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Ausgabe:

1909 Nr. 21

Spalte:

585-586

Autor/Hrsg.:

Winstanley, Edward William

Titel/Untertitel:

Spirit in the New Testament 1909

Rezensent:

Titius, Arthur

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585

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 21.

586

niemals fleißiger ftudiert und doch zugleich weniger gelefen
worden', fo ift es dringend notwendig, daß jene gewiffen-
haften und erfolgreichen Unterfuchungen eine pofitive
und fegensvolle Frucht für die Kirche abwerfen. Diefe
wird in der Tat von der treuen Arbeit einer freien und
ihrer Pflicht bewußten Wiffenfchaft reichen Gewinn davontragen
. Es gilt vor allem, die Wahrhaftigkeit der
Überzeugung, die den Gelehrten leitet und befeelt, auch
in den weiten Kreifen der Gebildeten zur Geltung und
zur Anerkennung zu bringen. Je gewiffenhafter wir diefer
Aufgabe nachkommen, defto herrlicher wird auch der
einzigartige Charakter diefer großartigen, eine flattliche
Zahl von Jahrhunderten umfaffenden Literatur und Religion
in ein von den meiden ungeahntes und für fle
überrafchendes Licht treten. Das Mißtrauen und der
Kleinglaube muffen vor der Tatfache verfchwinden, daß
Entwickelung und Offenbarung, weit entfernt fleh auszu-
fchließen, fleh vielmehr fordern und bedingen; der Begriff
der Offenbarung als einer abftrakten dogmatifchen Größe
wird einer lebensvollen Anfchauung weichen, die allein
des lebendigen Gottes würdig ift.

Diefen durch das ganze Buch in zahlreichen Wendungen
fleh hindurchziehenden Gedanken weiß der Verf.
durch gefchickte und wirkungsvolle Belege zu illuflrieren.
Man lefe, was er über die Tragweite der Pentateuchfrage
(198 fg.), über die moderne Interpretation alter Überlieferungen
(250 fg.), über die Anfänge der israelitifchen
Religion (130), über die hiflorifche Entwickelung (175 fg.)
fchreibt. Alle diefe Ausführungen find durchaus wtffen-
fchaftlich gehalten, zugleich find fie aber von der Überzeugung
getragen, daß die moderne Faffung die orthodoxe
Fiktion an religiöfer Fruchtbarkeit unendlich übertrifft.
Das 12. Kapitel, Criticism and the Preacher, bewegt fleh in
derfelben Richtung und verfleht es, in geiftvoller Weife auch
die praktifche Verwendbarkeit der durch die gefchicht-
liche Forfchung gewonnenen Ergebniffe nachzuweifen.

Die an den Schluß verlegten Bemerkungen (287—317)
find vorwiegend bibliographifchen Charakters. Ein forg-
fältiges Sach- und Namenregifter erhöht die Brauchbarkeit
des Buchs, welches zugleich aufklärend und im betten
Sinne erbauend wirken wird.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Winstanley, Insp. Edward William, B. D., Spirit in the
New Testament. An enquiry into the use of the
word jivtvfia in all passages, and a survey of the
evidence concerning the Holy Spirit. Cambridge,
University Press 1908. (VI, 166 p.) 8° s. 3.6

Winflanley (teilt konkordanzmäßig alle neutefl.
Stellen, in denen das Wort xvevfia vorkommt, zufammen
und verfieht fie mit kurzen Erläuterungen, gibt aber
auch gedrängte Überfichten über das Vorkommen des
Wortes im A. T., den Pfeudcpigraphen und den apoftoli-
fchen Vätern (einfchließlich Juftins). Auf Grund diefer
Materialienfammlung fucht er ein zufammenhängendes
Bild zu gewinnen, kommt aber trotz mancher treffenden
Beobachtung über fchematifche Aneinanderreihung
von Einzelheiten nicht hinaus. In Jefu Ausfagen trete
der Geift als Infpirator feiner Botfchaft und feines Werkes
zurück, vielleicht weil feine Gemeinfchaft mit Gott zu
intim war, um diefe vermittelnde Vorftellung zuzulaffen.
Dagegen erhält er in der Zeit nach Jefu Erdenleben Bedeutung
als Fortführer feines Werkes, erfcheint insbefon- j
dere in der apologetifchen Gefchichtsbetrachtung der j
Act. als treibende Urfache der kirchlichen Entwicklung.
Paulus vollzieht dann in bekannter Weife die Verinner-
lichung, eine fo enge Verbindung des göttlichen und
menfehlichen Faktors, daß eine Entfchcidung darüber,
ob im einzelnen Fall diefer oder jener gemeint fei, (ich
kaum treffen läßt. Zugleich aber fallt ihm des Geiftes
und Chrifti Wirkung funktionell, foteriologifch zufammen.

