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Ausgabe:

1909

Spalte:

681-682

Autor/Hrsg.:

Weiß , Johannes

Titel/Untertitel:

Paulus und Jesus 1909

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitimg 1909 Nr. 25.

682

Bemerkung macht) einen gefchichtlichen Kern; jedenfalls
muß man die Formund Gefchichtlichkeit der Einletzungs-
worte viel gründlicher unterfuchen, als Sh. tut, und darf
wohl auch immer noch fragen, ob Mt. 7,6. 10,5. 23
nicht vielmehr die eigne Meinung Jefu wiedergibt; aber
das Übrige beftätigt wieder nicht nur ältere Zweifel, fondern
ift auch, wo es über fie hinausführt, der ernfteften
Beachtung wert.

So kann die Forfchung, obgleich fie häufig von vornherein
Sh. widerfprechen und ihm vielleicht auch fonft
fchließlich manchmal nicht zuftimmen wird, doch fehr
viel von ihm lernen. Sein Buch muß in jeder künftigen
Unterfuchung diefer Fragen berückfichtigt werden; auch
wer in Deutfchland von neuem über diefe Dinge fchreibt
oder redet, hat fich mit ihm auseinanderzufetzen.

Bonn. Carl Clemen.

Weiß, Johannes, Paulus und Jelus. (Erweiterter Sonder- 1
druck aus der Monatsfchrift für Paftoraltheologie.)
Berlin, Reuther & Reichard 1909. (III, 72 S.) gr. 8° j

M. 1.50 I

Wie fo manche andere ift auch diefe Arbeit ange- j
regt durch Wredes ,Paulus', fie berückfichtigt außerdem j
mehrfach die einfchlägigen Schriften von Kolbing (Die j
geiftige Einwirkung der Perfon Jcfu auf Paulus), Kaftan I
(Jefus und Paulus) und Jülicher (Paulus und Jefus).
Der Referent hat die umfangreiche, durch Wredes
Paulus angeregte Literatur über das Verhältnis Pauli 1
zu Jefus ziemlich genau verfolgt; umfomehr ift er er- j
ftaunt gewefen, daß über diefen vielverhandelten Gegen-
ftand immer noch Neues und Wertvolles zu fagen I
ift. Ich denke dabei zunächft an den zweiten Teil der
vorliegenden Schrift, in dem Weiß Verfchiedenheit und
Übereinftimmung Pauli und Jefu unter folgenden großen J
Gefichtspunkten behandelt: Der Hellenismus des Paulus, I
Stellung zum Staat, das fpekulative und fchriftgelehrte
Denken des Paulus, die Auseinanderfetzung mit dem :
Judentum, der Grund der Heilsi>ewißheit, Gotteskind-
fchaft und Gottvaterglaube, Paulus als Typus des Be-
kehrungs- undErlöfungschriftentums, Apokalyptikbei Jefus
und Paulus, Ethik. In dem Abfchnitt über die auf Jefus
gegründete Heilsgewißheit des Paulus fchreibt W.: ,Durch
diefen Gefamteindruck von der Perfon Jefu als dem Verkündiger
, ja Träger und Vollender der göttlichen Liebes-
abficht ift das apokalyptifche Meffiasbild des Paulus grundlegend
korrigiert worden — und hierin müffen wir die
entfcheidende und tieffte Einwirkung Jefu auf Paulus
fehen' (S. 52). Dem möchte ich durchaus zuftimmen;
aber zweifelhaft bin ich, wenn diefe Thefe folgendermaßen
vorbereitet wird: ,Diefen Hauptzug (der Liebe
Jefu") des Bildes Chrifti konnte er nicht aus dem Judentum
übernehmen; hier hat die gefchichtliche Erfahrung
fein jüdifches Meffiasbild in entfcheidender
Weife ergänzt und umgeftaltet. M. a. W.: Paulus muß j
aus den Erzählungen der älteren Jünger oder aus per-
fönlichem Eindruck die Überzeugung gewonnen haben,
daß Jefus ganz und gar erfüllt war von der einen Aufgabe
, die Liebe Gottes nicht nur zu verkündigen, nein
— in all feinem Tun und Reden zu verkörpern, fie fo
gewinnend darzuftellen, daß die Sünder fich ein Herz zu
ihr zu faffen vermöchten. Er muß etwas gewußt haben I
von Jefu Werben um die Menfchenfeelen, von feinem
Wohltun und Lindern des Leids, von feinem tröftenden
und aufrichtenden Umgang mit den Verlorenen' (S. 51).
Ähnlich bezieht W. in dem Abfchnitt über die Ethik die
berühmte Stelle Phil. 2, 5 ff. wefentlich auf die Selbftver-
leugnung des irdifchen Jefus, des Menfchgewordenen.
Mir fcheint die Sicherheit und der Nachdruck, mit dem
diefe ins Einzelne gehenden Behauptungen aufgeftellt
werden, bedenklich.

