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Ausgabe:

1909 Nr. 13

Spalte:

380-381

Autor/Hrsg.:

Boehmer, Julius

Titel/Untertitel:

Gottes Angesicht 1909

Rezensent:

Volz, Paul

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379 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 13. 380

kommen, Jahwe felbft wird eingreifen und feine Gegner,
die jetzt herrfchenden Leute, vernichten. Näheres über
das Los der Stadt, ob fie erobert und zerftört werden
foll oder nicht, erfahren wir nicht. Wahrfcheinlich hat
fich alfo Jefaia damit begnügt, den allgemeinen Gedanken
der Läuterung und Erneuerung des Volkes auszufprechen.'
Es würde fich verlohnen, auf Guthes Deutung von Jef.
7,10—17 einzugehen; V. 14h überfetzt G: ,Wenn junge
Weiber fchwanger werden und einen Sohn gebären, fo
werden fie ihn zwar Gott-mit-uns nennen — doch von
Milchkofi: und Honig muß er leben ufw.' G. findet hier
natürlich eine Drohung, meint aber ohne Annahme
von Interpolationen auskommen zu können. Näheres
will er an anderer Stelle geben. Erwähnung verdient,
daß G. die Stücke Kap. 18, 30, 1—5 und 31, 1—3 dem
Jefaia zufpricht, aber ins Jahr 690 (wo Thirhaka die Eroberung
Ägyptens vollendet) verlegt. — Guthe's Schreibweife
ift klar und einfach, der Ton eines Volksbuches
ift gut getroffen. Reichliche Proben ftichifcher Über-
fetzungen beleben den Text.

Frankfurt a. M. Schufter.

Becker, Prof. Dr. C. H., Chriltentum und Islam. 1—10. Taufend
. (Religionsgefchichtliche Volksbücher. III. Reihe,
8. Heft.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1907. (56 S.) 8°
M. —50; kart M. —75; in Gefchenkbd. M. 1.50

Im Schlußwort erklärt der Verf., es fei feine Abficht
gewefen, ,die Parallelität, wenn nicht Identität der chrift-
lichen und islamifchen Weltanfchauung während des
Mittelalters zu erweifen und die Möglichkeit derÜbernahme
von Gedanken aus einem Religionskreis in den andern
zu erklären' (S. 53). Diefe Verwandtfchaft beider Kultur-
kreife leitet B. nicht aus Muhammeds Abhängigkeit vom
Chriftentum ab: M. hat nur fehr dürftige Kenntniffe vom
Chriltentum befeffen. ,Ein neu- oder altteftamentliches
Buch hat er nie gelefen; vielmehr zeigen alle feine Erwähnungen
, daß er nur aus Hörenfagen fchöpfte und
zwar nicht einmal aus dem Gefpräch mit Vertretern der
bekannten großen Sekten.' Nein, jene bis zur Verwechfe-
lung reichende Ähnlichkeit ift erft entstanden, als die
frifch geeinten Wüftenftämme, die bei Beginn ihrer nicht
wefentlich religiös fondern wirtfchaftlich, motivierten
,Völkerwanderung',nicht ohne materielle Kultur, aber mit
befchränkter Gedankenwelt' lebten, in die uralte Kultur
der orientalifchen christlichen Welt einbrachen. ,Was
der antik-orientalifche Hellenismus für das Chriltentum
war, das ist der chriftlich-orientalifche Hellenismus,
wenige Jahrhunderte fpäter für den Islam.' Daß der
Islam in die Schule der christlichen Kultur des Orients
getreten ist, erfcheint um fo glaublicher wenn man erwägt,
wie wenig fanatifch-religiös, wie tolerant verhältnismäßig
jene Eroberer gewefen find. Bekannt find die chriltlichen
Einflüffe auf dem Gebiet der Askefe (Mönchtum) und
Mystik, B. betont aber auch die ,Verkirchlichung' der
ganzen Lebensanfchauung und Lebensführung bis in die
feinsten Verzweigungen der Pflichtenlehre, von Kultus
und Theologenftand zu fchweigen.

So erklärt B. auch zwei fontt unlösbare Rätfei: die
unleugbare Überlegenheit des Islams über das mittelalterliche
Chriftentum und fein starker Einfluß (Aristoteles,
Philofophie, Scholastik) auf dasfelbe. Jene helleniftifche
Kultur, in deren antike Form das Chriftentum, in deren
.christliche' der Islam eintrat, war wefentlich orientalifch,
war alfo dem chriftlich-germanifchen Abendland wefens-
fremd, dem Islam aber wefensverwandt und in feinen
Gebieten, befonders in Perfien, bodenständig. So hat
jener arabifche Einfluß mit einer kaum zu überfchätzenden
Stärke gedauert, bis das Abendland in der Renaifiance
fich aus den Feffeln jenes orientalifchen Hellenismus löste.

