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Ausgabe:

1909

Spalte:

519-521

Autor/Hrsg.:

Frommel, Gaston

Titel/Untertitel:

Etudes de théologie moderne 1909

Rezensent:

Lobstein, Paul

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engherzigen Borniertheit. Er wird lernen, das Gute anzuerkennen
, auch wenn es in des Nachbars Garten wächft,
und es zu brauchen, auch wenn es anders etikettiert
ifl, als es in feinem Haufe bräuchlich ift. Die Sache, die
wir fuchen, ift zu groß, als daß wir klein fein dürften.
Je mehr mittun, defto mehr wird gefchaffen werden' (345).
Es ift fchade, daß den theoretifchen Erklärungen der
Programmreden die Ausführungen in den Einzeldarftel-
lungen nur in bedingtem Maße entfprechen.

Die beiden Auffätze ,Taufe und Kindertaufe', ,Das
Abendmahl im Neuen Teftament', werden vorausficht- j
lieh manchem modernen Lutheraner fchwere Anftöße und I
Ärgerniffe bereiten,— es fei denn, daß der Name Seeberg
die von diefem Theologen vorgetragenen Heterodoxien un-
fchädlich machen wird. Die Kritik der bis in die Gegenwart
hinein reichenden Fiktion des ,Kinderglaubens' fo-
wie der Gleichung von Kindertaufe und Wiedergeburt
ift durch die Rückkehr zu den urfprünglichen religiöfen
Intereffen der Reformation bedingt. Dahin gehört auch
die Ausfage, ,die Differenz zwifchen der Taufwirkung und
der Wortwirkung könne keine fachliche fein' (267). Die dog-
matifche Faffung des heiligen Abendmahls fällt im wefent-
lichen mit der calvinfchen oder der fpäteren Auffaffung Me-
lanchthons zufammen (f. bef. 310—311). — Der in Karlsruhe j
am 22. März 1908 gehaltene Vortrag ,Wer war Jefus?' (S. 226 !
bis 253), der dem chriftologifchen Problem gilt, ift am beften ;
dazu geeignet, die dogmatifche Stellung des Führers der |
modern-pofitivenTheologie zu charakterifieren. ,Ift Chriftus
das Zentrum einer Religion, fo kann fein wirkliches Wefen ;
nur innerhalb des religiöfen Erlebens feiner Perfon erkannt
werden' (251). Nach diefem Kanon, fucht der Verf., an j
der Hand der neuteftamentlichen Zeugniffe, ,den Tatbe-
ftand' feftzuftellen. Hierauf beurteilt er die /Theorien
oder Hypothefen', die zur Erklärung des Tatbeftandes
aufgeftellt wurden. Streng genommen gibt es nur zwei
Theorien über Chriftus: Entweder der Geift nimmt das
Fleifch an und geftaltet es zu feinem Organ, wohnt und
wirkt in ihm (Synoptiker, auch Rom. 1,3 fg.; 2 Kor. 5,19), j
oder der Geift wird Fleifch (fo 2 Kor. 8,9; Phil. 2,6—7;
Joh. 1,14). Die Gefchichte der chriftlichen Lehre beleuchtet
beide Lehrformen mit hellem Licht. Die wiffenfehaftliche
Behandlung der Sache wird die Bahnen der altalexan-
drinifchen Theologie zu meiden und den Weg der alten
Antiochener zu wählen haben. Unter fcharfer Ablehnung j
der modernen Kenotiker, des Ritfchlfchen Löfungsver- j
fuches und der religionsgefchichtlichen Pofition kehrt
Seeberg im wefentlichen zur chalzedonenfifchen Zweina- i
turenlehre zurück. ,Es wird nach Gefchichte, Glaube und j
Vernunft immer bei dem Urteil bleiben, daß zwei Größen 1
„unvermifcht", aber auch „unzertrennt" in Jefus zur Einheit
feines perfönlichen Lebens verbunden waren, der Geift
als der ewige Heilswille Gottes und das Fleifch als das .
individuelle Leben Jefu' (253). Angefichts folcher Aus-
fagen, zu denen auch aus den übrigen dogmatifchen j
Betrachtungen zahlreiche Parallelen angeführt werden
könnten, dürfte die Frage aufzuwerfen fein, ob für die
von Seeberg vertretene Richtung die Bezeichnung Rödern
pofitiv' die wirklich zutreffende ift.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Frommel, Gaston, Etudes de theologie moderne. Saint-
Blaise, Foyer solidariste 1909. (403 p.) 8° fr. 4 —

Mit lobenswerter Rührigkeit und Energie fetzen die !
Herausgeber des Frommelfchen Nachlaffes ihr pietätvolles
Werk fort. Auf die bereits veröffentlichten Studien
allgemein religiöfen, ethifchen und fozialen Charakters
(f. Theol. Literaturzeitung, 1908 Nr. 3 und 10) laffen fie
in vorliegendem Bande fünf Abhandlungen folgen, die, j
aus den Jahren 1887—1897 flammend, einen ausgeprägter
theologischen Charakter an fich tragen, und daher auf
einen engeren Kreis von Lefern angewiefen find.