Das führt mich zum erften Teil der Schrift. Er ift
der intereffantefte, wenn man will fenfationellfte; aber

er ift auch am meiften dem Widerfpruch ausgefetzt. W.
meint nämlich beftimmt nachweifen zu können, daß
Paulus den irdifchen Jefus nicht nur (flüchtig) gefehen,
fondern (verhältnismäßig genau) gekannt habe. Das erfte
folgert er aus einer fehr genauen Auslegung von 2 Kor.
5,16, einer Stelle, die keine andere Deutung zulaffe(?).
Das zweite aber folgert er aus einer pfychologifchen
Unterfuchung des Vorgangs der Bekehrung. ,Ich muß
dabei bleiben, daß die Vifion bei Damaskus nur unter
der Vorausfetzung verftändlich ift, daß Paulus in der
himmlifchen Erfcheinung Jefus erkannt hat. Nun —
von den älteren Jungern oder von unbeteiligten Augenzeugen
hat er vielleicht eine Art Perfonalbefchreibung
erhalten können — aber kann eine folche genügt haben,
um ihn zu befähigen, Jefus zu erkennen? Wer es mit
dem Begriff der Vifion ernft nimmt (bei einem .Wunder'
freilich, meint Weiß, kann auch die Erkenntnis: diefe
Erfcheinung ift Jefus, wunderbar gewirkt fein), kann nicht
anders urteilen als: die Züge des irdifchen Jefus müffen
ihm bekannt gewefen fein, wenn die Vifion ihm den verklärten
Jefus fo habe zeigen können' (S. 22). Diefe Beweisführung
verblüfft vielleicht anfangs, aber doch nur
folange man fich nicht klarmacht, daß der Anfatz verkehrt
ift; daß W. nicht eine wirklich vorhandene Schwierigkeit
löft, fondern fich unnötigerweife felber eine macht,
indem er das Wefen der Vifion verkennt. Wenn Pauli
ganze Seele von der Frage nach Jefus erfüllt ift und
ihm dann eine Lichterfcheinung zu teil wird: wie foll
er zweifeln, daß das Jefus ift? Man könnte fonft auch
fragen, woran hat z. B. Jefaias (Kap. 6) Jahve erkannt?
Das merkwürdigfte ift, daß W. nicht merkt, wie er felbft
fich widerlegt. ,Wo in aller Welt fteht auch nur eine
Silbe, daß Paulus Jefum nicht peTönlich gefehen habe?
Nicht einmal die Worte des Erhöhten .,ich bin Jefus,
den Du verfolgft ' in den drei Erzählungen der Apoftel-
gefchichte von der Bekehrung (9,5; 21,7; 26,14) De"
fagen, daß Paulus Jefum jetzt zum erften Male lieht;
fie find dadurch motiviert, daß Paulus die Geltalt überhaupt
nicht fieht, fondern nur die Stimme hört' (S. 23).
Wenn er die Geftalt überhaupt nicht fieht, warum mühen
wir uns dann mit der Frage nach der Möglichkeit des
Wiedererkennens ab?! — Ernfthafter erfcheint mir, worauf
W. felbft aber weniger Gewicht legt, die Frage,
ob Paulus nicht ein inneres (zunächft unbewußtes und
unwirkfames) Bild von der Geiftesart Jefu gehabt haben
müffe, fo daß feine Vifion ähnlich wie die Erfcheinungen
der Jünger fchließlich auch auf den Einfluß des lebenden
Jefus, der ihn nachträglich noch überwunden hat, zurückgehe
. Aber mir fcheint auch diefe Annahme unnötig.
Bei der feurigen, höchft aktiven Geiftesart Pauli und
feiner lebhaften, fchaffenden Phantafie kann fehr wohl
der durch die Gemeinde, zumal in dem Bekennermut
der Verfolgten, vermittelte Einfluß Jefu genügt haben,
den Stachel in feine Seele zu fenken, der ihn fchließlich
zur Vifion und zur Bekehrung trieb. Wer das nicht
für möglich hält, unterfchätzt die originale, prophetifche
Kraft der Paulinifchen Frömmigkeit.

So muß ich den erften Teil der Schrift, der W.
felber der wichtigfte ift, freilich ablehnen; aber für den
zweiten weiß ich mich zu lebhaftem Dank verbunden.

Frankfurt a. M. Schütter.
Harnack, Adolf, Lehrbuch der Dogmengefchichte. 1. u. 2.
Band. Vierte neu durchgearbeitete und vermehrte
Auflage. (Sammlung theologifcher Lehrbücher.) Tübingen
, J. C. B. Mohr 1909. gr. Lex. 8°

M. 34 — ; geb. M. 40 —

Erfter Band. (XIX, 826 S.) M. 20 — ; geb. M. 23— _
Zweiter Band. (XVI, 538 S.) M. 14—; geb. M. 17 —

In dem erften Bande diefer neuen Auflage find die
Ausführungen über die Gefchichte der Dogmengefchichte,
vor allem aber die Paragraphen ,Vorausfetzungen der

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