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Ausgabe:

1909 Nr. 14

Spalte:

405-406

Autor/Hrsg.:

Caspari, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Echtheit, Hauptbegriff und Gedankengang der Messianischen Weissagung Jes. 9, 1-6 1909

Rezensent:

Volz, Paul

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Seite 1

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405 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 14. 406

verdienen. Mag man auch — wie es mir felber geht —
dem Verfaffer in vielen Stücken nicht zuftimmen, immer
fpürt man es bei den fprachlichen Auseinanderfetzungen,
daß hier ein Mann redet, der die Sprache des A. T. wirklich
beherrfcht, und das will gewiß viel heißen. Seine
Kxegefe ift zumeift nüchtern bis zur Trivialität, aber es
fchadet nicht, daß er das aSQoßarsiv andern überläßt.
Es ift fehr leicht, über die Verftändnislofigkeit des Herrn
Verf. gegenüber den Fragen der höheren Kritik, über
uns allzu rabbinifch anmutende Erklärungen — vgl. z. B.
Gen. 31,43. 38,16. 40,8.41,34. Exod. 32,25. 34,1 und oft — und
über feine arabifchen Anleihen zu lächeln; wer aber aus
dem Buche etwas über die Sprache des A. T. lernen
will, kann fehr viel daraus lernen. Ich habe das verwandte
Buch des Herrn Verf. lul©&3 snplQ 1899 in G.
G. A. ausführlich befprochen. Die meinen bei uns feit-
dem erfchienenen Kommentare und Überfetzungen find
an dem reichen Buche zu ihrem Schaden vorübergegangen;
hoffentlich findet dies deutfche Buch mehr urteilsfähige
Lefer als das hebräifche.

Louifendorf. W. Frankenberg.

Calpari, Lic. Dr. Wilhelm, Echtheit, Hauptbegriff und Gedankengang
der Memanifchen Weisfagung Jel. 9,1—6. (Beiträge
zur Förderung chriftlicher Theologie. Herausgegeben
von A. Schlatter und W. Lütgert. Zwölfter
Jahrgang 1908. Viertes Heft.) Gütersloh, C. Bertelsmann
. (69 S.) gr. 8n M. 1.20
Cafpari will den Wortvorrat und Begriffsapparat von
Jef. 9, 1—6 daraufhin unterfuchen, was fich aus ihnen
für die Frage nach der Echtheit, dem Gedankengang
und dem zentralen Begriff der Weisfagung ergibt. Er
macht darauf aufmerkfam, daß die gebrauchten Wörter
ein befcheidnes Meffiasbild zeichnen; vor allem paflen
die Wörter d$8j, f£l nicnt auf einen Selbftherrfcher
(König), fondern auf einen, der höchftens der zweite nach
dem Selbftherrfcher ift. Wichtiger noch fei, daß im
Zentrum der Weisfagung der Begriff nib» flehe. C.
unterfucht diefen Begriff genau und überfetzt ihn mit
.Ordnung', .Wohlfahrt'; nib© "I© fei alfo etwa mit ,Ord-
nungspräfekt' zu verdeutlichen; auch fetze der Begriff
schalötn eine Krifis voraus. Der Prophet denke fich alfo
die Zukunft fo, daß zunächft eine nationale Kataftrophe
komme durch die Gewaltherrfchaft Affurs; in diefer Notzeit
wächft eine neue Generation heran (vgl. "fbjf), aber
dann bricht Affur zufammen, an die Stelle der abge-
fchafften Weltmacht fetzt fich Gott und holt wie aus der
Verfenkung den alsdann vorhandnen Nachkommen der
judäifchen Dynaftie hervor, um durch diefen das ,Wohl-
fahrtsgouvernement' im Volk ausüben zu laffen. C. will
alfo wohl fagen, daß die Meffiasfigur deswegen mit fo
untergeordneten Titeln ausgeftattet werde, weil der übermächtige
Gott fie befchatte. Es ift zudem weniger die
Perfon als das Amt des Meffias, was den Propheten
intereffierl. Die Befcheidenheit des Meffiasbildes nun fei
ein Beweis für die jefaianifche Abfaffung; es laffe fich
damit dem Einwand der Kritiker begegnen, daß Jefaja
keine hohen politifchen Wünfche hatte, noch nähren wollte.
Außerdem werde die Echtheit durch fprachlich-literarifche
Zeugniffie geftützt; die Verwendung des Wortes schalötn
durch die falfchen Propheten zur Zeit Jeremias, die Benützung
in Jef. 60, das eine fouveräne Neubearbeitung
von Jef. 9,1—6 darftelle, beweifen dafür, daß diefes Wort
früher von einem führenden Propheten gefchaffen wurde.
Am Schluß gibt C. den deutfchen Text mit eingehender
Worterklärung.

