Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909 Nr. 25

Spalte:

684-685

Autor/Hrsg.:

Kehr, Paulus Fridolinus

Titel/Untertitel:

Regesta pontificum romanorum. Italia pontificia. Vol. III 1909

Rezensent:

Keller, Siegmund

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

683 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 25. 684

Dogmengefchichte' teils erweitert, teils neu geftaltet
worden. Es galt hier zu den zahlreichen und tief ein-
fchneidenden Unterfuchungen Stellung zu nehmen, die
in den letzten 16 Jahren über die Gefchichte Jefu und
das apoftolifche Zeitalter erfchienen find. Ich felbft habe
in diefer Zeit meine Chronologie der altchriftlichen Literatur
Bd. I. u. II, die Vorlefungen über das Wefen des
Chriftentums, die Gefchichte der Miffion und Ausbreitung
des Chriftentums und die Unterfuchungen zur Apollel-
gefchichte und zu den Synoptikern erfcheinen laffen —
Studien, die auch der Dogmengefchichte zu gut gekommen
find. Den Auffchwung der fog. ,religions-
gefchichtlichen' Methode begrüße ich als einen Fort-
fchritt, bin aber in meiner Überzeugung nicht erfchüttert
worden, daß die zentralen Gedanken über die Verkündigung
und die Perfon Jefu bereits der Urgemeinde
angehören, fich wefentlich auf Tatfachen im Lichte der
meffianifchen Idee und Dogmatik oder auf die Umbildung
der Tatfachen durch diefe Idee und Dogmatik ftützen
und in der Regel eine weitere Erklärung nicht bedürfen.
Ebenfo ifl mir nicht zweifelhaft, daß mit der Zurückführung
zahlreicher Vorftellungen, Ausdrücke und Bilder auf ihre
Urfprünge in grauer Vorzeit nicht feiten Verwirrung ge-
ftiftet wird, weil das Mißverftändnis fich leicht einfchleicht,
als fei der urfprüngliche Sinn und der Zufammenhang,
dem fie einft angehörten, auch fpäter noch unverändert
geblieben. Ein Kommentar zu Dante's .Göttlicher Komödie
' aus der griechifch-römifchen Mythologie ifl ein
notwendiges und nützliches Buch, aber der Geift und die
Ablichten Dante's bleiben dabei unerörtert.

Den erften Teil der Dogmengefchichte, die Ent-
ftehung des Dogmas, betreffend, find in allen Kapiteln
größere oder geringere Veränderungen nötig gewefen

— die ftärkften beim Gnoftizismus —, doch habe ich
zu prinzipiellen Änderungen nirgends Anlaß gefunden.
Bei den Pfeudoclementinen konnte ich mich fehr viel
kürzer faffen als in den früheren Auflagen und den
großen Exkurs über den Manichäismus habe ich nun
dem zweiten Bande zugewiefen, weil er beffer dort feine
Stelle findet. Trotz diefer und anderer Streichungen,
die etwa 44 Seiten betragen, ift der Band leider um
26 Seiten an Umfang gewachfen.

Als der erfte Band diefer Dogmengefchichte vor
24 Jahren zum erften Mal erfchien, bezeugte ihm die
Kritik, daß er ,eine Lücke ausfülle'. Seitdem find zahlreiche
und ausgezeichnete Lehrbücher der Dogmengefchichte
erfchienen, fo daß die Lücke nunmehr vollkommen
ausgefüllt erfcheint. Allein diefe Lehrbücher
find bei aller Selbftändigkeit der Forfchung nach Anlage
und Ausführung dem meinigen fo verwandt, daß noch
immer Bedeutendes zu wünfchen übrig bleibt. Eine
Darfteilung wie die Krügers ,Das Dogma von der
Dreieinigkeit und Gottmenfchheit' (1905) — das Buch
ift leider durch ein Verfehen Bd. II, S. 1846 unerwähnt
geblieben —, ausgedehnt über den ganzen Bereich der
Dogmengefchichte, ift ein dringendes Bedürfnis. Auch
eine ftreng begriffsgefchichtliche Darftellung der Dogmengefchichte
mit Ausfchluß aller anderen Gefichtspunkte
wäre fehr erwünfcht. Weiter würde der Verfuch, die
Dogmengefchichte von Nicäa ab rein kirchenrechts-
und kultus-gefchichtlich zu behandeln, unfere Erkennt-
niffe bereichern. Endlich könnte man es wagen, den
dogmengefchichtlichen Stoff lediglich als Exponenten
der Gefchichte der Frömmigkeit in ihren Wandlungen
darzuftellen. Solche Behandlungen würden freilich zu
einfeitigen Darftellungen führen; aber fie würden doch
fehr lehrreich fein und auf vieles aufmerkfam machen,
was dem entgehen muß, der die Augen ftets nach
mehreren Seiten zugleich offen halten foll. Und auch
bei folcher Behandlung würde immer noch das Ganze

— freilich nicht mit den vollen Farben des Lebens,
fondern einfarbig — zum Ausdruck kommen.

