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Ausgabe:

1909 Nr. 15

Spalte:

433-434

Autor/Hrsg.:

Dähnhardt, Oskar (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Natursagen. Eine Sammlung naturdeutscher Sagen. Märchen, Fabeln und Legenden. Bd. I. Sagen zum Alten Testament 1909

Rezensent:

Volz, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 15.

434

Leider kann ich nicht feftftellen, aus welchem Grunde
Th.-D. in den femitifchen Infchriften den Gott von Nippur
,Bel' nennt, weil mir die Originalpublikationen der Texte
augenblicklich nicht zugänglich find. Sollte in ihnen der
Name des Gottes wirklich anders als ilu en-lil gefchrieben
fein? Diefe Schreibung ift aber, wie wir jetzt wiffen, auch
femitifch ,EnhT oder ,Ellil', nicht aber ,BeT zu lefen. —
An den Überfetzungen ift mir eines aufgefallen: die
gleichen Wendungen desSumerifchen werden imDeutfchen
nicht immer durch die gleichen Worte wiedergegeben.
Das ift kein großes Unglück, aber methodifch jedenfalls
nicht richtig.

Diefe kleinen Ausftellungen follen natürlich den Wert
des Buches keineswegs herabfetzen. Es fei dem Studium
aller, die fich für die politifche und Kulturgefchichte des
alten Orients intereffieren, angelegentlich empfohlen.
Niemand wird es ohne Nutzen aus der Hand legen.
Berlin. Friedrich Küchler.

Naturfagen. Eine Sammlung naturdeutender Sagen, Märchen
, Fabeln und Legenden. Mit Beiträgen von
V. Armhaus, M. Boehm, J. Bolte, K. Dieterich, H. F.
Feilberg, O. Hackmann, M. Hiecke, W. Hnatjuk, B. Ilg,
K. Krohn, A. von Löwis of Menar, P.Poh'vka, E.Rona-
Sklarek, A. Zdziarski und Anderen herausgegeben
von Oskar Dähnhardt. Band I. Sagen zum Alten
Teftament. Leipzig, B. G. Teubner 1907. (XIV,
376 S.) Lex. 8° M. 8 —

Wir müffen bei der Sammlung Dähnhardts von vornherein
beachten, daß fie nur die naturdeutenden Sagen
umfpannen will, und daß fie in erfter Linie der nachbib-
lifchen Zeit, nicht der Antike fich widmet. Mit Hilfe
von Fachkennern und Freunden hat D. eine große Menge
naturdeutender Sagen zum AT. aus der ganzen Welt
zufammengetragen; jüdifche, arabifche, deutfche, Ikandi- j
navifche, holländifche, englifche, franzöfifche, italienifche,
rufiifche, polnifche, bulgarifche, rumänifche, neugriechifche,
finnifche, lettifche, indianifche u. a. Erzählungen und Ge- |
fchichtlein ziehen an unferem Auge vorüber. Es find
Sagen zur Weltfchöpfung, zur Erfchaffung des Menfchen
und des Weibs, Teufelsfagen, Gefchichten zum Sündenfall
und dem was mit ihm zufammenhängt, zu Kain und
Abel, Sintflutfagen, zum Sündenfall der Engel, zu den
Eigenfchaften des Weins, Sagen zu den Perfönlichkeiten
des AT. von Abraham bis Salomo, Hiob und Jona.
Dabei werden in trefflicher logifcher Ordnung die Stoffe j
in ihre einzelnen Züge geteilt und die entfprechenden
Erzählungen dazu rubriziert. Wenn diefe Sagen ,Sagen ,
zum AT.' genannt find, fo ift diefe Formel in einem j
doppelten Sinn zu verftehen; einerfeits find es Erzählungen
, die zweifellos erft aus dem biblifchen Bericht j
entftanden, wie insbefondere bei den Stücken aus der
israelitifchen Patriarchen- und Volksgefchichte; andrer-
feits aber und weit überwiegend find es folche, die ihren
erften Urfprung ganz wo anders haben als im AI.
und bei denen die AT.liehe Form eben nur eine unter
vielen andern darftellt; etliche liegen in der Mitte zwifchen
diefen beiden Gruppen. Unter der Einwirkung iranifcher,
indifcher, gnoftifcher, moslemifcher, jüdifcher Tradition und
unter dem Einfluß apokryphen Schrifttums (vgl. Adambuch
) haben fich die Sagen dann weiter entwickelt. Wenn
nach alledem der Hauptnutzen der D.fchen Sammlung
naturgemäß nicht auf dem Gebiet der AT.lichen Fach-
wiffenfehaft liegen will und manches in dem Buch enthalten
ift, was zum AT.lichen Stoff in keiner Beziehung ;
mehr fleht, fo finden wir doch, namentlich bei der zweiten
der vorhin genannten Gruppen manchen exegetifch und
religionsgefchichtlich wertvollen Beitrag für das Verftändnis
des AT."

