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Ausgabe:

1909 Nr. 1

Spalte:

10-12

Autor/Hrsg.:

Bernard, John Henr.

Titel/Untertitel:

The traditions as to the death of John the son of Zebedee 1909

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 1.

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dem Evangelium vielfach vorgenommenen Ausfcheidungs- I ift? Wer diefe Fragen durchdenkt, kann, wie ich fehe,
und Teilungshypothefen wie der Urheber des Kommen- | dem Schlußurteil nicht entgehen: nicht ein johanneifcher

tars fkeptifch gegenüber (vgl. z. B. S. 124. 152). Mit Recht
bemerkt er dazu, daß der Exeget jedenfalls das Buch
in feiner jetzt vorliegenden Genalt auszulegen habe,

Kreis, fondern fein Meifter muß diefe theologifche Ge-
famtanfchauung gefchaffen haben; er ift es auch, der es
wagen konnte, das neugeformte Evangelium in der Form

Auf Wunfeh des Verlegers hat Bauer eine ,lediglich j von Jefuserzählungen und Jefusreden den Gemeinden vor-
Wörtlichkeit und Verftändlichkeit anftrebende Über- j zulegen. Ob diefer zweite Paulus Johannes geheißen
fetzung' beigegeben. Sie lieft fich gut und mag er- 1 haben muß, ob er trotz der kritifchen Ergebniffe, von denen
wünfeht fein. Ein Bedenken habe ich hier nur auszu- | kein Deut weggenommen werden darf, mit dem Zebeda-
fprechen. Zur Apokalypfe bietet fchon der Text der iden identifiziert werden kann, ob ein anderer Johannes
2. Auflage, der ziemlich wörtlich aufgenommen worden j angenommen werden kann, mag hier auf fich beruhen,
ift, weite Partien in Überfetzung (oft als einzige Form I Vielleicht find wir gegenwärtig außer Stande, hierzu etwas
der Auslegung). Hätte da nicht bei diefer Veränderung | Brauchbares zu äußern, da die wenigen .äußeren' Zeug-
der Anlage die Auslegung der Apokalypfe umgearbeitet niffe dürftig und fämtlich zweideutig find — jene Papias-
werden können? notiz ift nur ein Typus. Nur eine Perfonenfrage fcheint

Auch die fehr wertvollen, echt Holtzmann'fchen Geift mir lösbar zu fein und follte immer mehr zu einheitlicher
und Stil — die Sprache erfcheint hier freilich oftmals Löfung gebracht werden: der Prophet Johannes, der die
etwas umftändlich — atmenden Einleitungskapitel ' Apokalypfe gefchrieben hat, ift weder der Zebedaide
find im wefentlichen unverändert geblieben; doch waren ; noch der Evangelift.

hier Erweiterungen befonders angebracht; die Einleitung ! Noch ein Defiderium, das Einleitung und Auslegung
zum Evgl. hat Bauer um 8, die zur Apokalypfe um 5 [ zugleich betrifft, kann ich nicht unterdrücken. Der Holtz-
Seiten vermehrt. Neu ift ein Abfchnitt über den Zweck 1 mann-Bauer'fche Joh.-Komm. bietet eine klaffifche Dar-
des 4. Evangeliums; mit Recht wird hier die Bedeutung j legung der Gedankenverbindungen und Gedankenzuder
Täuferfekte in Frage geftellt, der Täufer mag viel- 1 fammenhänge (vgl. die meifterhafte Darftellung der johann.
mehr von den Juden gegen Jefus vorgefchoben fein, wie J Weltanfchauung S. 50—58, 2 S. 40—46). Dagegen kommt
denn das ganze Evangelium den Niederfchlag der zwi- i m. E. zu wenig zum Ausdruck das eigentümliche, fehr
fchen Kirche und Synagoge geführten Kontroverfen dar- kräftige Frömmigkeitsleben vornehmlich des Evan-
ftellen foll. Die Frage nach der Perfon des Evangeliften 1 gelitten (doch vgl. S. 278). Das 4. Evgl. ift wirklich nicht
findet keine Entfcheidung, — der betr. Abfchnitt ,Selbft- j nur aus der Polemik und Apologetik hervorgegangen; es
zeugnis und Verfaffer' ift umgearbeitet und ftark er- könnte beides nicht fo kräftig führen, wenn es nicht zugleich
weitert — nur der Zebedaide wird mit Beftimmtheit ab- ! der warme Ausfluß individueller Chriftuserlebniffe wäre,
gewiefen, aus literarkritifchen und hiftorifchen Gründen: : Johannes ,hat Jefus gefehen' und eine Fülle von Troft
Bauer hat (wie Holtzmann vgl. D. Ltzg. 1905 S. 79) den und Kraft, von Güte und Liebe fühlt er in fein Herz
Mut, jener ,Papias'notiz von dem (frühen) Martyrium des i überfließen. Was er erfahren hat, gibt er in feinem
.Theologen'Johannes unbedingten Glauben zu fchenken. j Evangelium und in feinen Briefen anderen weiter.