In dem zweiten Bande find die Abfchnitte über den

Paulicianismus und über den Islam neu hinzukommen.
! Der letztere, der die Thefe vertritt, der Islam fei eine
I Umbildung der von dem gnoftifchen Judenchriftentum
| felbft fchon umgebildeten jüdifchen Religion durch einen
großen Propheten, geht auf einen Vortrag zurück, den
ich fchon vor 32 Jahren gehalten habe, der aber damals
nur als Manufkript gedruckt worden ift. Seitdem ift
Wellhaufen zu einer verwandten Thefe gelangt und
auch Andere haben erkannt, daß die Genefis des Islam
in diefer Richtung zu fuchen ift. In der Darfteilung der
griechifchen Dogmengefchichte vom Anfang des 4. Jahrhunderts
bis zum Bilderftreit habe ich mich bemüht, die
Ergebniffe der reichen Forfchungen zu verwerten, die
namentlich in Bezug auf das 4. und 5. Jahrhundert im
letzten Jahrzehnt von Holl, Loofs, Schwartz und zahl-
| reichen Anderen vorgelegt worden find. Auch ich felbft
habe mich in der Spezialarbeit über die pfeudojuftinifchen
j Quäftionen um die Dogmengefchichte des 4. Jahrhunderts
j aufs neue bemüht. Wenn die Änderungen und Zufätze
I trotzdem nicht in den Vordergrund treten, fo liegt das
daran, daß die neuen Erkenntniffe für die Gefchichte der
1 Theologie und der Kirchenpolitik ungleich wichtiger find
i als für die Gefchichte des Dogmas. Allerdings laffen
j fich gerade für das 4. Jahrhundert Theologie, Kirchenpolitik
und Dogma am wenigften fcheiden; aber nicht
I nur aus praktifchen Gründen muß man nach einer Grenze
j fuchen, fondern auch die Theologen des 4. Jahrhunderts
! felbft haben ein freilich unficheres Gefühl dafür gehabt,
I daß ein Theologumenon etwas anderes fei als das
j Dogma, und wir dürfen als Dogmenhiftoriker doch nicht
theologifcher fein als die Väter.

Berlin. A. Harnack.

Regesta pontificum romanorum. Iubente Regia Societate
Gottingensi congessit Paulus Fridolinus Kehr. Italia
pontificia sive repertorium privilegiorum et Htterarum a

romanis pontificibus ante annum MCLXXXXVIII Italiae
ecclesiis, monasteriis, civitatibus singulisque personis
congessorum. Vol.III. Etruria. Berolini, apud Weid-
mannos MDCCCCVIII. (LH, 492 p.) Lex.-8° M. 16 —

In erftaunlich rafcher Folge liegt uns bereits der
dritte Band der Italia Pontificia, Etrurien umfaffend,
vor. Noch dazu ift diefes Volumen weitaus umfangreicher
als die beiden erften (Rom und Latium), da vor allem
die reichhaltigen Archive von Florenz, Siena, Lucca und
Pifa ihre Urkundenfchätze beigefteuert haben. Im ganzen
find es über anderthalbtaufend Nummern, von denen fich
nur 754 bei Jaffe verzeichnet finden. Allerdings ift diefer
hohe Überfchuß nicht fo zu deuten, als ob feit Jaffe eine
folch erhebliche Anzahl von Papfturkunden neu auf-
| gefunden oder etwa von Jaffe überfehen worden wäre;
i vielmehr wird wie in den vorhergehenden Bänden das
Plus hauptfächlich dadurch erreicht, daß fich Kehrs
.Regelten' nicht auf Urkunden im engeren Sinne befchrän-
j ken, fondern jedwede päpftliche Verlautbarung oder Handlung
gebucht wird — ohne Rückficht darauf, ob denfelben
■ feinerzeit auch eine urkundliche Ausfertigung zuteil geworden
ift oder nicht.

Die in unferer Rezenfion des erften Bandes aus-
j gefprochenen Zweifel, ob fich Kehrs Anordnung der
J Regelten nach der Verteilung auf die Adreffaten bewähren
würde, haben fich inzwifchen als gerechtfertigt erwiefen,
1 indem von vielen Seiten an diefer Art der Regiftrierung
I Anftoß genommen worden ift. Beifpielsweife hat fich
! KarlUhlirz in der Hiftorifchen Zeitfchrift (102. B. 117 ff.)
I in ausführlicher Weife dagegen gewendet und fchließt
! mit den Worten: ,Kehrs Regelten find ihrer Anlage nach
: unorganifch und unzweckmäßig'.

Im vorliegenden Bande fcheint auch die Abgrenzung
der Provinz Etrurien keineswegs einwandfrei. Doch kann
man fich, da es fich ja nur um ein Nachfchlagewerk