Von Bedeutung ift die Frage nach den Urquellen
der Stoffe und nach den Wanderungswegen. Verf. be-

fpricht fie vor allem bei den Schöpfungsfagen. Er hat
dabei mehr die nachislamifche und mittelalterliche Periode
im Auge, aber es fällt doch auch etwas für unfere Er-
forfchung der Antike ab. Denn eine gewiffe Ähnlichkeit
der mittelalterlichen und der antiken Vorgänge wird
nicht geleugnet werden können. Als Hauptquellgebiete
nennt der Verf. das iranifche Land (Dualismus, Teufel als
Miturheber der Schöpfung) und Indien. Die Wanderung,
die feiner Anficht nach fchon in der Zeit vor Darius
begann, bewegte fich vor allem auf den Straßen des
Warenverkehrs, von denen er drei Hauptftraßen hervorhebt,
die indifch-pontifche über Kafpifches und Schwarzes
Meer bis Griechenland, die perfifche ebenfalls bis zu den
Kolchern, die zentralafiatifche zum Ural und China.
Die weitgehende Ähnlichkeit der amerikanifchen Sagen
beweift, daß der Verkehr von Afien von alter Zeit her
über die Behringftraße in den andern Erdteil hinüberlief.
Die beiläufigen Bemerkungen des Verf. eröffnen hier teilweife
weite Perfpektiven für die Frage der antiken Sagenwanderung
.

Verf. nennt feine Sammlung nur einen Anfang. Aber
der Anfang ift das bedeutungsvolle, und wir wünfehen
mit ihm, daß die fördernde Teilnahme der Wiffenfchaft
aus den Fachgebieten und verwandten Kreifen feinem
Werk zuteil werde.

Tübingen. Volz.

Weftphal, Priv.-Doz. Lic. Dr. Guftav, Jahwes Wohnltätten
nach den Anfchauungen der alten Hebräer. Eine alt-
teftamentliche Unterfuchung. (Beihefte zur Zeitfchrift
für die altteftamentliche Wiffenfchaft. XV.) Gießen,
A. Töpelmann 1908. (XVI, 280 S.) gr. 8° M. n —

Fünferlei Wohnftätten Jahwes find es, die Weftphal
unterfcheidet. Zuerft der Gottesberg (Stnai-Horeb). In
einer eingehenden, beachtenswerten Quellenunterfuchung
bemüht fich W. herauszuftellen, was der ältefte Kern der
Erzählungen war und fondert dabei vor allem das Material
, das J und E vorlag, und die Bearbeitung des Stoffs
durch J u. E. Nach dem älteften Kern nun fei Jahwe
auf dem Gottesberg wohnend gedacht gewefen, als Gewitter
- und Vulkangott; Gewittergott und Vulkangott
fchließen fich nicht aus, fondern ergänzen fich (?). W.
wendet diefe Erkenntnis auch religionsgefchichtlich an
und opponiert gegen Baentfch und Volz. Mofe habe den
Jahwe vom Gottesberg zunächft durch die Erzählung
der Midianiter kennen gelernt und fei wohl durch die
Händige Beobachtung der Naturphänomene, die fich auf
dem Gipfel des Berges abfpielten, für den Gott der
Midianiter gewonnen worden. Dazu kam ein tieferes
religiöfes Erlebnis. Der mofaifche Gott fei noch ganz
an den Ort gebunden gedacht gewefen, die mofaifche
Zeit repräfentierte die Stufe des Nomadenlebens, des
Wüftendafeins. In diefem Zufammenhang begeht W.
den verhängnisvollen Fehler, religionsgefchichtlich-primi-
tiv und gefchichtlich-urfprünglich miteinander zu ver-
wechfeln; er fchält den primitiven Kern der Sagen des
PZxodusbuches heraus, findet in ihnen den Gott des
Naturphänomens und den lokalgebundenen Jahwe und
fchließt nun daraus, daß dies in Wirklichkeit derurfprüng-
liche Glaube, der gefchichtliche Glaube, die gefchichtlich
wirkliche Gotteserkenntnis des Mofe gewefen fei. — Wie
der Gottesberg hieß und wo er lag, fei nicht mehr ficher
zu fagen; wahrfcheinlich haben die Schriftfteller felbft
keine deutliche Vorftellung mehr gehabt. W. vertritt
die anfprechende Hypothefe, der Gottesberg Mofes fei
in Edom, in der Nähe von Kades gelegen, er habe im
Lauf der Zeiten verfchiedene Wandlungen durchgemacht,
der Name Sinai habe fich erft fpäter an ihn geheftet.

Als nun Israel nach Kanaan kam, blieb Jahwe zunächft
mit dem Gottesberg verwachfen. So wird feine
Gegenwart im Volk durch allerlei vermittelnde Perfonen

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