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Ausgabe:

1909 Nr. 23

Spalte:

642-644

Autor/Hrsg.:

Baltzer, O.

Titel/Untertitel:

Praktische Eschatologie 1909

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 23.

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(ich von demjenigen der bisherigen Logik unterfcheidet, I
berieht darin, daß es dem urteilenden Denken ein andersgeartetes
, ein .emotional es' gegenüberftellt. Es ifl das
Denken, ,das (ich aus der emotional-praktifchen Seite des
Geiftes, aus dem Gefühls- und Willensleben entwickelt,
dasjenige alfo, das in den Vorftellungsgebilden der
affektiven Phantafie wie in der Welt der Zwecke, Normen,
Werte und Güter wirkfam ilt und uns am markanteften
in der äfthetifchen Kontemplation, im religiöfen Glauben,
in Sitte, Recht und Moral entgegentritt'; und der Verf.
glaubt zeigen zu können, ,daß diefes Denken, deffen
elementare Betätigungen in den Gefühls- und Begehrungs-
vorftellungen aufzufuchen find, fich dem urteilenden, das
mit dem erkennenden Denken zufammenfällt, als ein
eigenartiger, felbfländiger, in fich einheitlicher Typus
logifcher Funktionen zur Seite Hellt'.

Der I. Abfchnitt des Buches befchäftigt fich insbesondere
mit der Pfychologie des emotionalen Denkens
und deren Verhältnis zur Logik. Da die Pfychologie im
Reiche der fog. Geifteswiffenfchaften die fundamentale
Gefetzeswiffenfchaft ift, welche die Beftimmung hat, für
die Erklärung des gefamten Komplexes von geiftig-
gefchichtlichen Tatfachen, der Sprache, der Sitte, der
Religion, derKunft, des Rechtes u. f. f. die Interpretationsmittel
zu liefern, fo hat auch die Arbeit einer Pfychologie
des emotionalen Denkens fich von vornherein nicht allein
auf die Erlebniffe des eigenen Bewußtfeins zu richten,
fondern auch auf das Tatfachenmaterial der vergleichend-
hiftorifchen Wiffenfchaften. Aber hat auch die Arbeit
der Logik als einer normativen Wiffenfchaft fich auf
das emotionale Denken zu erftrecken? Nur dann wäre
dies nicht der Fall, wenn die Logik, wie allerdings heute
faft übereinftimmend angenommen wird, eine ,Lehre vom
wahren Denken' wäre. Das Denken allerdings, das fich
am Maßftab der Wahrheit mißt, ift ftets ein Urteilen.
Aber es ift nicht abzufehen, weshalb die Logik fich hierauf
einfchränken follte. Die allgemeinen Kriterien des
logifchen Denkens überhaupt find das Bewußtfein der
Denknotwendigkeit und der Anfpruch auf Allgemeingiltig-
keit. ,Die Logik ift die normative Wiffenfchaft nicht vom
wahren, fondern vom denknotwendigen und allgemein-
giltigen Denken überhaupt'. Eben damit erftreckt fie fich
auch auf das emotionale Denken, auf die Wunfeh- Willensund
Gebotsfätze, auf die Einbildungs- und Glaubensakte,
und umfaßt wie das erkennende (,kognitive'), fo das
äfthetifche, religiöfe, juriftifche, ethifcheDenken (S.41 ff. 44).

Ein II. Abfchnitt befchäftigt fich zunächft mit dem
,emotionalen Vorftellen' und gibt eine ausführliche Theorie
'der Phantafie und der Phantafievorftellungen. Der Begriff
der .reproduktiven' und .produktiven' Phantafie wird eingehend
unterfucht, und im Zufammenhang damit andere
Begriffe wie diejenigen der Einbildungskraft ,der Reproduktion
, und der Affoziation, von denen befonders der
letztere (S. 109(1.) in einer Auseinanderfetzung mit Wundt
verwandten Begriffen gegenüber mit bemerkenswerter
Schärfe abgegrenzt wird. Die Hypothefe einer produktiven
Vorftellungstätigkeit hält der Verf.. für überflüffig und
darum unberechtigt. Denn der Grundftamm aller Phan-
tafieinhalte befteht aus reproducierten Elementen. Der
Schein der Neubildung wird nur durch die beiden Tatfachen
der Vorftellungsabänderung und der Verfchmelzung
hervorgerufen. Die treibende Kraft diefer Vorftellungs-
geftaltung aber ift emotionaler Art. Sie ,hebt aus dem
Bewußtfeinsganzen und aus den zufälligen Zufammen-
hängen vorhandener Vorftellungselemente die ihm zu-
fagenden heraus, reguliert die durch diefe ausgelöften
Reproduktionen und Verfchmelzungsakte und geftaltet
aus dem fo gebildeten Material Objektvorftellungen von
Dingen, ihren Eigenfchaften und Tätigkeiten, von Vorgängen
und Zuftänden, von Beziehungen zwifchen den
Dingen u. f. f.' (S. 130).