Die Studie, die fich Schritt für Schritt mit den Kritikern
auseinanderfetzt, bedeutet einen Kompromiß zwifchen
den Vertretern und den Anfechtern der Echtheit, indem
fie die Echtheit verteidigt und doch die Wahrheitsmomente
der Kritik benützt. Es läßt fich nicht leugnen, daß die

Befcheidenheit des Meffiasbildes für Jefaja günftig ift,
wobei ja auch Kp. 1,26 zum Vergleich dienen kann. Wertvoll
an fich ift die genaue fprachliche Unterfuchung, und
die Exegefe zieht aus der Studie C.s viel Gewinn. Aber
es ift mir fraglich, ob den einzelnen Wörtern, wie
schalötn, fo viel Tragkraft zugemutet werden darf. Außerdem
wird die behauptete Befcheidenheit der einzelnen
Wörter völlig aufgewogen durch den myfteriöfen, wichtigen
Ton der ganzen Weisfagung. Und auch diefe neue
gefchickte Verteidigung der Echtheit von Jef. 9 ändert
nichts an der prinzipiellen Thefe, daß die Meffiasidee
etwas Unterprophetifches ift.

Tübingen. Volz.

Kegel, Dr. Martin, Das Gebet im AltenTeltament. Gütersloh,
C. Bertelsmann 1908. (43 S.) 8° M. — 80

Kegel befchränkt fich in feiner rafchen Skizze auf
das außerkultifche Gebet, das er mit Recht in die ältefte
Zeit hinaufrückt. Er befpricht zuerft die Vorausfetzungen
des israelitifchen Gebets, die Gottesvorftellung und die
Stellung der Israeliten zu Gott, Volksgebet und individuelles
Beten. Für die ältere, vorprophetifche Zeit dürfte
er letzteres noch mehr, als er es tut, behaupten. In Kürze
fucht er die Entwicklung des israelitifchen Gebetslebens
zu zeichnen; auffallend ift feine Verftändnislofigkeit für
den ringenden Hiob. Der zweite Abfchnitt behandelt
die äußeren Fragen, Stellung beim Beten, Ort, Zeit und
Formen des Gebets und die hebräifchen Ausdrücke für
Beten; der dritte den Inhalt der Bitten. In diefem dritten
Abfchnitt bedient fich der Verf. noch einmal der gefchicht-
lichen Entwicklung, jedoch ohne Konfequenz; die .Kleinen
Propheten' werden als Eine Gruppe zufammengenommen.
Das Schlußurteil wird dem ATlichen Gebet nicht gerecht;
gerechter waren die Konfervativen früherer Jahrhunderte,
die nicht AT und Chriftentum gegeneinander hielten,
fondern die Elemente der wahren Religion im AT und
NT miteinander verbanden.

Tübingen. Volz.

Wendling, Gymn.-Oberlehr. Prof. Dr. Emil, Die Entltehung

des Marcus-Evangeliums. Philologifche Unterfuchungen.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1908. (VIII, 246 S.) gr. 8° M. 8 —

Diefer Schrift ift bereits 1905 ein kleiner Prodromos
vorangegangen, ,Ur-Marcus' betitelt, in welchem W.
für die Thefe eingetreten war, daß drei verfchiedene
Hände bei der Entftehung des zweiten Evangeliums tätig
gewefen find. Ein knapper, hiftorifcher Grund-Bericht
follte von einem poetifchen Erzähler mannigfach bereichert
und fchließlich von einem wenig gefchickt verfahrenden
Redaktor mit Benutzung einzelner Logienftücke und unter
Durchführung gewiffer Theorien erweitert worden fein.
Ich verweife auf meine ausführliche Befprechung diefes
.Urmarcus' in Jahrgang 31 Nr. 4 Sp. 102 ff. diefer Zeitfchrift.
W. ift feinen Anfchauungen in allen wefentlichen Punkten
treu geblieben und fucht nunmehr in fehr eingehenden
und gedankenreichen Einzelunterfuchungen eine forg-
fältige Begründung derfelben zu geben. Er hat einen
fcharfen Blick für die mancherlei Unebenheiten der Marcus-
Darftellung, die eine Scheidung zwifchen älteren und
jüngeren Beftandteilen derfelben berechtigt erfcheinen
laffen. Infofern bleibt feine Arbeit verdienftvoll, auch
wenn vieles von feinen Einzelaufftellungen fich als nicht
haltbar erweifen follte.

W. ift insbefondere bemüht, die fchriftftellerifche
Eigenart des zweiten Erzählers und die des Redaktors
fcharf gegen einander abzugrenzen. Dabei fällt freilich
fo gut wie alles Lob auf jenen und faft aller Tadel auf
diefen (während er dem Urerzähler mit wohlwollender
Kühle gegenüber fleht). Der zweite Erzähler (M2) hat
Phantafie, er weiß fpannend und anfchaulich, z. B. mit
gefchickter Benutzung von Nebenperfonen, zu erzählen,