Nur ein Stück ift im Druck bisher noch nicht cr-
fchienen. Es ift das umfangreichfte (S. I—210), und
enthält Bruchftücke aus einer 1895 an der Genfer Univerfität
gehaltenen Vorlefung über die Gefchichte der modernen
Theologie. Nach einer längeren Einleitung (1—52), fetzt
fich der Verf. mit den Bahnbrechern (iuitiateurs) der
modernen Theologie auseinander, Kant (52—90), Hegel
(90—110), Schleiermacher (110—210). In der Einleitung
unterwirft F. die Aufklärung, deren Umfang er übrigens
zu eng faßt und in ihrer einfeitigen Befchränkung auf
das theologifche und kirchliche Gebiet berückfichtigt,
einer fehr fcharfen, die religiöfen Elemente derfelben
ohne Zweifel unterfchätzenden Kritik. Die erfte Kundgebung
eines neuen verheißungsvollen Geiftes erblickt er
in Herders Theologie, die ,den Sieg des hiftorifchen
Objektivismus über den rationaliftifchen Subjektivismus'
bezeichnet, und deren Bedeutung F., trotz des oberflächlichen
moralifchen und religiöfen Optimismus und des
oft dilettantifchen Charakters der Herderfchen Werke,
fehr hoch einfehätzt. Die fechs nun folgenden, Fichte
gewidmeten Seiten (44—50) find vielleicht durch ein
Verfehen der Redaktoren hier eingeftellt worden, denn
Frommel war mit dem Entwickelungsgang der deutfehen
Philofophie viel zu eingehend vertraut, um feine ausführliche
und fcharffinnige Darftellung der Kantfchen Erkenntnistheorie
, Freiheitslehre und Religionsphilofophie
erft auf die Erörterung der Fichtefchen Gedanken folgen
zu laffen. Während Fr. der Kantfchen Erkenntnistheorie
beipflichtet, wirft er dem Königsberger Philofophen eine
unvollftändige und falfche Analyfe des kategorifchen
Imperativs vor, und vermißt eine Beftimmung des Ver-
hältniffes der theoretifchen und der praktifchen Vernunft.
— An dem Hegelianismus lobt Fr. die tiefere Faffung
der zwifchen der göttlichen und der menfehlichen Natur
beftehenden Verwandtfchaft und das fich daraus ergebende
neue Verftändnis der Offenbarung; durchaus verwerflich
aber fei fein logifch metaphyfifcher Optimismus, der die
ganze Atmofphäre des 19. Jahrhunderts vergiftet habe.
II ny a point de doctrine plus eneroante pour la murale,
plus debilitante de la volonte que la sieune (107). Den
umfaffendften Raum nimmt Schleiermacher ein, deffen
Hauptfchriften Fr. in lichtvoller Darftellung und mit warmer
Teilnahme analyfiert. Wegen feiner Unabhängigkeitserklärung
der Religion und feiner Betonung der Selbftändig-
keit der evangelifchen Glaubenslehre ift ihm Schleiermacher
nicht nur ein Theologe, fondern der Theologe,
auf den immer wieder zurückzugehen ift (147). Seine
bleibende Bedeutung liegt in der von ihm vollzogenen
Synthefe des Supranaturalismus und des Rationalismus,
in der Konfequenz, mit welcher er durch die Fortbildung
und Verinnerlichung der reformatorifchen Pofition der
proteftantifche Theologe par excellence gewefen ift, in
der Ausbildung feiner aus dem chriftlichen Glauben
abgeleiteten dogmatifchen Methode. Den Grundmangel
der Schleiermacherfchen Theologie findet Fr. in feinem,
die Freiheit aufhebenden und für die Moral tödlichen,
religiöfen Determinismus, genauer in der Art, wie Schi,
die Religion befchreibt, als sentiment d'une dependance
absohie, reposant sur un rapport purement quantitatif,
exclusif de toute expression de valeur ou de qualite dans
le rapport (203).

Die zwei folgenden Artikel, Philosophie et Religion
1888 (211—221) und Theologie et Philosophie
1889—1890 (222—265) haben es vorwiegend mit metho-
dologifchen Fragen zu tun. Den Anlaß zur Behandlung
derfelben boten E. Navilles Schrift, La Philosophie et la
religion 1887, und der von Prof. Bois in Montauban 1888
gehaltene Vortrag über die Beziehungen des Hellenismus
zum Judaismus. Im Gegenfatz zu Naville verneint Fr. die
Möglichkeit einer ,chriftlichen Philofophie'. Ift doch die
Philofophie die Erklärung der Welt durch die natürliche
Menfchheit; fie kann daher das Chriftentum nur von
außen als eine natürliche, der fortlaufenden Menfchheits-