Die Thefe von der Identität der beiden Kulturkreife:
kirchliches'Mittelalter, von ihrer gemeinfamen Abhängig-

1 keit vom orientalifchen Hellenismus, der dem Islam durch
das Chriftentum vermittelt ift, fcheint mir, mit einzelnen
Übertreibungen, im ganzen überzeugend durchgeführt.
Das Heft weckt lebhaftes Intereffe und erregt den Wunfeh
nach breiterer Ausführung des Gegenstandes.

Frankfurt a. M. Schuster.

Vollmer, Lic. Hans, Vom Lefen und Deuten heiliger Schriften.

Gefchichtliche Betrachtungen. 1—10. Taufend. (Religionsgefchichtliche
Volksbücher. III. Reihe, 9. Heft.)
Tübingen, J. C. B. Mohr 1907. (64 S.) 8°

M. — 50; kart. M. — 75

Ein höchft intereffantes Thema: führt es doch tief
hinein in Wefen und Werden, in Entwicklung und innere
| Kämpfe aller Buchreligionen, d. h. aller großen Religion,
j Und Vollmer ift, was Urteil und auf Quellenstudien
I ruhende Kenntniffe angeht, durchaus der Mann, dies
j Thema zu behandeln. Und doch hat die Ausführung
mich nicht recht befriedigt. Der Gegenstand ift für ein
Volksbuch zu fchwer, jedenfalls zu umfangreich. Jonifche
und Platonifche Mythenkritik und ftoifche allegorifche
Exegefe, Lektüre des A. T. im Spätjudentum, Bibellektüre
bei Jefus und Paulus, die Exegefe der Ürkirche
und des Mittelalters, und nicht nur ihre Exegefe fondern
auch Nachrichten über Bibelkenntniffe, Bibelformen
(Hiftorienbibel) und Bibelverbote im Mittelalter — das
j ift, auch wenn die Entwickelung feit Luther nur mit
kurzen Strichen angedeutet ift, zuviel für ein dünnes
Heft von 6b Seiten. Schade! Denn ich fürchte, die Ausführungen
über die N. Tliche Zeit find den Laien wegen
ihrer Knappheit nicht voll verltändlich; und über das
Mittelalter würden wir Theologen aus V.'s eigenen
1 Forfchungen gern mehr hören. Die Einreihung der
1 Arbeit in das Schema der Sammlung hat ihr die nötige
Bewegungsfreiheit geraubt.

Frankfurt a. M. Schuft er.

Boehmer, Patt. Lic. Dr. Julius, Gottes Angefleht. (Beiträge
zur Förderung christlicher Theologie. Herausgegeben
von A. Schlatter und W. Lütgert. Zwölfter Jahrgang
1908. Viertes Heft.) Gütersloh, C. Bertelsmann. (69 S.)
gr. 8° M. 1.20

Die Wurzel des Ausdrucks ,Angeficht Gottes' ift
j nach Böhmer mythologifch, im Sonnencharakter der
Gottheit liegend; daneben fcheint B. aber auch das
kultifche Gottesbild, das dem Befucher fein Geficht zukehrt
, als Vorläufer des Ausdrucks gelten laffen zu wollen.
B. unterfcheidet eine finnlich-kultifche, eine finnlich-
geiftige und eine reingeiftige Auffaffung, bezw. eine
1 kultifche und eine anthropomorphifche Ausdrucksweife,
j Num. 6,24—26 deutet er mit Zuhilfenahme des (urfprüng-
lich zugrund liegenden) Sonnenmythus; die Formel ,Gott
fehen' befage, daß Gott freundlich blicke (wie die Sonne
leuchtet). Die Hypoftafierung des Angeflehtes Gottes
! flamme ebenfalls in letzter Linie aus der Sonnenmytho-
j logie. Locus classicus der Hypoftafe ift Ex. 33,12—23,
dem B. eine textkritifche Ünterfuchung widmet. Es
feien in der Stelle jetzt verfchiedene Texte ineinander-
gearbeitet; im urfprünglichen Text bitte Mofe um einen
1 Begleiter, das Angefleht Jahwes, und um das Schauen
diefes Begleiters. B. bemerkt aber dabei nicht, daß es
[ fich bei der Bitte um das Schauen des Angeflehtes Jahwes
j nicht um den hypoftafierten, von Jahwe getrennten ,Be-
j gleiter' handeln kann, fondern um Jahwes Antlitz felbft
! (ppp. Rückfeite). Ganz richtig betont B., daß hinfichtlich
der Möglichkeit, Jahwe zu fchauen, zu verfchiedenen
Zeiten verfchiedene Stimmungen in Israel lebten.

Der Gang der Ünterfuchung ift nicht durchweg gut
geordnet. Kultifches Schauen und vifionäres Schauen