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Ausgabe:

1909 Nr. 20

Spalte:

571-572

Autor/Hrsg.:

Reck, Franz Xaver

Titel/Untertitel:

Das Missale als Betrachtungsbuch. Vorträge über Meßformularien. 1. Bd.: Vom 1. Adventssonntag bis zum 6. Sonntag nach Ostern 1909

Rezensent:

Drews, Paul

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571 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 20. 572

Individuums oder der Gattung, die der Menfch mit andern
Lebewefen teilt, an und für fich eine ausreichende Begründung
folcher Einfehätzung bedeute. Und wenigdens
noch ein Bedenken fei hier geäußert. Der Verf. meint
der Kirche einen guten Rat zu geben, indem er fchreibt:
,Sie müßte . . . ihre Lehre vom ewigen Leben und von
der Erlöfung ethifch begründen. Sie müßte . . . die
tätige Anteilnahme an den Kulturaufgaben diefes irdifchen
Lebens, an Wiffenfchaft und Politik zur conditio sine qua
non für alle Ewigkeitshoffnungen machen in dem Sinne,
wie Goethe es tat'. Ja, lieht da nicht, mit folcher An-
fchauung verglichen, die proteftantifche Auffaffung, nach
der nicht das fittliche Leben die Bedingung der Ewigkeitshoffnung
, fondern, fo zu fagen, umgekehrt die Ewigkeitshoffnung
Bedingung des fittlichen Lebens ift, beträchtlich
höher? eine Auffaffung, nach der die feile
Zuverficht des Menfchen auf die Geborgenheit der eigenen
Zukunft in Gott zu feinem fittlichen Leben in der
Beziehung fleht, daß fie es ihm ermöglicht, fich felbft-
vergeffen der amans delectatio in lege Dei zu ergeben
und das Gute um der Freude an dem Guten willen zu tun!

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Reck, Dir. Dr. Franz Xaver, Das Miffale als Betrachtungsbuch
. Vorträge über die Meßformularien. ErfterBand:
Vom erlten Adventsfonntag bis zum fechften Sonntag
nach Ollern. Freiburg i. B., Herder 1909. (IX, 516 S.)
gr. 8° M. 6—; geb. M. 7.20

Der Verfaffer ift als Direktor des katholifch-theo-
logifchen Wilhelmftifts in Tübingen verpflichtet, feinen
,Zöglingen', den katholifchen Theologielludierenden,
.Exhortationen' zu halten. Er wählte als Grundlage dafür
die Schriftabfchnitte und Gebete des römifchen Miffale,
und die fo entftandenen Betrachtungen, die fich freilich
nur vom erden Adventfonntag bis zum fechden Sonntag
nach Odern erdrecken, legt er in diefem erden Band
vor, dem noch zwei weitere folgen werden. Jener Gedanke
lag deshalb nahe, weil die Zöglinge das Meßbuch an
den Sonn- und Fedtagen im Gottesdiend als Gebetbuch
benutzen. Aber es id bemerkenswert, daß und wie er
zur Ausführung kam. Der Verf. will offenbar einer
oberflächlichen, gedankenlofen, mechanifchen Benutzung
des Meßbuchs wehren und ihm zu einem innerlichen,
tieferen Verdändnis helfen. Unter diefem Gefichtspunkt
der Verinnerlichung deht aber das ganze Buch. Keine
mechanifche, äußerliche Frömmigkeit, kein totes Mitmachen
und Glauben, fondern perfönliche Erfahrung, Tat
und Leben, Selbdverleugnung und Opfer, und zwar unter
Hingabe an Chridus, das id der Ton, auf den alles ge-
dimmt id. Es id bemerkenswert, wie (lark die Nachfolge
Chridi, die Hingabe an diefes Ideal, der Gehorfam gegen
ihn im Vordergrund deht. Die ,Chridustreuen' (S. 417),
der ,Kreis der echten Freunde des Herrn' (S. 352), das
find die wahrhaft Gläubigen. Die Mahnung zur Treue
gegen die ,Kirche' fehlt gewiß nicht, tritt aber dagegen
merklich zurück. Mit der Autorität der Kirche wird
überhaupt wenig operiert. Und doch hätte der Verf.
dazu nicht feiten Gelegenheit. Er geht auf eine Menge
theoretifcher und praktifcher Fragen und Probleme ein,
von denen fich heute auch der junge katholifche Theologe,
fo fehr man ihn vom Strom des Lebens fernzuhalten
fucht, bedrängt fleht. Aber die Löfung wird immer,
natürlich vom katholifchen Standpunkt aus, innerlich und
nicht rein äußerlich durch die Betonung der kirchlichen
Autorität gefucht. Ferner ift es bemerkenswert, daß fleh
durch das Buch kein Ton fleghaften Optimismus für
die .Kirche' hindurchzieht. Das gerade Gegenteil ifl der
Fall. Daß die Gefellfchaft zum Glauben zurückgeführt
werde, dafür meint der Verf., fei zur Zeit wenig Ausficht
(S. 307). ,Ich weiß', fagt er an anderer Stelle (S. 417),
,daß die Zahl der Ungläubigen ungewöhnlich größer ilt

