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Ausgabe:

1909

Spalte:

507-508

Autor/Hrsg.:

Baur, August

Titel/Untertitel:

Johann Calvin 1909

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Seite 1

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507

Theologikhe Literaturzeitung 1909 Nr. 18.

508

Jünglt, Pfr. Lic. J., Pietitten. 1.—10. Taufend. (Religions-
gefchichtliche Volksbücher für die deutfche chriftliche
Gegenwart. IV. Reihe, 1. Heft.) Tübingen, J. C. B.
Mohr 1906. (IV, 80 S.) 8° M. — 50;

kart. M. — 75; feine Ausg. M. 1.50

Nicht den Pietismus, fondern Pietiften will J. fchil-
dern; denn ,einen Normalpietismus oder beffer Normal-
pietiften gibt es nicht'. Er wählt die vier bedeutendften
Pietiften, weil fie den Pietismus jedes Mal in der Ausprägung
durch ein ftark hervortretendes Temperament
zeigen. Und zwar dürfe man zur bequemen Verdeutlichung
ihrer Charakterbilder in Spener den Phlegmatiker
, in Francke den Choleriker, in Arnold den Melancholiker
und in Zinzendorf den Sanguiniker des
Pietismus erblicken — eine Unterfcheidung, die fich dem
Lefer nach der Lektüre als glücklich bewährt. Natürlich
befchränkt fich J. nicht auf die bloße Schilderung diefer
4 Männer, er charakterifiert auch den Spenerfchen Pietismus
und das ,hallifche Chriftentum'. Dankenswert ift ein
kurzer Überblick über den Pietismus im 19. Jahrhundert
und befonders eine Einleitung über die kirchliche Lage
beim Aufkommen des Pietismus. J. unterfcheidet im
Eingang feine Betrachtungsweife von der Albrecht
Ritfchls. ,Tatfächlich hat der Pietismus nicht eine neue
Zeit mittelalterlicher Frömmigkeit heraufgeführt, fo viele
Beftandteile von folcher auch in ihm Herberge fanden ...
Vielmehr hat er unverkennbar der Aufklärung die Wege
geebnet. Im Gefchichtszufammenhang bildet er die Er-
weichungs- und Übergangsftufe vom ftarren, lutherifchen
Bekenntnischriftentum zu ihr'. Das Treibende im Pietismus
will J. daher nicht als einen Rückfall, vielmehr als
ein ,Prinzip des Fortfehritts' darfteilen. Diefe Aufgabe,
fcheint mir, ift richtig geftellt und glücklich gelöft, und
zwar in Form eines fehr lesbaren, auch für Laien wohl
verftändlichen Büchleins.

Frankfurt a. M. Schuft er.

Baur, Dekan D. A., Johann Calvin. 1.—6. Taufend.
(Religionsgefchichtliche Volksbücher für die deutfche
chriftliche Gegenwart. IV. Reihe, 9. Heft.) Tübingen,
J. C. B. Mohr 1909. (48 S.) 8° M. — 50; geb. M. — 80

Wie Wernle zum Gedächtnis Paul Gerhardts hat
Baur zum Calvin-Jubiläum ein Volksbüchlein gefchaffen,
das feine Aufgabe, den breiten Maffen unferer Gebildeten
ein klares und gerechtes Bild des vielgenannten,
viel gefcholtenen, aber wenig wirklich gekannten Mannes
zu liefern, trefflich erfüllen wird. Es genügt zur Kennzeichnung
des Büchleins, die folgende Charakteriftik
Calvins anzuführen: ,Es konnte nicht anders fein, als daß
fich in Calvin der Grundfatz, daß der Zweck die Mittel
heilige, bewußt und unbewußt immer tiefer feftfetzte,
d. h. der Grundfatz, daß der heilige, gottgewollte Zweck
auch den Gebrauch folcher Mittel rechtfertige, deren
Anwendung fonft für ein geläutertes üttliches Gefühl
völlig anftößig und verwerflich ift, wenn eben kein anderes
Mittel zur ficheren Erreichung des Zweckes fich
darzubieten fchien. Auf die Erreichung des Zieles zu
verzichten um eines Mittels willen, das dünkte Calvin
ein Verrat an Gottes Ehre und Sache zu fein. Nur von
diefem Standpunkt aus ift es möglich, ebenfo fehr die
unbedingte Hingabe, die ftaunenswerte Leiftungskraft
Calvins in der Erfüllung feiner Lebensaufgabe zu würdigen
, als auch die abflößende und widerliche Härte,
Rückfichtslofigkeit und Graufamkeit zu verliehen, nicht
zu entfchuldigen, mit der er feine Gegner behandelt und
vernichtet'. — Daß B. Calvins Lehre nur kurz fkizziert
und wefentlich fein Leben, Kämpfe, Leiden und Erfolge
fchildert, entfpricht durchaus dem Zweck des Büchleins.
Aufgefallen ift mir, daß einige Dinge als zweifellos erzählt
find (z. B. Aufenthalt in Ferrara mit nachfolgendem
heimlichen Befuch in Noyon 1536), die gewöhnlich
für unficher gelten.

