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Ausgabe:

1909

Spalte:

521-523

Autor/Hrsg.:

Beth, Karl

Titel/Untertitel:

Urmensch, Welt und Gott 1909

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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Theologifche Literaturzeitung 190g Nr. 18.

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entwickelung angehörende Hrfcheinung betrachten. Eine
folche Betrachtung verbittet fich aber die chriftliche
Religion, welche den Anfpruch erhebt, eine neue Schöpfung
im Schöße der Menfchheit zu fein. — Demgemäß
vertritt Fr., feinem Kollegen gegenüber den Gedanken,
daß die chriftliche Theologie vom Standpunkt der chrift-
lichen Religion und allein auf der Bafis des chriftlichen
Glaubens entworfen und konftruiert werden kann.

Nr. 4, L'histoire des dogmes et son entere (266—304)
ift die 1895 gehaltene Eröffnungsrede einer Vorlefung
über Dogmengefchichte. Das Kriterium der Dogmen-
gefchichte formuliert Fr. in der Frage: , Y a-t-il Harmonie
et correspondance entre la forme et le fond, entre la
substance religieuse et sa manifestation intellectuelle, entre
/es elements fixes du christianisme et ses elements mobiles r
(302). Diefe Formulierung fetzt eine beftimmte Faffung
des Wefens des Chriftentums voraus; dasfelbe befteht
in einer grundlegenden und konftitutiven Erfahrüngstat-
fache, la certitude experimentalc et pratiqtie quacquiert le
pecheur du salut de Dieupar la foi en Jesus-Christ (294).
Von diefem Standort unternimmt es F., fowohl einige
dogmengefchichtlichen Werke, befonders das Harnackfche,
als auch die wichtigften Epochen der Entwicklung des
Dogmas zu beurteilen.

Das letzte Stück, über die fittliche Gefahr des
religiöfen Evolutionismus, hat Ref. bereits früher in
diefem Blatt zur Anzeige gebracht (Jahrgang 1898, Nr. 12).

Obgleich der Verf. in der Mehrzahl feiner Ausführungen
fich referierend verhält, fo blicken doch in feinen
kritifchen Urteilen und in der pofitiven Begründung
diefer Urteile die perfönlichen Überzeugungen des Theologen
allenthalben durch. Fr. verdankt diefelben im
wefentlichen den Anregungen eines von ihm fehr verehrten
Lehrers, des unter uns fo gut wie unbekannten
Cefar Malan junior (S. 210. 294 und öfters). In der
Apologetik und in der Dogmatik, deren Veröffentlichung
bevorfteht, werden wir Gelegenheit haben, die intereffante
und originelle Auffaffung Malans kennen zu lernen. Den
einfamen, fchwierigen Denker hat Frommel durch feine
kräftige lichtvolle Sprache dem Verftändnis eines größeren
Leferkreifes näher gebracht.

Die vornehme und elegante Ausflattung des Buchs
macht dem Verlage des Foyer solidariste bei Neuchätel
alle Ehre.

Straßburg i. E. P. Lobflein.

Beth, Prof. D. Dr. Karl, Urmenfch, Welt und Gott. Zwei
religions- und entwicklungsgefchichtliche Vorträge.
Gr. Lichterfelde-Berlin, E. Runge 1909. (89 S.) 8°

M. 1.50

Zwei Vorträge: der eine gehalten bei der Inaugurationsfeier
der Wiener evangelifch-theologifchen Fakultät,
der andere innerhalb eines ,engeren Kreifes von wiffen-
fchaftlich intereffierten Theologen'.

Der erfle will einen Beitrag liefern ,zur Beftimmung
der Urreligion'. Die Hauptgedanken laffen fich etwa
folgendermaßen kurz zufammenfaffen: Die nachweisbaren
künfllerifchen Leiftungen des prähiftorifchen Menfchen
bezeugen ein fo intenfives geiffiges Leben bei diefem,
daß man ihm auch Religion zutrauen muß, die ja doch,
fofern fie trotz der Mitwirkung von Gefühl und Willen
auf dem Denken beruht, zum Wefen des Menfchen geholt
. Was die Befchaffenheit der Urreligion anbetrifft,
fo ift es verkehrt, fie einfach dem Polydämonismus der
Naturvölker gleichzufetzen. Denn die Entwicklungsfähigkeit
, die der Urmenfch durch den Erfolg bewährt
hat, berechtigt zu der Annahme, daß ihm eine größere
Geiftesenergie, alfo auch wohl eine vollkommenere oder
yervollkommungsfähigere Religion zu eigen war als den
in Stagnation verfallenen Naturvölkern. Und zwar handelt
es fich wahrfcheinlich um einen ,relativen Monotheismus
', der fich fpäter differenziert und wenigftens
auf einer Linie zu einem geklärten und abfoluten Mono-
I theismus ausgebildet hat. Diefe Vermutung wird be-
ftätigt durch rudimentäre Erfcheinungen, wie fie Joh.
Warneck im Kultuswefen der Batak aufgezeigt hat, und
wie fie fich auch fonft noch finden.