als die Zahl der Gläubigen, der Chriftustreuen, und ich
halte es gar nicht für unmöglich, daß der Unglaube eine
Entwicklung nimmt, daß das Zahlenverhältnis zwifchen
Gläubigen und Ungläubigen ein ähnliches wird wie zu
Beginn des Chriftentums, daß die erfteren wenig, die
letzteren viele, faft alle find, und daß Chridus die Seinen
wieder bezeichnen kann als pusillus grex. Auch das id
nicht unmöglich, daß angefichts diefes Verhältniffes Kleinmut
und Verzagtheit Platz greifen könnten' (vgl. außer-
I dem z. B. S. 39. 44. 69. 163. 173. 233f. 307. 352). Der
! Verf. kennt die Gegenwart zu gut, um fich der Illuflon
hinzugeben, daß die Zukunft der katholifchen Kirche
gehöre. Das erfchüttert ihn freilich in feinem Glauben an
die Kirche nicht. Und gegen den Zweifel an der Kirche
! verfucht er auch feine Zöglinge immun zu machen. ,Das
id die Gefchichte des Unglaubens feit drei Jahrhunderten',
fagt er ihnen; ,er hat erd die Kirche und ihr unfehlbares
Zeugnis befeitigt, dann die Bibel, dann Chridus, dann
Gott: all das id nicht, weil es nicht fein kann — das id
der einzige Glaubensfatz, der dehen blieb und dehen
bleibt, bis er — weil doch ein Dogma — unbewiefen und
unbeweisbar zum Ankläger der chridusleugnenden Welt
J werden foll im Gericht, wo der Satz wieder in Anwendung
kommt: Si teStintoniutn hominum aeeipimus, testimonium
Dei maius est' (S. 422). ,Wiffenwollen und Bederwiffen-
I wollen felbd als Gott der Herr und die Kirche mit dem
Geide der Wahrheit id die Signatur jedes Häretikers
gewefen' (S. 234). Wie aber, wenn der Zweifel einen
doch packt? ,Mir fcheint', fo fagt der Verf. in der Behandlung
der Gefchichte vom ungläubigen Thomas, ,als
1 ob in ähnliche Glaubensgefahr wir alle kommen könnten,
daß der Verdand manches nicht reimen kann, fremdem
Trod — auch dem des Glaubens — wie verfchloffen,
unzugänglich, unempfänglich id, und das Herz zwar noch
liebt, aber blutet. Da gilt es, den Zweifel des Kopfes
nicht übergehen zu laffen in affectum cordis, da gilt es,
zu harren und auszuharren; gewiß kommt der Herr und
fpricht fein Pax vobis, wie er es auch für Thomas fprach'.

Auch auf den Gegenfatz zwifchen ultramontan und
liberal kommt der Verf. gelegentlich zu fprechen. Und
es id intereffant zu fehen, wie darüber die Tübinger
Zöglinge belehrt werden. ,Wir wiffen wohl, daß es auch
liberale Katholiken gibt oder geben will. Hier id foviel
klar: in dogmatifcher Beziehung folgt der Katholik feiner
von Papd und Bifchöfen geleiteten Kirche als der Säule
und Grundfede der Wahrheit, und wer Sondermeinungen
folgen will, id nicht katholifch, fondern protedantifch.
Und auf dem Gebiet der von der Kirche vorgetragenen
Sittenlehre id es ebenfo: wir wiffen, daß, wer die Kirche
| nicht hört, dem Heiden und Publikanen gleich zu achten
| id nach Chridi eigenem Wort. Daß es innerhalb der
Kirche und des Katholizismus Gebiete gibt, wo Meinungs-
j verfchiedenheit fein kann und Freiheit fein foll, wiffen
I wir fo gut wie andere, und es id allerdings eine Torheit
j von uns, derartige Verfchiedenheiten zu Gegenfätzen zu
verfchärfen oder durch unfere lachenden Gegner uns zu
folcher Verfchärfung drängen zu laffen — diesmal müßte
doch die Weisheit auf unferer Seite bleiben. Erntet man
dafür einmal wieder die Befchimpfung, fo foll das auf
I einen Mann keinen Eindruck machen' (S. 235).

Im Ganzen id das Buch nicht ungefchickt. Der Verf.
weiß frifch, ernd, anfaßlich, gedankenreich zu feinen
Hörern zu reden. Ich könnte mir denken, daß fie ihn
gerne hören.

Halle a. S. P. Drews.

Notiz.

Von Kallstadts Ausgabe der auguftinifchen Schrift de spirilu et littera
| mit Scholien (Wittenberg 1519), von der Barge nach vergeblichen Anfragen
| bei .gegen 100 deutfehen und aulSerdeutfchen Bibliotheken' mit Hilfe des
Herrn Geheimrat Schwenke ein Exemplar — .vielleicht das einzige noch
vorhandene' — in der Bibliothek des Earl of Crawford nachweifen konnte
I (Zentralblatt für Bibliothekswcfen XXI, 1904 S. 32of.; Andreas Bodenftein