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Ausgabe:

1909 Nr. 1

Spalte:

16-17

Autor/Hrsg.:

Schilling, Otto

Titel/Untertitel:

Reichtum und Eigentum in der altkirchlichen Literatur 1909

Rezensent:

Grützmacher, Georg

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15 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 1. 16

der Griechen und Römer als Vergleichsobjekte. In
einem grundlegenden Teil befpricht der Verfaffer dann die
religiös-ethifchen Grundideen der Schriftfteller, die er
in den Bereich feiner Unterfuchungen gezogen hat, unter
den Überfchriften: God and man; man and the world;
the old man and the new man; the God man. Dann
befpricht er im zweiten Teil die wichtigften ethifchen
Ideen: das höchfte Gut, die Pflicht, die Tugend, indem
er für jede diefer Ideen die wichtigften Stellen aus den
Schriften der von ihm ausgewählten Kirchenväter zu-
fammenftellt. Es find dies Clemens, Hermas, Juftin,
Tatian, Irenaeus, Tertullian, Cyprian, Minucius Felix,
Commodianus, Arnobius, Lactantius und Ambrofius; gelegentlich
werden auch Novatian, Hippolytus und Vic-
torinus herangezogen.

Schon diele Auswahl zeigt, daß die von dem Verfaffer
vorgenommene Abgrenzung etwas fehr willkürliches
hat. Clemens, Jüdin, Tatian und Irenaeus find in
keiner Weife für das abendländifche Chridentum befon-
ders charakteridifch, Lactantius und Ambrofius gehören
fchon in eine neue Entwicklungsepoche hinein, aus der
de nicht ifoliert herausgenommen werden können. Und
felbd wenn man die Abgrenzung des Verfaffers gelten
laffen will — fo id es ihm keineswegs gelungen, eine
fpezififch für das Abendland charakteridifche Ethik klar
herauszudellen. Statt die großen ethifchen Probleme
der Stellung des Chriden zur Welt in den Vordergrund
zu dellen, bleibt der Verfaffer zuerd in religiös-ethifchen
Allgemeinheiten; dann zwingt er ohne Unterfchied allen
Schriftdellern fein Schema vom höchden Gut, von der
Pdicht und von der Tugend auf. In jedem Einzelab-
fchnitt läßt er in ermüdender Eintönigkeit die ganze
Reihe der erwählten Schriftdeller an uns vorüberziehen
und bietet doch nicht viel mehr als eine dilidifche Verarbeitung
feiner Stellenfammlung. Will man fich über
die ethifchen Ideen eines einzelnen Schriftdellers orientieren
, fo muß man fieben verfchiedene Stellen lefen;
will man die Entwicklung einer bedimmten ethifchen
Idee verfolgen, fo findet man nur das lofe Nebeneinander
der einzelnen Schriftdeller ohne ausreichende
Zufammenfchau. Wie dies früher in der biblifchen Dog-
matik gefchah, fo werden hier den Schriftdellern Antworten
abgenötigt auf Fragen, die de fich meid gar nicht
gedellt haben.

Eine Charakteridik der altchridlichen Ethik im Abendland
dürfte fich auch nicht auf die Dardellung einiger
Ideen befchränken, die mit denen der philofophifchen
Ethik Berührung haben. Es mußten neben den Ideen
der Schriftdeller auch die fittlichen Kräfte in der Gemeinde
zum Ausdruck kommen. So id denn auch das
Fazit des Buchs, wie es der Verfaffer am Schluß felbd
angibt, ein fehr unbedimmtes; denn die Fruchtbarkeit
der ethifchen Gedanken, die Ubereindimmung bei allem
Unterfchied im Einzelnen und die chridozentrifche
Orientierung find ja gewiß fedzudellen, bedeuten aber
doch in diefer Allgemeinheit recht wenig.

Die Behandlung des intereffanten Themas id daher
weder dem Inhalt noch der Form nach zufriedendellend.
Nur das foll rühmend hervorgehoben werden, daß es dem
Verfaffer gelungen id, die innere, letzlich in der Perfon
Jefu Chridi wurzelnde Überlegenheit und Selbdändigkeit
der chridlichen Ethik auch da nachzuweifen, wo de ihre
formalen Begriffe der philofophifchen Ethik der Stoa
oder anderer Schulen entlehnt hat. Insbefondere legt
er bei Ambrofius Gewicht darauf, daß feine Anlehnung
an Ciceronianifche Gedanken das fpezififch Chridliche und
damit jeder heidnifchenEthikÜberlegene nicht abfchwächt.
Es darf auch fond dankbar anerkannt werden, daß das
Buch von Scullard viel Material zur Behandlung der
altchridlichen Ethik darbietet. Möge es dem Verfaffer
vergönnt fein, damit weiterzubauen, um im Zufammen-
hang auch mit der Charakteridik der fittlichen Zudände

in den Gemeinden fpäter eine volldändigere und tiefere
Behandlung feines Themas darzubieten.

