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Ausgabe:

1909 Nr. 15

Spalte:

431-433

Autor/Hrsg.:

Thureau-Dangin, F.

Titel/Untertitel:

Die sumerischen und akkadischen Königsinschriften 1909

Rezensent:

Küchler, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 15.

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Gegenteil; und ich wünfchte, Muß-Arnolt hätte mich recht
oft korrigieren können, ftatt fich mit mir zu identifizieren.

Gravierender erfcheint es, wenn Muß-Arnolt auch
jetzt noch durchaus nicht völlig in die Einzelheiten des
Sprachbaus, ja des Schriftfyftems eingedrungen i(t, wenn
wir auf Schritt und Tritt bei ihm auf Lapfus ftoßen, die
wir dem Studenten mit ein paar affyrifchen Semeftern
verübeln müßten. Beifpiele hierfür zu geben muß ich
mir in der Theologifchen Literaturzeitung vertagen. Für
den Nur-Theologen wären fie unverftändlich und für den
Affyriologen wie den im Affyrifchen bewanderten Theologen
find Beifpiele überflüffig.

Dürfen wir fomit gegenüber dem Muß-Arnolt'fchen
Werke mit ftrengem Tadel nicht zurückhalten, einem
Tadel, der nur dadurch eine fubjektive Milderung erfahren
darf, daß Muß-Arnolt bei feiner Eigenart fchwerlich viel
anders hätte arbeiten können, fo dürfen wir andrerfeits
auch feinem bewunderungswürdigen aufopfernden Fleiße,
mit dem er verfucht hat, fich durch die ausgedehnte z. T.
ficherlich wenig reizvolle Literatur durchzuarbeiten und
die Literaturangaben mit möglichfter Vollftändigkeit zu
bringen, unfere vollfte Anerkennung nicht vertagen. Zu
derartigen doch gewiß im Ganzen qualvollen Arbeiten
gibt fich nicht leicht Jemand her.

Und diefem Fleiß, wenn er auch durchaus nicht voll-
ftändig fein Ziel erreicht hat, find doch Refultate zu danken,
in denen Jedermann oder doch fehr Viele wefentliche
Vorzüge auch vor dem Delitzfch'fchen Handwörterbuch
erkennen müffen. Delitzfch hat fich beim Aufbau feines
Buchs um die Arbeiten der Anderen nur loweit gekümmert,
wie es ihm grade einfiel. Von deren prinzipieller eigentlich
doch abfolut notwendiger Berückfichtigung ift darin
keine Rede. Sic volo sie jubeo, das ifl fein Grundfatz;
daß Andere in fehr vielen Fällen über die Grundlagen
feiner Forfchungen viel weiter hinausgekommen find als
er, weiß er nur allzu oft nicht. Und fo war denn fein
Wörterbuch in unzähligen Dingen bereits bei feinem
Erfcheinen antiquiert. Anders Muß-Arnolt. Bei ihm
kommt Jeder und auch das befcheidenfle Verdienft zu
Wort. Er dekretiert nicht unter Ausfchluß anderer fchon
geäußerter Anflehten, fondern ftellt eben alles Vorhandene
zur Wahl. Und bei ihm erfieht man nun auch,
wer an dem Ausbau des affyrifchen Wörterbuchs alle
tätig gewefen ift, wer von den ganz Großen und den
ganz Kleinen. Delitzfch nennt zwar auch vereinzelt einmal
einen Vorgänger. Aber das hat nur zur Folge, daß der
Uneingeweihte garnicht umhin kann, den Schluß zu ziehen,
fein Handwörterbuch ftelle, ftatt den Arbeitsertrag zahlreicher
Affyriologen, darunter auch von ihm, wenigftens
im Großen und Ganzen nur feine eigenften Früchte dar.
Es wäre fchon darum richtiger gewefen, wenn Delitzfch
niemals einen glücklichen Finder genannt hätte. Eine
Verpflichtung dazu lag für ihn ja garnicht vor.

Sehr wefentlich ift es fchließlich auch, daß der Ab-
fchluß des Muß-Arnolt'fchen Werkes faßt ein Jahrzehnt
nach dem des Delitzfch'fchen erfolgte. Denn dem ift es
zu verdanken, daß Muß-Arnolt noch z. T. die Refultate
einer größeren Anzahl wichtiger lexikographifcher Arbeiten
verwerten konnte, die in diefem Zeitraum erfchienen find.

Im Ganzen dürfen wir alfo jetzt das Seitenftück zu
Delitzfch's Handwörterbuch trotz fchwerer Mängel als
eine wichtige und für den Affyriologen fehr nützliche,
ja unentbehrliche Ergänzung zu jenem bezeichnen.

Marburg. P. Jenfen.

