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Ausgabe:

1909 Nr. 14

Spalte:

412-414

Autor/Hrsg.:

Poschmann, Bernhard

Titel/Untertitel:

Die Sichtbarkeit der Kirche nach der Lehre des hl. Cyprian 1909

Rezensent:

Krüger, Gustav

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4ii

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 14.

412

zu dem gehört ohne weiteres der präexiftente und der
irdifche jefus, richtiger die beiden Kulminationspunkte
des irdifchen Lebens Jefu, Tod und Auferftehung. Diefe
beiden Tatfachen gehören unmittelbar zu dem Jefus Chr.,
wie ihn Paulus vor Augen hat, nicht fowohl als vergangene
Facta, fondern als Ertrag des irdifchen Lebens
Jefu und als in der Gegenwart fortwirkende Größen.
Deshalb kann Paulus, wenn er von J. Chr. redet, ohne
weiteres an den präexiftenten oder gekreuzigten und auf-
erftandenen Herrn denken — der Zufammenhang nur
kann zeigen, an welche Betätigung, bzw. Periode des
Mefliaslebens Jefu er denkt oder ob überhaupt keine
Spezialifierung vorliegt. Meines Erachtens gehören die
Stellen von I, II, III, IV und von V Gal. 1, 1, Rm. 1, 5,
II. Kor. 3, 4 zufammen. An ihnen wird J. Chr. durch
öia als Vermittler oder als wirkender Faktor gekennzeichnet
. Alles Nähere kann nur aus dem Zufammenhang
entnommen werden, nicht aus der .Formel'. An
den Präexiltenten wefentlich ift gedacht 1. Kor. 8, 6,
Kol. 1, 16 (Eph. 1, 5). Lediglich an den Erhöhten ficher
nur I. Theff. 4, 14; 5, 9, Rm. 5,9; 2, 16, Tit. 3, 6, II. Kor.
1, 5. Keinerlei Spezialifierung ift zu erkennen I. Kor.
15, 57; 8, 6, Rm. 5, 1, (Eph. 1, 5), Phil. 1,11. Dagegen ift
wefentlich an die Wirkung des Todes bzw. der Auferftehung
gedacht Rm. 5,2. 11b, II. Kor. 5, 18, Rm. 5, 17.
21 (vgl. 5, 18!) 8, 37, Gal. 6, 14, Kol. 1, 20 (f. v. 21 ff.!)
Eph. 2, 18 (f. v. 14ff.!). Bezeichnend ift Rm. 8, 37: all'
lv rovroig Jtäötv vcreovixcof/ev öia rov ayajtrjöavrog rjfiäg.
Man könnte an die Wirkfamkeit nur des Erhöhten denken
wollen, aber das Partizip verweift auf das Leben bzw. den
Tod Jefu (vgl. 8, 34!).

Einen befondern Platz nehmen ein die Wendung
,ermahnen, befehlen d. Chr.' (f. o. unter E IV) und die
Stellen, an denen vom Beten ,d. Chr.' die Rede ift. Zu
der Erklärung, die Sch. jener erften Wendung gibt, muß
ich erhebliche Fragezeichen machen; die von mir vor-
gefchlagene Erklärung, über die Sch. nicht genau referiert,
erfcheint mir immer noch wahrfcheinlicher; ich kann
aber nicht darauf eingehen. Befonders ftarke Bedenken
habe ich gegen das Verftändnis der Gebetsftellen (f. o.),
zu denen ich übrigens R. 5, na in keiner Weife rechnen
kann. Auch Sch gibt zu, daß die durch den fprachl. Ausdruck
zunächft gebotene Erklärung z. B. von euvaptöTeö
rm fferü fiov öia. rov xvq'iov ry.mv 7. Xq die auch von
mir gegebene ift: ich danke meinem Gott durch J. Chr.
(als den Vermittler des Dankens). Dagegen fprechen
nach Sch.aber die prinzipielle Vorftellung Pauli vom Gebet,
wonach beim Beten der Geift im Gläubigeu rede (fo
richtig?), und die paulinifche Vorftellung vom ,völlig
freien Zutritt zu Gott, der durch keine Zwifchenperfon,
auch nicht durch die des Erhöhten behindert ift' (S. 47).
Diefer Einwand läßt fich hören. Nur müßte dann eine
wirkliche, einwandsfreie Erklärung des Ausdrucks ,ich
danke durch J. Chr.' Rm. 1,8, 7, 25, Kol. 3, 17 oder der
Formel in der Doxologie Rm. 16, 27 ,durch J. Chr.'
gegeben werden. Nun fagt Sch. Rm. 1, 8: ,Das öia wird,
fo vermute ich (!), befagen, daß P. fich durch Chriftus
berechtigt weiß, über den Glauben der Römer dankbare
Freude zu empfinden'. Zu Kol. 3, 17: ,Mit svxagiörovvrsg
öi avrov aber tritt zu diefer Mahnung die Erinnerung, daß
das Gebot, alles im Namen Jefu zu tun, keineswegs eine
drückende Auflage bedeutet, fondern daß fie fich nur
dem Antrieb des in ihrem Herzen wohnenden Chr. zu
überlaffen brauchen'. Das ift doch keine fprachlich begründete
Erklärung! Man ift erftaunt, in der fonft fo
umfichtigen Ausführung des Verf. derartige vage un-
fichere Bemerkungen als Erklärungen zu finden. Solange
keine beffere wirkliche Erklärung des Ausdrucks ,danken
durch Chr.' gegeben wird, müffen wir es bei dem durch
den Wortlaut gebotenen nächften Verftändnis bewenden
laffen, wonach Chriftus den Dank vermittelt. Disharmonien
in des Apoftels Anfchauung gibt es auch fonft.
Das ift das für Paulus Bezeichnende, daß die Mittler-

