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Ausgabe:

1909 Nr. 19

Spalte:

547-548

Titel/Untertitel:

Die Bücher der Bibel. Erster Band: Das Fünfbuch Mose und das Buch Josua 1909

Rezensent:

Schuster, Hermann

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547

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 19.

548

nichtmechanifchen Welterklärung und der Religion; doch
gibt der Autor in letzter Inftanz dem im Geilte des j
Kritizismus vollzogenen Ausgleich zwifchen Glauben und j
Wiffen den Vorzug.

Damit allein fchon ift das Buch gegen den Verdacht
gedeckt, als ob darin an einen metaphyfifchen Beweis der
religiöfen Ausfagen auf Grund einer nichtmechanifchen
Welterklärung nur im entfernteften gedacht wäre. Es
würde ja auch genügen, Syfteme anzuführen, wie etwa die
von H. Bergfon oder von Reinke, die der Verf. beide nam- j
haft macht, um zur Anfchauung zu bringen, wie unge-
heuer verfchieden die Refultate fein können, zu denen
die Spekulation von dem gleichen Ausgangspunkt folcher
nichtmechanifchen Welterklärung aus hier und dort gelangt
. Nur auf eine gleichfam verdoppelte Abwehr der
materialiftifchen Einwände und Angriffe ift es abgefehen.

Einer weiteren Empfehlung bedarf die Schrift, die
durch eine edle und anfchauliche Sprache fich auszeichnet
, nicht mehr. Am beften gelungen dünken den
Unterzeichneten nach wie vor die Kapitel über den
,Darwinismus' und die ,mechaniftifche Lebenslehre'. Sie
orientieren vortrefflich über den augenblicklichen Stand !
der Probleme. Im übrigen erhält die neue Auflage
infofern einen befonderen Reiz, als durch des Autors
mittlerweile zutage getretenen ,Friefianismus' daslntereffe
desLefers unwillkürlich auf die Frage nach ihrem inneren j
Verhältnis zu diefem gelenkt wird.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Die Bücher der Bibel. Herausgegeben von F. Rahlwes. |
Zeichnungen von E. M. Lilien. Erfter Band. Das
Fünlbuch Mofe und das Buch Jofua nach der Über-
fetzung von Reuß. Braunfchweig, G. Wettermann
(1908). (553 S.) Lex. 8° Geb. M. 15 —

In der Einführung heißt es: ,1m Sinne Herders und
Goethes ift die Bibelausgabe gemeint, welche die unterzeichnete
Verlagshandlung anzukündigen fich erlaubt.
Die Zahl unferer Bibelausgaben ift freilich unüberfehbar
groß, aber es fehlt völlig eine Ausgabe, wie die hier j
geplante: die Bibel nicht als kirchliches Lehrbuch, Bekenntnis
- oder Erbauungsbuch, fondern als Meifterwerk
der Weltliteratur in vornehmer Ausftattung mit rei- ;
chem vornehmem Schmuck, nach literarifchen Gefichts- 1
punkten geordnet und in abgefchloffene Bände geteilt; j
mit kurzen Einleitungen, die dem Gebildeten ein ge-
fchichtliches Verftändnis der einzelnen Gruppen und 1
Bücher erleichtern follen; in getreuer Überfetzung, die
möglichft dem poetifchen Gehalt der Bibel gerecht
werden foll, kurz: eine Bibel, die der Gebildete unferer
Tage in feine Bibliothek einreiht neben den großen j
Klaffikern der Weltliteratur, neben Homer, Dante,
Shakefpeare, Goethe. Eine Klaffikerausgabe der |
Bibel wollen wir fchaffen und dadurch die Bibel mit
ihren reichen Schätzen für Gemüt und Geift in jedem
gebildeten Haufe wieder heimifch machen'.

Das ift ein fchönes Programm, dem man eine ent-
fprechende Ausführung herzlich wünfchen muß. Ift fie
gelungen? Soweit ich nach dem mir vorliegenden ftarken
Band I fchließen kann, darf ich für die Tätigkeit des
Herausgebers Rahlwes die Frage bejahen. Seine Einführungen
', fowohl in das A. T. als Ganzes, wie in den
Pentateuch und in Jofua find kurz und gut, verftehen
es, die geficherten Hauptfachen klar, knapp und eindringlich
vorzuführen. Seine ,literarifche Zeittafel' zeigt
gefundes kritifches Urteil (Segen Jacobs vor 900, Bundesbuch
um 880, Jahwift um 850, Segen Mofis um 800,
Elohift um 750, Verfchmelzung JE um 650, Deutero-
nom [5 M. 12—26] um 621, Deuteronomift um 550,
Heiligkeitsgefetz um 550, P in Babel um 500, Abfchluß
des Pentateuchs um 400).

