Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909

Spalte:

25-27

Autor/Hrsg.:

Steinmann, Theophil

Titel/Untertitel:

Der religiöse Unsterblichkeitsglaube. Eine religionsvergleichende Studie 1909

Rezensent:

Lobstein, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. t.

26

erfcheint ein anderer Fehler, der allerdings auch fonft
noch begangen wird. Bei der Darfteilung und Kritik
wird nicht gebührend auseinandergehalten, wie die einzelnen
Theologen die religiöfe Erfahrung beflimmt, und wie fie
diefelbe verwendet haben; und inbezug auf letzteres wird
wiederum nicht gebührend unterfchieden zwifchen den
drei heterogenen Fragen: welche Bedeutung die in Betracht
gezogenen Dogmatiker der Erfahrung für die Ent-
ftehung des chriftlichen Glaubens, welche fie ihr für die
apologetifche Begründung der chriftlichen Gewißheit,
und welche fie ihr endlich für die Erhebung und Auf-
ftellung der chriftlichen Lehre beigemeffen haben. Das
führt zu fchiefen Charakteriftiken und ungerechten Urteilen
. Es ift bcifpielsweife durchaus denkbar, daß ein
Theologe die fubjt-ktive Erfcheinung der Wiedergeburt
zum einzigen Stützpunkt nimmt bei der apologetifchen
Begründung der chriftlichen Gewißheit und dennoch die
Bedeutung der objektiven Heilstatfachen für die Entftehung
des chriftlichen Glaubens keineswegs leugnet. Das transzendentale
oder apologetifche Problem i(t eben ein anderes
als das pfychologifch-genetilche. Pirft am Schluß
des Buchs macht fich beim Autor die Einficht in die
prinzipielle Verfchiedenheit der gekennzeichneten Fragen
einigermaßen bemerkbar, als ob fie ihm nachträglich im
Laufe der Arbeit erwachfen wäre. Hätte er daraufhin
das Ganze noch einmal gründlich revidiert, fo würde
gewiß manches von ihm doch anders formuliert worden
fein. Einzelne unzutreffende Urteile und Mängel noch
befonders herauszuheben würde zu weit fuhren. Nur
darauf fei hinzuweifen erlaubt, daß es nach den jüngften
Forfchungen nicht mehr angeht, die Schleiermacher'fchen
Reden in dem Maße des Spinozismus zu bezichtigen, wie
es hier gefchieht.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Steinmann, Doz. Lic. Theophil, Der religiöfe Unfterblich-

keitsglaube. Eine religionsvergleichende Studie. (Berichte
des theologifchen Seminariums der Brüdergemeine
in Gnadenfeld. Heft VIII. 1908.) Leipzig, F.
Janfa 1908. (VIII, 71 S.) Lex. 8» M. 2 —

Diefe im Anfchluß an den intereffanten Bericht über
das theologifche Seminar der Brüdergemeinde in Gnadenfeld
veröffentlichte ,religionsvergleichende Studie' unter-
fucht zuerft den ,Seelenglaubeu der religiöfen Niederungen',
d. h. der primitiven Religionen (4—21). Wir finden hier
ein Durcheinander verworrener Vorftellungen, denen eine
Summe von Scheineifahrungen, Vorftellungsaffoziationen,
naiven Erwartungen und primitiven Gefünlen zugrunde
liegt: die Seele ift entweder der unfichtbar gewordene
Menfch, oder auch ein Hauch, ein Schemen, ein winzig
kleines Etwas, dem keineswegs unvergängliche Wefenheit
zukommt, das vielmehr einem allmählichen Vergehn unterworfen
ift. Bald ift in diefem Vorftellungskreife von einer
Jenfeitswelt keine Rede, bald fchwebt das Bild eines
Totenhaufes, einer Totenftadt, eines Totenlandes der
Phantafie vor. Die Vorftellung, daß die Toten bei dem
weilen, der alles gemacht hat, Hellt öfters eine Verbindung
des Seelenglaubens mit dem Götterglauben her. Von
einer praktifchen Wirkung diefes Glaubens auf das Leben
läßt fich, foviel wir urteilen können, kaum reden. Da der
Jtnfeitsglaube einfach ein Stück profaner Weltanfchauung
ift, handelt es fich höchftens um Maßnahmen, die darauf
ausgehen, jene gefpenftifchen Wefen zu verfcheuchen und
fernzuhalten oder auch fie günltig zu ftimmen. Befonders
beachtenswert ift der Nachweis, wie gerade diefe primitiven,
mit mancherlei Aberglauben behafteten Gedanken auch
im Herrschaftsbereich der chriftlichen Frömmigkeit eine
gewiffe Rolle fpielen. Nach einigen Seiten über die
magische Unfterblichkeitspraxis (22—25), geht der Verf.
zum Unfterbhchkeitsglauben unter der Einwirkung des
Sittlichen über (26—46). Mit dem Erllarken der fittlichen