Die fehr fparfamen Andeutungen der fonfligen neutefl.
Briefe mögen auf feinen Einfluß zurückgehn. Im vierten
Evangelium wechfelt die Anfchauung fo ftark, namentlich
in den Abfchiedsreden, daß es naheliegt, Überarbeitung
anzunehmen.

Mit diefer unbefangenen hiflorifchen Betrachtungsweife
kontrafliert ziemlich flark die dogmatifche Schlußabhandlung
, die möglichften Anfchluß an das Trinitäts-
dogma fucht und auf Grund der dreifachen Offenbarung
Gottes eine immanente Trinität erfchließen will, aber
freilich auch geltend macht, daß das Dogma unter
,Perfon' etwas durchaus andres verftehe als der moderne
Sprachgebrauch.

Göttingen. Titius.

Windifch, P riv.-Doz. Lic. theol. Dr. Hans, Taufe und Sünde
im älteften Chriftentum bis auf Origenes. Ein Beitrag zur
altchrifllichen Dogmengefchichte. Tübingen, J. C. B.
Mohr 1908. (VIII, 555 S.) gr. 8° M. 16.80

DerVerfaffer diefes Buches nimmt das Problem der
Erftlingsfchrift des Unterzeichneten: ,Der Chrift und die
Sünde bei Paulus' wieder auf, indem er meine Unter-
fuchung der paulinifchen Gedanken revidiert und zugleich
in einen größern Rahmen nach rückwärts und
vorwärts Hellt, die Vorgefchichte bis zu Hefekiel, die
weitere Entwicklung bis zu Origenes verfolgend. Es ift
ihm darum zu tun, den paulinifchen Gedanken, ,Chriflen
find ihrem wirklichen Wefen nach fündlofe Menfchen'
ganz ernft zu nehmen im Gegenfatz zu der orthodoxen
Durchfchnittstheorie des Armenfünderchriftentums und
im Gegenfatz auch zu der künftlichen dogmatifchen
Abfchwächung der radikal gemeinten paulinifchen Sätze,
wonach die Vernichtung der Sünde bei der Taufe nur
eine prinzipielle fein foll, welcher dann die allmählich
fortfehreitende empirifche Loslöfung von der Sünde erft
folgt. Das ift die Grundtendenz des ganzen Buches in
voller Übereinftimmung mit der Tendenz meiner Schrift,
daß die Sätze der Paulusbriefe und überhaupt des alten
Chriftentums von Bekehrung und Entfündigung ganz anders
wörtlich und vollgehaltig genommen werden müffen,
als die exegetifche Tradition es tut. Von da aus ergibt
fleh dann allerdings die fchwierige Aufgabe, im einzelnen
zu verfolgen, wie Paulus und die andern Autoren den
fchon für fie vorhandenen Widerfpruch ihrer Sündlofig-
keitstheorie mit der Empirie fich erklärt und zurechtgelegt
haben; der Autor verfolgt diefe Vermittlungsver-
fuche bis zu Origenes, bei dem er die volle Auflöfung
der Tauftheorie und die Anerkennung der Naturnotwendigkeit
der Sünde auch für die Chriften konftatiert.
Nach rückwärts ift zu zeigen, daß die Sündlofigkeitstheorie
des Paulus eine lange Vorbereitung hat und fich aus
der Bekehrungsforderung der Propheten, dem jüdifchen
Dogma vom fündlofen Menfchen der Endzeit und dem
fakramentalen Taufentfündigungsritus allmählich angebahnt
hat.

Das groß angelegte Buch ift reichlich breit ge-
fchrieben, enthält manches Überflüffige und würde, um
die Hälfte kürzer, der Abficht des Verfaffers beffer gedient
haben. Der Stoff ift trotzdem nicht ganz voll-
ftändig. Die Charakteriftik des Judentums ift gar lückenhaft
, es fehlt die Würdigung der jüdifchen Gebetspraxis,
der jüdifchen Pfychologie des böfen Triebes, des Zu-
fammenhangs von Unglück und Sünde im Spätjudentum;
der Autor hat doch zu fehr nur herausgegriffen, was ihm
für die Genefis feiner Sündlofigkeitstheorie willkommen
war, zu wenig, was im Judentum eine folche gar nicht
aufkommen ließ. Der Montanismus hätte in diefer Ge-
fchichte nicht nur fo flüchtig geftreift werden dürfen,
auch die gnoftifchen und halbgnoftifchen Apoflcllegen-
den bieten wichtiges Material. Vor allem aber, und das
ift ein mir rätfelhaftes Verhängnis diefer Schrift, ift die

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