Thureau-Dangin, F., Diefumerifchenund akkadifchenKönigs-
infehriften. (Vorderafiatifche Bibliothek. I. Band, Abteilung
1.) Leipzig, J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung
1907. (XX, 275 S.) gr. 8° M. 9 — ; geb. M. 10 —

Das Buch, durch das fich das neue Unternehmen
des Hinrichs'fchen Verlages aufs Befte einführt, enthält

die bisher bekannt gewordenen fumerifchen und femi-
tifchen Infchriften von Herrfchern Babyloniens und nahe
benachbarter Gebiete aus der Zeit vor dem Hochkommen
der Hammurabi-Dynaftie und Babylons. Seit dem Erfcheinen
des entfprechenden Teils der von Eberhardt
Schräder herausgegebenen Keilinfchriftlichen Bibliothek
hat deren Zahl fich nicht unwefentlich vermehrt. Sie
find hier fämtlich wiedergegeben, foweit fie hiftorifchen
Inhalt haben; dagegen vermißt man den Obelisk des
Manistüsu, der als Rechtsurkunde nicht aufgenommen
wurde, aber doch eigentlich nicht fehlen dürfte. Thureau-
Dangin war für die hier geleiftete Arbeit fraglos der
geeignetfte Mann. Durch feine Unterfuchungen über den
Urfprung der Keilfchrift, durch eine Umfchrift und Über-
fetzung der Zylinderinfchriften Gudeas in der Zeitfchrift für
Affyriologie Bd. XVIf. hat er fich längft als Meifter auf dem
fchwierigen Gebiete des Sumerifchen erwiefen. —■ Reich
ift die Ausbeute aus den hier zugänglich gemachten
Infchriften für die ältefte Gefchichte Babyloniens, die fich
an dem Faden der Gefchichte von Lagas aufreiht, und
für eine noch ausftehende Grammatik der fumerifchen
Sprache. Uns intereffieren hier aber weit mehr die
religionsgefchichtlichen Auffchlüffe, die fich aus den
Infchriften ergeben, und die zwar auch früher fchon
i erreichbar waren, jetzt aber erft allgemein zugänglich
gemacht find.

Schon in den älteften Texten finden wir eine große
Anzahl weiblicher Gottheiten, die hier noch deutlich
gefchieden find, während fie in fpäterer Zeit mehr oder
weniger in der einen Geftalt der Istar aufgehen; auch in
der fumerifchen Epoche tragen fie teils den Charakter
der Muttergöttin, teils erfcheinen fie als Liebesgöttinnen.
Die erfterwähnte Seite zeigt fich in den Angaben der
Herrfcher, daß Ninharfag ihre Mutter fei, daß fie von
ihr genährt feien mit heiliger Milch und dergl. In folchen
Vorftellungen liegt übrigens fraglos der Keim zu der
1 erft von Sargon und Naramfin vollzogenen Selbftver-
| götterung der Könige. Als Liebesgöttin dagegen erfcheint
i Nina fchon bei Urnina von Lagas, wenn er von den 40
Gatten der Göttin redet, oder wenn die Könige fich
[ ,erwählt von Nina', ,herzenserkoren von Nina' und ähnlich
nennen. Weiter fcheint der Erwähnung wert, daß
j fchon in ficher vorfemitifcher Zeit ein Gott Dumuzi-abzu,
i d. h. Tammuz vorkommt, der demnach nicht, wie von
Winckler und feinen Anhängern oft behauptet wird, erft
der fogenannten kanaanäifchen Schicht der Semiten angehört
. Dagegen erfcheint der Gott IM (Thureau-Dangin
nennt ihn ohne genügenden Grund Immer), d. h. der
femitifche Adad oder Ramman in Südbabylonien erft
nach der Eroberung durch Sargon und Naramfin von
Akkad, nämlich in den Infchriften Gudeas, und ift deswegen
vielleicht als genuin femitifcher Gott anzufprechen.
Ganz ficher ift diefer Schluß freilich nicht, weil die Nichterwähnung
des Gottes in früherer Zeit auf Zufall beruhen
kann. — Ferner fei hingewiefen auf die große Zahl der
von Gudea verehrten Gottheiten: es find ihrer über 50,
die offenbar fchon eine feft gegliederte Hierarchie mit
fehr verfchiedenen Rängen und Würden bilden. In feinen
Infchriften finden wir auch mancherlei Anfpielungen auf
Mythen, die uns teilweife fonft garnicht oder nicht in der
Form bekannt find, die diefen Anfpielungen zugrunde
liegt; von einem ,reinen Schlangengott des Apfü' (S. 118,
27, i) z. B. wiffen wir fonft nichts und ebenfowenig von
einer ,reinen Antilope des Apsü' (S. 116, 24, 21) oder
einem .Drachen des Apsü, der ftrahlt' (S. 112, 21, 27). In
der fpäteren babylonifchen Mythologie fpielen zwar
Urmeertiere ebenfalls eine große Rolle, aber fie flehen
nicht in Verbindung mit dem Apsü, fondern mit Tiümat
und würden deshalb auch nicht als ,rein' oder ,ftrahlend'
bezeichnet werden können. — Befonderer Beachtung wert
find die vielen Nachrichten über kultifche Dinge, die die
Infchriften Gudeas enthalten. Sie verdienen es wohl, einmal
gefondert und eingehend behandelt zu werden. —