ftellung Chrifti in feinen Augen den freien Zugang zu
Gott in keiner Weife hindert. Sch. vergißt, daß der
Herr nicht nur der Geift, fondern auch der Throngenoffe
j Gottes ift. Nicht um fonft heißen die Chriften ,die den
Namen unfers Herrn J. Chr. anrufen' oder ,die ihn an-
' rufen'. Und was anders ift der Sinn von Rom. 8, 34?
j In dem ,danken durch J. Chr.' haben wir eine der Spuren
! des fich entwickelnden Chriftus-Kultes, deffen Entliehen
für die Entwicklung des Chriftentums von fundamentaler
Bedeutung wurde. Es ift bezeichnend, daß diefe Wendung
und die zu ihr gehörende Vorftellung mit dem Kultus,
der Gemeindefrömmigkeit zufammenhängt. Und nicht
j minder bezeichnend ift es, daß gerade jin diefer liturgifchen
! Wendung die Verbindung .durch J. Chr.' ftereotyp zu
! werden beginnt, zur Formel wird Rm. (7, 25), 16,27,
II. Kor. I, 20 (,deshalb auch durch ihn das Amen Gott
j zur Ehre von unferer Seite'; die Formel wird gelautet
haben: ,Amen durch unfern Herrn J. Chr.').

Die Ausführungen Sch.s unter J (f. o.) fcheinen mir
völlig unficher; ich verliehe nicht, inwiefern z. B. in
Joh. 1, 7: ,Die Gnade und Wahrheit wurde durch J. Chr.'
i oder 3, 17 ,auf daß die Welt durch ihn gerettet werde'
; oder l.Joh.4, 9 Nachwirkungen der paulin. Formel ,Durch
Chriftus' vorliegen follen.

Meine Ausheilungen und Fragezeichen follen an
| ihrem Teil dem Verf. den Dank abtragen, den wir ihm
I fchulden.

Marburg. Heitmüller.

I Pofchmann, Präf. Dr. Bernhard, Die Sichtbarkeit der Kirche
nach der Lehre des hl. Cyprian. Eine dogmengefchicht-
liche Unterfuchung. (Forfchungen zur chriftlichen Literatur
- und Dogmengefchichte. Herausgegeben von
A. Ehrhard und J. P. Kirfch. Achter Band, Drittes
Heft.) Paderborn, F. Schöningh 1908. (X, 191 S.) gr. 8»

M. 6 —

Den ,Forfchungen zur chriftlichen Literatur- und
Dogmengefchichte' verdanken wir eine große Zahl tüchtiger
Arbeiten. Auch die vorliegende muß dazu gerechnet
werden. Ihrem wiffenfchaftlichen Charakter tut
es kaum Eintrag, daß die katholifche Überzeugung des
I Verfaffers ftark hervortritt. Aber es wird doch gut fein,
I daß man ihren Einfchlag nicht überfieht. Charakteriftifch
I heißt es (S. 43) von Harnacks Definition, wonach das
j Wefen des Katholizismus in der Vergöttlichung der
Tradition liegt, indem die empirifchen, ad hoc gefchaffenen
j und notwendigen Inftitutionen der Kirche für apoftolifch
erklärt, mit dem Wefen des Evangeliums verfchmolzen
! und außerhalb jeder Kritik geftellt werden, diefe Kennzeich-
I nung fei richtig, wenn man dabei die große Einfchränkung
mache, daß jene Inftitutionen auch tatfächlich göttlichen
Urfprunges find und nicht bloß fälfchlich dafür angefehen
I werden. Nun, fchließlich ift das eine Sache der dog-
! matifchen Wertung, die auf die Wahrhaftigkeit und
| Richtigkeit der Darfteilung des Tatfächlichen keinen Ein-
I fluß zu haben braucht. Unannehmbar ift es fchon, daß
die dem Kirchenvater felbft erteilte Zenfur zuweilen ihre
Norm von der Dogmatik erhält: ,Das Fehlerhafte feiner
Handlungsweife liegt in dem hartnäckigen Beharren auf
feinem Standpunkte' (S. 87), oder: ,Der Irrtum, welcher
für den Kirchenvater am verhängnisvollften werden
follte' (S. 184 f.), oder: ,Es ift falfch ... zu lehren (nämlich
, wie C. tut), daß es außerhalb der Kirche auch keine
objektive Gnadenwirkung .. gebe' (S. 49); oder: ,ln der
Anerkennung des Prinzips ftimmt Cyprian mit feinen
Gegnern überein, in der praktifchen Frage hat er geirrt'
(S. 86); oder: Jedenfalls hat er fich keine grundfätzliche
I Leugnung des Primats in Bezug auf feine Bedeutung im
j kirchlichen Lehramte zufchulden (!) kommen laffen'(S. 91)..

Die Dogmatik verführt gelegentlich auch zu Schlüflcn,
I bei denen der Hiftoriker nur den Kopf fchütteln kann.