DieLektüre dieferHoltzmann-Bauer'fchen Einleitungs- ; Ich fchließe mit dem Wunfche, daß der in feiner
abfehnitte hat nun freilich zwei Defiderien in mir wach- 1 Eigenart vortreffliche Holtzmann-Bauer'fche Johannesgerufen
. Mir fcheint, als ob die kritifche Bearbeitung kommentar von neuem Studium und Forfchung beein-
des johann. Gefamtproblems, wie fie typifch in diefem , fluffen und fördern möchte.

Kommentar vorliegt, zwei wichtige^i^topunkte-nicfat Leipzig! Hans Windifch.

genügend beruckfichtigt, deren genilfenthche Würdigung 1
die Stärke der traditionsfreundlichen Auffaffung darfteilt.

Ein mal follte kein Kritiker, der, feine Augen gebrauchend, Bernard, J. H., The traditions as tu the death of John the

die Differenz fynoptifcher und johanneifcher Jefusüber- son ofZebedee (The Irish Quaterly for Jan. 1908 p. 51-66).
lieferung erkannt hat und das 4. Evangelium als ein ziem- y r

lieh frei komponiertes Lehrgedicht auffaßt, das unter der ,Daran ift jetzt nicht mehr zu rütteln, daß Johannes

Einwirkung einer eigenartigen, dem paläftinenfifchen Zebedäi lange vor Petrus feinem Meifter in den Tod
Evangelium nach fremden, religiöfen Weltanfchauung ent- , gefolgt und zufammen mit feinem Bruder Jakobus in
ftanden ift, nicht vergehen, der Doppelfrage großes Ge- Jerufalem hingerichtet worden ift' (Wellhaufen, Evangel.
wicht beizumeffen: Wie konnte ein Jefusjünger (im wei- J°h. 1908, S. 100). Die zuverfichtliche Ausfprache diefer
teren Sinne) es wagen, die eignen Gedanken als Jefus- < angeblichen Tatfache macht fie nicht wahrfcheinlicher.
worte auszugeben — der Prozeß diefer Übertragung ift Sie beruht bekanntlich, von der kontroverfen Interpretation
bekanntlich ad oculos zu demonftrieren — und wie konnte von Marc. 10, 35 h". abgefehen, auf zwei fragwürdigen
fein Evangelium in den Gemeinden, denen die fynop- 1 Argumenten, während fie ein halbes Dutzend der ftärkften
tifche Überlieferung geläufig war, Aufnahme finden? , Argumente gegen fich hat. Die Zeugen für fie follen
Diefe Frageftellung ift dem vorliegenden Kommentar nicht Papias und der alte Kirchenkalender fein. Bernard
unbekannt (vgl. S. 12. 28.), tritt aber viel zu fehr zurück, | unterfucht beide; was er über den erften fagt, laffe ich
auch kann das Bemerkte mich nicht recht befriedigen. 1 bei Seite. Das angebliche Papias-Zeugnis ift in feiner
Ein Zweites hängt damit zufammen. Gewiß ift es richtig, , Bezeugung fo jung und in feiner Faffung fo verworren
wenn die Kritiker hervorheben, die erfte Aufgabe, die (Jakobus Zebedäi foll von den Juden getötet worden
ein wiffenfehaftlicher Johannesforfcher zu bewältigen hat, I fein, während ihn doch Herodes hinrichten ließ; Papias
fei nicht die, den Verfaffer feftzuftellen; vielmehr ift dies indem er angeblich berichtet, Johannes fei von den Juden
erft erlaubt, wenn zuvor der innere Gehalt der Schrift getötet worden, foll doch über den Tod des Johannes
analyliert worden ift. Die johann. Echtheitsfrage ift die 1 dasfelbe fagen wie Origenes!), daß es eine ganz unkritifche
nach dem Gefchichtswert des Evgls., nicht die nach dem ! Kaprice ift, es vor dem Chor der entgegenftehenden
Verfaffer. Aber ift es richtig, wenn die Kritik das Intereffe Zeugen zu bevorzugen. Wie fteht es mit dem Kirchen-
an der Perfönlichkeit des Verfaffers oder Urhebers auch kalender? Bernard ftelltdie nachftehendeReihenfolge auf:
darnach nicht recht aufkommen läßt? Ift es angemeffen, I Martyrol. Hieron. (6. Jahrh.) zum 27. Dez.: Assumptio
unperfönlich von johanneifcher Theologie zu reden und S. Johannis evangelistae, et ordinatio epis-

diefe ebenbürtig der paulinifchen Theologie beizuordnen, copatus S. Jacobi fratris domini, gut ab apo-

von der wir doch wiffen, wie fehr fie trotz aller Beein- stolis primus (est) Iudaeis Hierosolymis est
flußung durch überkommene und entnommene Ideen die , episcopus ordinatus et tempore pascliali mar-
cichöpfung einer überragenden chriftlichen Perfönlichkeit tyrio coronatus.