Der III. Abfchnitt .Urteilendes und emotionales
Denken' beftimmt im Gegenfatz zu dem herkömmlichen

,Doppelirrtum': der Anlehnung an die Urteilsform des
grammatifch vollftändigen Ausfagefatzes, und der Vor-
ausfetzung, daß die Vorftellungen an und für fich dem
Gegenfatz von Wahr und Falfch gegenüber indifferent
feien, die Urteile als .Denkakte, die im Rahmen von Er-
kenntnisvorftellungen fich vollziehen und aus urfprünglich
gegebenen oder abgeleiteten Erkenntnisdaten Vorftellungen
wirklicher Objekte machen' (S. 146. 165).

In den beiden letzten umfangreichen Abfchnitten
werden hierauf die beiden Arten des emotionalen Denkens,
das .affektive Denken' und das .volitive Denken' behandelt.
Durch eine Auseinanderfetzung mit der Gefühlslehre wird
zum Verftändnis des erfteren der Weg gebahnt. Der
Verf. ift der Anficht, ,daß eine grundfätzliche Unterscheidung
zwifchen Affekten und Gemütsbewegungen,
alfo Gemütszuftänden nicht möglich ift' (S. 417). Das
Wefentliche an den auf Gefühle fich gründenden Denkakten
ift das .affektive Geltungsbewußtfein', das identifch
ift mit ,Glauben' im allgemeinen Sinne des Wortes
,Glaube ift Geltungsbewußtfein, aber ein folches, das
fich nicht auf kognitive Daten, fondern auf affektive
Autofuggeftion gründet' (S. 437). Dementfprechend find
auch die grundlegenden Glaubensdenkakte des religiöfen
Denkens, das neben dem .äfthetifchen Denken'den Plaupt-
gegenftand diefes Abfchnittes bildet, weder Funktionen
des theoretifchen Erkennens noch praktifche Poftulate,
fondern .affektive, aus affektivenSchlüffen hervorgegangene
Phantafievorftellungen, in welchen eine
praktifche Tatfachendeutung vollzogen wird' (S. 53gff.). Ihr
wefentlicherGrund liegt alfo inGefühlsbeftimmtheiten.

Zur zweiten Klaffe der emotionalen Vorftellungen,
zu den ,volitiven' oder Begehrungsvorftellungen gehören
nicht bloß die Zweckgedanken der Willensprozeffe aller
Stufen, fondern auch die Wunfeh- und die Gebotvor-
ftellungen. Auch fie find Phantafieprodukte, aber folche,
die fich aus Begehrungstendenzen entwickeln. Hier finden
die Unterfuchungen der Weitungen und Werturteile, der
Werte und Güter, der Normen der Religion und der
Sitte, der Rechtsfätze und des ethifchen Denkens ihre Seile.

Eine kritifche Auseinanderfetzung mit dem Inhalte
des umfangreichen Werkes würde über den Rahmen einer
Befprechung weit hinausführen. Sie hätte in erfter Linie
anzuknüpfen an das Verhältnis des .emotionalen' zum
logifchen Denken und an die Neigung des Verf. zu
voluntariftifcher Deutung der feelifchen Erlebniffe, die z. B.
hervortritt, wenn er von dem .Intereffe' fagt, es .wurzle
zuletzt in der augenblicklichen Gefamtlage unteres
Willenslebens' (S. 141). Aber auch der Lefer, der die
800 Seiten des etwas breit angelegten Werkes im einzelnen
mit manchem kritifchen Seitenblick durchwandert
hat, wird für die wertvollen Beiträge dankbar fein, welche
der Verf., Sigwarts Neubegründung derLogik von einem be-
ftimmten Punkte aus felbftändig weiterführend, zur Neubearbeitung
einer ganzenReihe philofophifcher Probleme liefert.

Dresden. Th. Elfenhans.

Herzog, Stadtpfr. Johannes, Die Probleme des inneren Lebens
in der evangelitchen Verkündigung. Eine homiletifche
Unterfuchung. (Praktifch-theologifche Handbibliothek,
herausgegeben von F. Niebergall. 8. Band). Göttingen
, Vandenhoeck & Ruprecht 1908. (X, 160 S.) 8°

Kart. M. 2.80; geb. M. 3.40

Baltzer, Pfr. Liz. 0., Praktüche Eschatologie. Die chrift-
liche Hoffnung in der gegenwärtigen Evangeliums-
Verkündigung. (Praktifch-theologifche Handbibliothek,
herausgegeben von F. Niebergall. 9. Band.) Göttingen
, Vandenhoeck & Ruprecht 1908. (IV, 218 S.) 8°

Kart. M. 3.20; geb. M. 3.80

I. In acht Abfchnitten werden die Probleme des
inneren Lebens behandelt: ,Das neue Leben — Wieder-