Daß die aufgeftellte Theorie hypothetifch ift, bringt
der Verf. auf feine Weife zum Ausdruck, indem er
fagt daß das erörterte Problem nicht ein folches der
Religionsgefchichte fondern der ,Religionsphilofophie' fei.
Zweifellos richtig an feiner Anfchauung ift indeffen, daß
die Tylorfche oder Spencerfche Auffaffung heutzutage
nicht mehr denfelben Kredit in Anfpruch nehmen kann,
den fie lange Zeit genoß. Sie wird einerfeits erfchüttert
durch Ausführungen wie die von Frazer über die
| präanimiftifche Magie. Andererfeits hat fie, abgefehen
j von Jevons (An introduetion to the history of religion),
ein Forfcher wie Andrew Lang in zahlreichen Publi-
; kationen bekämpft und ihr eine ähnliche Anfchauung
S wie die Beths gegenübergeftellt, die er durch ein noch
reicheres, wenngleich nicht durchfehiagendes, hiftorifch.es
Material begründet. Er felbft fällt freilich zugleich das
treffende Urteil: , The study of the evolution of myth
und belief has always been, and still is, marked by an
extraordinary use, or abuse, of conjecture'. Wäre es
unter folchen Umftänden nicht zweckmäßig, die Frage
nach der Urreligion auf fich beruhen zu laffen und fich
zu begnügen, an der Hand der empirifch gegebenen
Religionsformen die Gefetze der Religionsbildung feft-
; zuftellen, die dann auch wohl für das religiöfe Bewußt-
j fein überhaupt gelten dürften? Die Wahrheit des
! chriftlichen Glaubens ift, Gott fei Dank, unabhängig
von der Löfung des die allererfte Form des religiöfen
Bewußtfeins betreffenden Problems; und es erfcheint
daher nicht wohlgetan, die chriftliche Lehre mit diesbezüglichen
Hypothefen zu beladen.

Noch eins zum Schluß: wenn denn doch einmal für
die Beftimmung der urreligion von der Betrachtung des
prähiftorifchen Menfchen ausgegangen werden follte, fo
hätten wohl Indizien zu Gunften eines primitiven Geifter-
glaubens, wie fie beifpielsweife Goblet dAlviella (Lectures
011 the origin aud growth of the Conception of God) und
andere im Mammutzeitalter, im neolithifchen Zeitalter
ufw. gefunden zu haben meinen, irgendwie kritifch erörtert
werden müffen.

Mit dem Verhältnis des ,naturwiffenfchaftlichen
Weltbildes' und des ,dogmatifchen Weltbegriffs' hat es
der zweite Vortrag zu tun. Anknüpfend an das Evangelium
Jefu führt der Verf. aus, welche Vorftellungen
über Gott und Welt in der Konfequenz des chriftlichen
Glaubens liegen. Er zeigt, daß Gott als der allein- und
allwirkfame gedacht, der Welt jegliche Selbftändigkeit
ihm gegenüber abgefprochen und fie als das Mittel für
feine Zwecke beurteilt werden müffe. So ift die chriftliche
Weltanfchauung teleologifch, fpiritualiftifch moni-
ftifch und fchließt den Immanenzgedanken nicht aus,
fondern ruft ihn herbei. Damit ift das naturwiffenfehaft-
liche Weltbild durchaus vereinbar, fofern die kaufale
Erklärung der einzelnen Erfcheinungen ebenfowenig als
die Entwicklungslehre mit der Anerkennung einer höch-
ften, Zwecke fetzenden Urfache in Konflikt geraten können.
Ja, der chriftliche Glaube ift nur dann feft und rein,
wenn er fich mit der lückenlos vorgeftellten Kaufalbe-
trachtung verknüpfen läßt.' Bloß ,ein Gebiet' muß fta-
tuiert werden, ,in dem Gott nicht unmittelbar und ftetig
wirkt' und ,das er felbft aus feiner Händigen Machtbefugnis
ausgefchieden hat: das ift der religiös-fittliche Wille
des Menfchen'. Wie mit diefer Annahme zufammen die
fefte Zuverficht auf die Verwirklichung des göttlichen
Weltplans beftehen könne, das wird durch einige Bemerkungen
angedeutet, unter denen folgende auffallen: ,Ge-
wiß hat Gott eben mit der Setzung der menfehlichen
Freiheit auch die Möglichkeit gefetzt, daß der Menfch