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Ausgabe:

1909 Nr. 14

Spalte:

408

Autor/Hrsg.:

Baldensperger, W.

Titel/Untertitel:

Urchristliche Apologie. Die älteste Auferstehungskontroverse 1909

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 14.

408

der Evangelift hingegen, der Redaktor, geht ganz unfelb-
ftändig vor, quält fich ab mit Benutzung von Motiven
der älteren Erzählungsfchichten, paulinifchen Wendungen
und fporadifcher Verwertung des Materials der Logien-
fchrift. Es find nicht zum letzten äfthetifche Kategorien,
Gefchmacksurteile, nach denen der Verf. hier zu fcheiden
fucht, und da geht es begreiflicherweife nicht ohne ftarke
Subjektivitäten ab. Die früher von vielen belobte Erzählung
von der Heilung des Blinden von Bethfaida [richtiger:
Bethanien] nennt W. einen ,fchematifchen' Bericht (S. 143),
da diefer nach ihm erft vom Evangeliften flammt, während
er anderfeits keinen Blick hat für die Ungefchicklichkeiten
der Darftellung im Anfang der Gerafenergefchichte, die
er gänzlich auf Rechnung von M2 fetzt. Den Nachweis
einer faft durchgehenden Abhängigkeit des Redaktors in
feinen Erzählungsftücken von den älteren Schichten vermag
W. nur mit großen Gewaltfamkeiten durchzuführen,
fo z. B., wenn er für das Nachtftück der Überfahrtsfzene
6,45 eine Abhängigkeit des Evangeliften von dem älteren
Gethfemanebericht darzutun fucht. Auch könnten viele
diefer fog. Anklänge eher die Gleichheit als die Ver-
fchiedenartigkeit der Autorfchaft beweifen. Die Abhängigkeit
des Redaktors von Paulus wird maßlos überfchätzt,
fo, wenn Marc. 10,38 an 1 Cor. 10,21 oder Marc. 13,32
an 1 Theff. 5,1 f. erinnern foll (S. I34f 165). Eine Benutzung
der fchriftlichen Logienquelle, die W. bei dem
Evangeliften, noch nicht bei Mt und M2, konftatieren zu
können glaubt, finde ich nicht auch nur halbwegs wahr-
fcheinlich. Weshalb ift diefe Benutzung eine fo freie
und fporadifche, — mehrfach foll fogar nur eine Hälfte
des betr. Ausfpruchs Jefu in freier Weife übernommen
worden fein —, während die älteren Erzählungsftücke
ganz fklavifch und unverkürzt dem Evangelium einverleibt
werden? Das Intereffe für die Worte des Herrn und
ihre überlieferte Form follte doch mindeftens ebenfo
groß gewefen fein wie für den Wortlaut erzählender
Berichte über das Leben Jefu. Behauptet man, wie das
ja auch fonft neuerdings wieder mehrfach gefchieht, eine
Abhängigkeit unferes Evangeliften von der fchriftlichen
Logienquelle, fo bringt man dadurch einen Wirrwarr in
die Behandlung der fynoptifchen Probleme, den ich
wenigftens für fchlechterdings unauflöslich halte.

Wichtiger aber als die Frage, ob W. die Quellen
der Marcus-Stoffe richtig aufgedeckt hat, ift die, ob feine
Scheidung der einzelnen Entftehungsfchichten des Evangeliums
eine glückliche Hand verrät. Ich muß diefe Frage
mehr verneinen als bejahen trotz mancher fcharffinnigen
Beobachtungen, die das Buch enthält. W. hat fich die
Löfung feiner Probleme dadurch ungemein erfchwert,
daß er die Hilfe verfchmähte, welche die Matth.- und
Luc-Parallelen mit ihrem vielfach kürzeren Texte für das
Aufdecken älterer und jüngerer Schichten in unferem
Evangelium uns darbieten. Um fo intereffanter ift es
freilich, daß er nicht fo ganz feiten zu Refultaten gelangt,
zu denen eine ganz andersartige Methode auch führt, die
vor allem auf die angeblichen Auslaffungen der Seitenreferenten
achtet. So fetzt er vieles, was bei Matth, oder
Luc. oder beiden Evangeliften nicht zu finden ift, auf
Rechnung des letzten Redaktors, ohne dabei den Gründen
immer nachzufpüren,welchediefeangeblichen Streichungen
bei Matth, oder Luc. veranlaßt haben. Auch ift manches,
was er zur Charakteriftik des Redaktors beibringt, zweifellos
gut beobachtet, fo z. B. fprachliche Eigentümlichkeiten,
wie die Vorliebe für övvaöfrai und evern, oder die Tatfache
, daß erft auf Rechnung des letzten Bearbeiters die
Durchführung der Theorie von der Verhüllung des
Meffiasgeheimniffes kommt. Ich bin jetzt auch in der
Lage, nachdem ich an meinen eigenen Theorien über die
Wandelungen des Urmarcus weitergearbeitet habe, W.
beizupflichten, wenn er einen urfprünglichen Zufammen-
hang zwifchen der Gefchichte der Auferweckung von
Jairi Töchterlein 5,21—42 und dem Urteil des Herodes
über Jefus 6,14 konftatiert, desgl., wenn er den fekundären

j Charakter der zweiten Speifungsgefchichte 8,1 ff. fowie

i des ganzen Abfchnittes 6,45—8,26 nachzuweifen fucht.

