Leben und Wandel ihm nahe wohnen, mit denen es durch : Alles hat K. trotz feines immenfen Spüreifers nicht eingleiche
Lebensftellung befreundet ift.' fehen können, aber ich glaube nicht, daß ihm Wichtiges
So bürdet man in den Augen der frommen Damen i entging; die großen Linien, die K. zieht, werden jeden-
dem Heiland felbft durch Allegorifterei das Patronat für , falls kaum durch etwaige Lücken in der Literaturbenutzung
eine ariftokratifche Sonderbündelei auf! Etwas anderes ift j fich verfchieben. Die Ereigniffe, die K. fchildert, hier zu
diefer ganze unglückliche Einfall ja nicht gewefen, da es rekapitulieren, verbietet fich von felbft, nur einiges fei
lieh dabei nicht etwa um die .Hebung der Sittlichkeit' erwähnt. K. beginnt mit dem Amerikanismus (Hecker,
hochariftokratifcher Sünder und Sünderinnen handelte, um Elliot, Ireland, Klein, Gibbons), es folgt .Herroan Schells
die Heilung etwa einer Standesfünde durch Standes- ; Idealkatholizismus', d. h. der .Fall Schell'. Vortrefflich ift
genoffen. betont, wie Schell ,in dogmatifcher Hinficht katholifch
Man vermißt in diefem Bande viel von der früher war, er wollte nichts anderes als katholifch fein', und wie
gerühmten aufrechten Haltung des Verfaffers. Man ver- j doch in feinem wuchtigen Angriff auf die fortfehritt-
mißt auch in dem Perfonenverzeichnis von überflüffiger hemmenden Tendenzen im Katholizismus ,ein gut Teil
Reichhaltigkeit in ruffifchen Namen den des Ruffen, der uns ! vom Geift des größten Reformtheologen lebendig ge-
Weftländern am meiften interefflert unter den Zeitgenoffen, ; worden ift, vom Geift Martin Luthers und feiner zornigen
weil er wie ein zweiterRouffeau von einem eigentümlich reli- Frage, was Deutfchland eigentlich mit Rom zu fchaffen