Auch die äfthetifche Leiftung des Herausgebers verdient
Zuftimmung: es ift gewiß ein guter Griff, der Text-
geftaltung des A. T. die aus einem Guß gefloffene, feine
Überfetzung von Reuß zu Grunde zu legen; und es
entfpricht dem Programm einer nicht zu wiffenfchaft-
lichen Studien, fondern zum Genuß beftimmten Klaffiker-
Ausgabe, wenn die Kapitel- und Verszahlen nur oben
über der Seite und die Quellenfcheidungen im ausführlichen
Inhaltsverzeichnis angegeben find, und wenn
das Verftändnis durch genaue Einteilung in Sinnab-
fchnitte mit entfprechenden Überfchriften erleichtert ift.

Fraglich aber ift mir, ob der darftellende Künftler
feiner großen Aufgabe gerecht geworden ift. Anzuerkennen
ift, daß L. feine Aufgabe umfaffend gedacht hat,
er hat fich nicht darauf befchränkt, die Bibel zu ,illu-
ftrieren', mit einzelnen Bildern zu fchmücken, fondern
er hat das Ganze künftlerifch gehalten wollen: Doppelbilder
, Vollbilder, Halbbilder, Umrahmungen der poetifchen
Stücke, Kopf leihen und Schlußleihen, Vignetten
und Initialen, Einband und Vorfatzpapier, nicht zu vergehen
die großen, kräftigen Lettern des Drucks, alles
wirkt zufammen, der Arbeit des Künftlers ein einheitliches
Gepräge, ihr ,Stil' zu verleihen. Wir dürfen noch
mehr fagen: fowohl in der Behandlung der kulturge-
fchichtlichen Stoffe wie des Landfchaftlichen zeigen fich
die Früchte der Studien, die der Künftler im Morgenland
gemacht hat. Vielleicht zeigen fie fich aber zu
fehr. Die Hauptfrage ift doch die, ob aus der künftleri-
fchen Form Geift und Gemüt der Bibel zu uns reden:
und diefe Frage vermag ich nicht recht mit ja zu beantworten
. Es will mir fcheinen, als habe der Künftler
mehr die aus feinen kulturgeschichtlichen und landfchaftlichen
Studien erwachfenen Anfchauungen in die
Bibel hineingetragen, als daß er es versanden hätte,
fich mit innigem und finnendem Gemüt in den Geift der
Bibel einzuleben, um aus ihr feine Bilder herauszuholen.
Herders und Goethes Namen flehen vor dem Werk:
aber Herders wundervolle Einfühlung vermiffe ich; und
wenn ich daran denke, wie Goethe (Dichtung und Wahrheit
Buch 4) den köftlichen Zauber der Patriarchenge-
fchichten epifch nachfchafft, fo erfcheint mir diefe darfteilende
Kunft oft kalt und äußerlich. Manches ragt
über diefe peinliche Empfindung hervor, z. B. die Sündflut
und die prächtige Landfchaft unter Noahs Regenbogen
. Aber anderes erfcheint faft geschmacklos, wie
gleich am Anfang das Bild der Sabbathruhe (die zwei
Engel verdecken mit ihren Fittichen nicht ihre ,Füße',
fondern Schulter und Haupt Gottes, der nur Knie und
Hände zeigt) oder auch jenes Dutzend unnatürlich ge-
fpreizter Hände, die den Schwur der Gottgeweihten
(S. 329) fymbolifieren follen.

Sollen wir reine Freude an dem groß angelegten
Werk haben (es find noch 9 Bände zu erwarten), fo
müßte der Künftler noch tiefer in den Geift der Bibel
eindringen und aus ihm fchöpfen. Ob das gehofft
werden darf?

Frankfurt a. M. Schuft er.

Bibliographie

von Lic. theol. Paul Pape in Berlin
iDeutfche lliteratur.

A che Iis, Th., Die Religionen der Naturvölker im Umriß. (Sammlung
Göfchen 449.) Leipzig, G. J. Göfchen 1909. (164 S.) 12°

Geb. M. —80

Nikel, ]., Das Alte Teflament im Lichte der altorientalifchen Forfchungen.
IL Mofes u. fein Werk. i. u. 2. Aufl. (Biblifche Zeitfragen, gemein-
verftändlich erörtert. II. Folge. 7.) Münfter, Afchendorff 1909. (32 S.)
gr. 8» M. — 50

Zuckermandel, M. S., Tofefta, Mifchna u. Boraitha in ihrem Verhältnis zu
einander, oder paläftinenf. u. babylon. Halacha. Ein Beitrag zur Kritik
u. Gefchichte der Halacha. 2. (Schluß-)Bd. Frankfurt a. M., J. Kauff-
mann 1909. (XVI, 508 S.) gr. 80 M. 16 —