Wittenburg i. Wedpr. Ed. von der Goltz.

I Schilling, Repetent Otto, Reichtum und Eigentum in der
altkirchlichen Literatur. Ein Beitrag zur fozialen Frage.
Freiburg i.B., Herder 1908. (XIV, 223 S.) gr. 8° M. 4 —

Erd vor kurzem veröffentlichte Seipel ein umfangreiches
Buch über die wirtfchafts-ethifchen Lehren der
Kirchenväter (Theol. Literaturzeitg. Nr. 11, 1908). Ein
ähnliches, wenn auch weniger umfaffendes Thema über
Reichtum und Eigentum in der altkirchlichen Literatur
behandelt Schilling in der vorliegenden Abhandlung, in
der er Seipels Buch noch nicht benutzen konnte. Seipel
hatte eine fydematifche Anordnung des Stoffes gewählt
und nur die Kirchenväter bis Augudin berückfichtigt,
Schilling befolgt eine hidorifche Anordnung, zieht auch

I die Anfchauungen des alten und neuen Tedaments über
Reichtum und Eigentum bei und führt die Linie über
Augudin bis zu Leo I, Gregor I und Ifidor von Sevilla.
In einem Anhang werden noch kurz die Anfchauungen
Thomas' von Aquino befprochen. Ich gebe, wie ich
bereits in der Anzeige von Seipel bemerkte, einer hido-
rifchen Anordnung den Vorzug; dennoch bekommt man
auch bei Schilling kein fcharfes Bild von der gefchicht-
lichen Entwicklung und Umbildung der Anfchauungen
der Kirchenväter über Reichtum und Eigentum. Sein
Abfehen, das darauf gerichtet war, die Zufammenhänge
der Gedanken der griechifchen Kirchenväter mit der

; hellenifchen Sozialphilofophie zu ermitteln und ebenfo

i die Beziehungen darzulegen, die zwifchen der Auffaffung
der lateinifchen Kirchenväter namentlich des Ambrofius
und den Ideen der römifch-romantifchen Denkweife obwalten
, ift in feiner Darftellung nicht mit der wünfchens-

I werten Überfichtlichkeit zur Ausführung gekommen.
Schilling gibt doch im wefentlichen nur Referate der
Anfchauungen der einzelnen Kirchenväter, und nur gelegentlich
findet fich ein Hinweis auf die eben genannten
Zufammenhänge. Abgefehen von diefem Mangel einer
energifcheren Verarbeitung feines Stoffes hat das Buch

! große Vorzüge und verdient als wertvoller Beitrag für
die Beurteilung fozialer Fragen durch die Kirchenväter
gefchätzt zu werden. Vor allem zeigt Schilling im Ge-
genfatz zu Seipel nicht das Beftreben, die Ausfagen der
Kirchenväter über Reichtum und Eigentum künftlich zu

1 harmonifieren. So hebt er z. B. hervor, daß, wenn auch
nach dem Bericht der Apoftelgefchichte kein voller und
eigentlicher Kommunismus in der Urgemeinde zu Jeru-
falem beftanden hat, doch mindeffens in einem Teil der
Gemeinde Zufiände nach Art eines religiöfen Kommunis-

! mus geherrfcht haben. Bei den apoffolifchen Vätern d. h.
bei Klemens Romanus und der Didache zeigt fich dann
bereits eine im Unterfchied zur Apoftelgefchichte viel
nüchternere und dem praktifchen Bedürfnis mehr Rechnung
tragende Auffaffung des Eigentums und Reichtums. Nur
der Hirte des Hermas predigt im Marken Mißtrauen gegen
den Reichtum wieder eine Art religiöfen Sozialismus.

; Klemens Alexandrinus kommt dann, wie Schilling richtig

I erkannt hat, eine große Bedeutung in diefer Frage zu. Er
vertritt und verteidigt zuerft das Recht des Privateigen-

; tums und des Reichtums vom fittlich-fozialen Standpunkte
in der chriftlichen Kirche, ohne allerdings eine einheitliche

1 und gefchloffene Gefamtauffaffung vorzutragen. Daneben
gehen aber gleichzeitig in der chriftlichen Kirche noch
viel rigoriftifchere Beurteilungen des Reichtums einher,
wie fie z. B. Tertullian vertritt, wenn er auch das Eigentum
und den Privatbefitz als eine zu Recht beftehende

; Inftitution überall vorausfetzt. Seit Cyprian machen fich

; bereits Tendenzen bemerklich, die die fchrofferen höheren

| Anforderungen des Evangeliums als folche hinftellen, die
nur den Vollkommeneren gelten. In Laktanz findet end-

| lieh das Privateigentum einen wiffenfehaftlichen, klaffifch-