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Ausgabe:

1909 Nr. 20

Spalte:

556-558

Autor/Hrsg.:

Wünsche, August

Titel/Untertitel:

Aus Israels Lehrhallen. II. Band, 2. Hälfte 1909

Rezensent:

Bacher, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 20.

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die Frage auf, ob angefichts der gegenwärtigen kräftigen
Mitarbeit der Philologen und Hiftoriker am NT. eine
NT.liche Wiffenfchaft noch nötig fei, und bejaht fie

hiftorifch intereffiert, die Ausbreitung des Chriflentums von
Jerufalem nach Rom fchildern will. Hier trennt fich
mein Urteil von dem des anderen Kritikers. Ich vermag

durch den Nachweis der Fülle von Aufgaben, welche auch nach den Leiftungen Harnacks (und Hückelheims)
eine befondere Disziplin zu ihrer Bewältigung fordern. < mich an dem Kultus des Hiftorikers Lukas nicht zu be-

Der Reihe nach werden die Aufgaben der Textkritik,
der NT.lichen Sprachforfchung, der Rhetorik, der Exegefe,
der Einleitungsfragen, der Leben Jefuforfchung und zuletzt
der Religionsgefchichte in ihrer Anwendung auf
das Neue Teftament dem Lefer vorgeführt, ohne den
Anfpruch auf Vollfländigkeit, nach der Wichtigkeit, die
fie für den Verfaffer gerade haben, ftets nicht abftrakt,
fondern mit konkreten Einzelbeifpielen. Als befonders
anregend und fein feien die Ausführungen über die Exegefe
und die über das NT. und die Religionsgefchichte hervorgehoben
. Für J. Weiß befonders charakteriftifch ift
die Forderung einer paulinifchen Rhetorik und die Neigung,
Interpolationen und Quellen (auch bei Johannes) anzunehmen
, wenn der Text nicht fließen will, und die Unebenheiten
und Widerfprüche ein gewiffes Maß überfteigen.
Als ich ftudierte, hörte ich bei einem Philologen, der
die Interpolationen, die er in feiner eigenen Textedition
angenommen hatte, zum großen Teil wieder in den Text
aufnahm, weil er fie an ihrem Ort inzwifchen verftanden
hatte; heute gilt das wieder nicht mehr, und werden wir
durch die Philologen zu allen neuen und alten Künften
des Erratens und Zerlegens verführt und müffen eben
abwarten, wie viel davon fleh halten mag. Wichtiger
fcheint mir an diefer gewaltig umfangreichen Aufgaben-
fammlung das fiarke Zurücktreten der zentralen theo-
logifchen und religiöfen Probleme, um deretwillen ich in
erfier Linie eine befondere NT.liche Wiffenfchaft wünfehen
müßte; was unfere Reformatoren am NT. gepackt hat,
das fcheint offenbar erledigt und exiftiert als Problem
für jede neue Generation nicht mehr. Das wird auch
wieder anders kommen. Für den heutigen Stand der
NT.lichen Arbeit unter dem Zeichen der Philologie und
der allgemeinen Hiftorie bietet jedenfalls diefe Schrift
eine ausgezeichnete Einführung.

Bafel. P. Wer nie.

Hückelheim, Gymn.-Ober-u.Relig.-Lehr.Dr. Joh.F., Zweck
der Apofielgefchichte. Eine biblifche Studie. Paderborn,
F. Schöningh 1908. (XIV, 124 S.) gr. 8<> M. 2.80

Schon eine erfte flüchtige Durchficht der Hückel-
heimfehen Arbeit offenbart eine bedenkliche Anlehnung
an die Beiträge Harnacks zur Erklärung der Apofielgefchichte
. Pflicht des Referenten wäre es gewefen, diefem
Eindruck im einzelnen nachzugehen. Doch darf er einem
Konfeffionsgenoffen des Verfaffers dafür Dank fagen, daß
er ihm diefes peinliche Gefchäft abgenommen hat. Im
fünften Heft des laufenden Jahrgangs der ,Theologifchen

Revue' (S. 146—149) hat der Breslauer katholifche Theo- ; nun in zwei Heften vorliegende Band bietet, wie auch
löge A. Steinmann die Schrift Hückelheims befprochen j das Titelblatt befagt, ,Midrafchim zur jüdifchen Escha-
und nachgewiefen, in welcher durchaus unzuläffigen Weife : tologie und Apokalyptik'. Auch in diefem Bande ift es
der Verfaffer neben Harnacks Büchern auch Werke Stein- Jelli n eks fechsbändigeSammlungBeth-Hamidrafch,denen
manns verwertet hat. Steinmann kommt zu dem harten, i Wünfche die von ihm überfetzten und in fachlicher An-
aber berechtigten Schluß, daß, wenn Hückelheim das ent- Ordnung dargebotenen Stücke entnommen hat, im ganzen
lehnte gelehrte Material beifeite gelaffen hätte, ,zwar keine 19 Nummern, von denen 1—3 (= BH. I, 150—152; VI,
flreng wiffenfehaftliche Arbeit entftanden wäre, wohl aber l 148—150, ib. 152f.) die Grabesleiden und das Gericht
ein populär wiffenfehaftliches Buch, das weite Kreife mit ! über die Verftorbenen, 4—II (==BH. II, 52 h; III., 194—198;
Intereffe gelefen hätten'. II, 40—47; "I, 131—140; VI, 150t.; I, 147—149; V, 42-51;