; Was übrigens die Stelle 6,14 anlangt, fo dürfte ihre
urfprüngliche Fortfetzung in 6,30, parallel Luc. 9,10
Matth. 14,12 c verborgen liegen, was auch W. noch nicht
gefehen hat: es kommen Leute und erzählen Jefu, was

] Herodes über ihn denkt, wodurch fich Jefus veranlaßt
fühlt, fich vor feinem Landesherrn zurückzuziehen.

Zum Schluß noch zwei Defiderien. So oft auch W.
auf den Stil der einzelnen Erzählungsfchichten im Evangelium
achtet, fo wird doch nirgends die jetzt fo brennende
Frage nach dem femitifierenden Charakter diefes Stils
geftreift. Und fodann: er berückfichtigt faft nirgends die
durch Neftle, Wellhaufen, Merx und meine Wenigkeit
inaugurierte Wendung der Textkritik, welche die Lesarten

1 des cod.D fowie der alten lateinifchen und fyrifchen Über-
fetzungen für die Wiederherftellung des relativ älteften
Marcus-Textes fruchtbar zu machen fucht. So operieren
diefe ,philologifchen Unterfuchungen mit einem zum Teil
veralteten Texte.

Königsberg i. Pr. R. A. Hoff mann.

Baldenfperger, Prof. W., Urchriitliche Apologie. Die ältefte
Auferftehungskontroverfe. Straßburg, J. H. E, Heitz
1909. (39 S.) 40 M. 2 —

Schon mehrfach hat befonders die Stelle Matth.
27,62—28,15 Anlaß zur Konftruktion einer andauernden
Kontroverfe gegeben, in deren Verlauf das auferftehungs-
leugnende Judentum und die gläubige Gemeinde immer
neue Inftanzen für und wider den ftreitigen Punkt aufzubringen
gewußt haben. In dem Motiv des Leichendieb-
ftahls, um das es fich dabei handelt, erkennt unfer Verf.
wohl mit Recht erft ein drittes Stadium, während im
erften die Jünger für ihren Glauben noch keine anderen
Beweife vorzubringen hatten, als die (nach S. 29b gali-
läifchen, nicht etwa wie bei Loofs, Korff, Spitta fchon
jerufalemifchen) Erfcheinungen. Ein zweites Stadium
brachte die Materialifierung der Auferftehung und war
nach der Darftellung des Verf.s bedingt durch die von
den jüdifchen Gegnern aufgebrachte Herleitung der
Erfcheinungen aus dem Dämonenglauben: es galt Widerlegung
des Einwandes, daß nur die als Dämon fortlebende
Seele des Gekreuzigten die Jünger heimgefucht haben
werde. Was der Verf. zugunften diefer Erklärung der
j veränderten Pofition zu fagen weiß (S. 12 f.), ift der Beachtung
wert und kann fich auf das von Ignatius Smyrn.
3,2 wahrfcheinlich aus dem Hebräerevangelium zitierte,
' zu Joh. 20,27 ftimmende Wort berufen ovx eiftl öaifiöpiov
| äomfiarov. Damit war dann aber Hervorgang des begrabenen
Leichnams vorausgefetzt, und fo ,fprang die
, Kontroverfe von den Erfcheinungen über auf das Grab'
1 (S. 16). Jetzt mußten alfo zuerft die Frauen die Leere
| desfelben bezeugen, dann auch die Jünger, die zu folchem
; Zweck in Jerufalem zu verbleiben hatten. Nur zu diefer,
auch noch in einem Anhang S. 35b befonders behandelten
Seite der mit Scharffinn und großem Aufgebot von altem
und neuem Wiffen durchgeführten Unterfuchung möchte
ich mir die Anmerkung erlauben, daß mir nach wie vor
I die umgekehrte Voraussetzung wahrfcheinlicher vorkommt,
daß nämlich erft das wirklich von den F"rauen leer befundene
Grab hinterher (Marc. 16,8) zur realiftifcheren
Ausgeftaltung der Vorftellung eingeladen, ja genötigt hat.

Baden. H. Holtzmann.

Schettler, Div.-Pfr. Lic. Adolph, Die paulinilche Formel
,Durch Christus' unterfucht. Tübingen, J. C. B. Mohr
1907. (VIII, 82 S.) gr. 8° M. 2.40

Charakteriftifch für die paulinifche Frömmigkeit ift
die ,Gewißheit von dem allezeit lebendigen Wirken des
erhöhten Herrn'. Deshalb ift es von vornherein wahrfcheinlich
, daß die unter den Auslegern verbreitete ,große