Frankfurt a. M. Schufter.

Meissner, Prof. Dr. Bruno, Kurzgefaßte AlfyrifcheGrammatik.

Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung 1907. (V,
80 S.) gr. 8° M. 3—; geb. M. 3.50

Zu Ungnads f. Z. in diefer Literaturzeitung befpro-
chenen Babylonifch-affyrifchen Grammatik Hellt fich feit
1907 die Meißnerfche Grammatik als ein Seitenftück. Ohne
Neues von erheblichem Belang zu bringen — was übrigens
ja auch bei dem heutigen Stande der Forfchung garnicht
mehr erwartet werden konnte — bietet fie die bekannten
Hauptfachen der affyrifchen Grammatik im wefentlichen

! korrekt und kann daher dem Anfänger empfohlen werden.

i Allerlei Unrichtigkeiten und Verfehen grammatifcher
und lexikalifcher Natur find als leidige Notwendigkeiten

i mit in den Kauf zu nehmen. Der Charakter diefer Zeit-

j fchrift verbietet es mir, hier eine Lifte davon zu geben.

j Für eine zweite Auflage möchten wir dem Verfaffer den
Wunfeh ans Herz legen, für feltnere von ihm regiftrierte
grammatifche Erfcheinungen Belegftellen zu geben.
Dadurch würde er fich auch feine Kollegen von der
Affyriologie zu Danke verpflichten.

Marburg. P. Jenfen.

Bacon, Prof. Benjamin Wisner, D.D., LL.D., The Begin-
nings of Gospel Story. A historico-critical Inquiry into
the Sources and Structure of the Gospel aecording
to Mark. With expository Notes upon the Text, for
english Readers. New Häven. London, IL Frowde
1909. (XLI, 238 p.) gr. 8»

Das Buch Bacons bietet eine Erklärung des Markusevangeliums
, deffen Eigenfchaft als älteftes Evangelium
verftändigerweife nicht erneut unter Beweis geftellt, fondern
einfach vorausgefetzt wird. Bacon will mit feinem
Werke nicht nur die Wiffenfchaft fördern, fondern auch
intereffierten Laien dienen. Diefer Zweck benimmt die
Anlage. Verf. gibt eine vollftändige englifche Über-
fetzung der von ihm kommentierten Schrift, wobei er
die wichtigften Varianten unter dem Strich berückfich-

1 tigt. Weiter teilt er mehr nur die Refultate mit, die
fich ihm bei feinen Studien herausgeftellt haben, als

j daß er fie in langer Auseinanderfetzung mit den Fach-
genoffen erft erftritte. Er kann fich ein folches Verfahren
erlauben, ohne dem Verdacht mangelnder

j Kenntnis zu verfallen. In einer größeren Anzahl von
Publikationen hat er fich ja mit den brennenden Fragen
der Evangelienforfchung befaßt, und auch feine vorliegende
Leiftung zeigt, fowenig fie es aufdringlich zur
Schau trägt, genaue Vertrautheit mit den im Vordergrund
flehenden Problemen wie mit den bisher unternommenen
Verfuchen zu ihrer Löfung.

Auch die Anordnung des Stoffs will es dem Laien

j erleichtern, den Ausführungen zu folgen. Das, was die
Ausleger fonft in einer allgemeinen Einleitung der Ein-
zelexegefe voranzufchicken pflegen, ift durch das ganze

j Buch hin verteilt, und die zusammenhängenden Erör-

I terungen finden fich jedesmal da, wo der Text fie
fordert. So beginnt z. B. der zweite, bei Mk. 8,27 anhebende
Teil mit fehr belehrenden Ausführungen über
das meffianifche Bewußtfein Jefu (S. 103—111). Nach
einem fcharffinnig ermittelten Plan werden die einzelnen
Perikopen durchgenommen, und zwar fo, daß (ich an
eine Paraphrafe des Inhaltes und einen kritifchen Überblick
die Detailauslegung anfchließt.

Von der gewiß zutreffenden Anficht ausgehend, daß
fich das Intereffe heute weniger auf die Frage: Was meint
Markus? als auf die andere: Wie fleht es mit der Ge-
fchichtlichkeit des von dem Evangeliften Berichteten?