Steinmann moniert auch mit Recht eine Anzahl von II, 48—51) Paradies und Hölle betreffen, während 12 — 16
direkt unmethodifch wirkenden Einzelheiten. Die Reihe (= BH. III, 141—143; II, 58—63; III, 68—78; ib. 78—82;

teiligen und bin nach wie vor der Meinung, daß er als
Autor der Apofielgefchichte nicht in Betracht kommt.
Die Stellung Hückelheims zu den Wundererzählungen
und Reden der Apofielgefchichte ift mir unerfchwinglich,
und in Äußerungen wie die: ,Getreu nach dem Leben
ift das Bild des Petrus und Paulus in ihren Handlungen
unter den verfchiedenften Verhältniffen gezeichnet' oder
die: ,Lukas führt überhaupt eine Unmaffe der entlegenften
Einzelheiten an, ohne daß ihm auch nur ein einziger geo-
graphifcher oder hiftorifcher Irrtum nachgewiefen werden
kann' (S. 85) kann ich beftenfalls Übertreibungen fehen.
Hückelheim dagegen erblickt in den Beanftandungen und
Aufflellungen der Kritik nur ,vage Kombinationen und
leere Vorurteile' (94;i). Fehlt fo jede Bafis für eine Ver-
ffändigung, fo hat es keinen Wert, in eine Auseinander-
fetzung einzutreten, um fo weniger, als Hückelheim das
Arfenal apologetifcher Schutz- und Trutzwaffen um kein
Stück bereichert hat. Nur für ihn felber ift es bezeichnend
, wenn er in der Vorrede mit naivem Stolz fagt:
,Doch wird das Neue und Selbftändige in der Arbeit
niemand vermiffen'.

Marburg (Heffen). Walter Bauer.

Wünfche, Aug., Aus Israels Lehrhallen. Kleine Midrafchim
zur fpäteren legendarifchen Literatur des Alten Te-
ftaments, zum erften Male überfetzt. II. Band, 2. Hälfte.
Leipzig, E. Pfeiffer 1908. (V, IV u. S. 81—201.) gr. 8»

M. 3.20

— Dasfelbe. Kleine Midrafchim zur jüdifchen Eschatologie
und Apokalyptik. Zum erften Male überfetzt und
durch religionsgefchichtliche Exkurfe erläutert. III.
Band. Ebd. 1909. (238 S.) gr. 8Ü M. 3.60

Das erfte Heft des I. Bandes diefer verdienftvollen
Sammlung habe ich im Jahrgange 1907 diefer Zeitfchrift
(Sp. 663 f.) angezeigt und dafelbft auch den Inhalt des
Schlußheftes des I. und des Anfangheftes des II. Bandes
angegeben. Bevor ich an die Anzeige des III. Bandes
fchreite, gebeich den Inhalt der 1908 erfchienenen zweiten
Hälfte des II. Bandes an: Das Buch Zerubabel. Midrafch
über die zehn Exile. Midrafch Abba Gorijon. Midrafch
Megillath Efther. Mardochais Traum und fein und Efthers
Gebet. Judith (in zwei Rezenfionen). Megillath Antiochus.
Midrafch für Chanukka. Damit ift der Zyklus der die
legendarifche Erweiterung der biblifchen Gefchichte enthaltenden
kleinen Midrafchim abgefchloffeu. Der dritte,

läßt fich leicht vermehren. Was foll man z. B. von
einem Mitarbeiter halten, der die Artikel der proteftan-
tifchen Realenzyklopädie, gleichgiltig von wem fie flammen
, mit Wendungen zitiert wie: ,meint', ,fagt', entgegnet
' Hauck (XI 18 38f.).

Doch ift Steinmann wenigftens in der Lage, dem
Hauptrefultat Hückelheims beizuftimmen, wonach Lukas,
der Verfaffer der ganzen Apofielgefchichte, durchaus

IV, 117—126) meffianologifchen Inhaltes find. Dann folgt
noch der kosmologifche Midrafch Konen (= BH. II,
23—39), das an das Buch der Jubiläen anklingende Noa-
Buch (= BH. III, 155—160) und ,Von der Bildung des
Kindes' (in zwei Rezenfionen = BH. I, 153—155 und
155—158). Die auf dem Titelblatt genannten, aber im
Inhaltsverzeichniffe nicht berückfichtigten Exkurfe flehen
auf den Seiten: 6f., 16—20, 23 f., 31h, 68, 73—77, 117—125,