Wertungen gewannen die ethischen Vorftellungen von
der Verfchiedenheit des jenfeitigen Schickfals mehr und
mehr das Übergewicht: man fchied zwifchen einem Ort
der Freude und einem Ort der Trauer nach Maßgabe der
fittlichen Beurteilung des Menfchen. Die praktifche Motivationskraft
des jenfeitigen Vergeltungsglaubens ift in
den verfchiedenen gefchichtlichen Religionen fehr ver-
fchieden beflimmt. Das von dem Verf. über den fittlichen
Einfluß des jenfeitigen Vergeltungsglaubens gefällte Urteil
lautet fehr ungünftig: das von diefem Glauben unabtrennbare
Schema von Lohn und Strafe bringt es mit fich daß
die Vergeltungsftrafe nicht unmittelbar felbft als innere
p'olge der Handlung, fondern als ein äußerlich hinzugefügtes
Übel, ebenfo der Lohn als ein äußerlich hinzugefügtes
Gut betrachtet wird. Erft der Glaube an eine
jenfeitige Vollendung erzeugt eine wirkliche Vergeiftigung
und Verfittlichung der Vorftellungen vom jenfeitigen
Dafein, zugleich fetzt er diefe Vorftellungen in einen
innerlichen und wirkfamen Zufammenhang mit dem irdischen
Leben und Streben. Das ,die Herftellung einer
organifchen Verbindung zwifchen dem Jenfeitsglauben und
dem Gottesglauben' behandelnde vierte Kapitel (47—56)
hat es befonders auf die Befchreibung der Sonderart des
chrifllichen Vollendungsglaubens abgefehn und grenzt den-
felben einerfeits gegen den myftifchen naturhaften Vollendungsglauben
und andrerfeits gegen andere Formen teleo-
logifchen Vollendungsglaubens ab. Ein Doppeltes ift hier
von grundlegender Wichtigkeit. Einmal trägt die Gottes-
gemeinfchaft, ein gegenwärtiger Befitz des ewigen Lebens,
wie fonft alles, fo auch die Zuverficht im Blick auf das,
was jenfeits des Grabes liegt; zum Zweiten findet der
Jenfeitsglaube nicht nur auf die eigene Perfon Anwendung,
er enthält ein univerfaliftifches Element in fich, für den
chriftlichen Unfterbhchkeitsglauben ift der Gedanke an
das ,Reich Gottes' durchaus wefentlich. Diefer in der
chriftlichen Frömmigkeit wurzelnde Vollendungsglaube ift
Überzeugung, d. h. im Innern der Persönlichkeit begründete
Gewißheit. Die ihrem Überzeugungscharakter entfprechend
im Leben fich wirklich auswirkende Gefamtüberzeugung
ift es, die auch in der Form der Teilübcrzeugung von
der jenfeitigen Vollendung zu eigentümlicher Wirkung
kommt (57—62). Den Abfchluß — .foweit diefe Vorunter-
fuchungen Abfchließendes bringen können' (63) — bildet
der Hinweis auf ,einzelne Refultate' (63—70), die fich aus
der Gefamtdarftellung ergeben. Alles, was feinem Wefen
nach nicht als Gegenftand einer auf frommem Gottesverhältnis
ruhenden Überzeugung angeeignet werden kann,
ift nichtein Beftandteil chriftlichen Unfterblichkeitsglaubens.
Es kann fich deshalb auch einer beim Sterben mit zu-
verfichtlicher Vollendungshoffnung in Gottes Hände legen,
ohne daß er über Dinge Sicherheit befitzt, die vielleicht
zur Ausmalung der jenfeitigen Exiftenz, nicht aber zum
Wefen des chriftlichen Vollendungsglaubens gehören.

Dies der in kurzen Zügen wiedergegebene Inhalt
der anregenden, über ein reiches Material verfügenden
Studie. Sie bildet einen höchft wertvollen Beitrag zur
vergleichenden Religionsgefchichte, den kein Lefer ohne
dankbare Belehrung und Förderung aus der Hand legen
wird. Die dem Verf. zu zollende Anerkennung würde
indeffen noch voller und freudiger fein, wenn er fich
nicht eine Befchränkung auferlegt hätte, welche die
Wirkung und deshalb wohl auch den Wert feiner fchönen
Arbeit beeinträchtigen muß. Seine Studie ift lediglich als
Phänomenologie des religiöfen Unfterblichkeitsglaubens'
gedacht (Seite 2. 20), fie verfahrt daher objektiv befchrei-
bend; zur Konftituierung einer Normwiffenfchaft will fie
nichts beftimmtes abwerfen. Wohl kann St. von Wert-
abmeffungen und Abftufungen der religiöfen Gedankenwelt
nicht ganz abfehen, und auf diefem Wege gelangt
der Lefer auch zum Verftändnis und zur Beurteilung der
Eigenart des chriftlichen Unfterblichkeitsglaubens; allein
er geht doch nirgends mit klar ausgefprochener und fett
durchgeführter Abficht auf die ,Wahrheitsfrage' ein; nur