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Ausgabe:

1909 Nr. 1

Spalte:

309-312

Autor/Hrsg.:

Ziegler, Theobald

Titel/Untertitel:

David Friedrich Strauß. Zweiter Teil: 1839-1874 1909

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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'3°9

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 10.

fchaftlich bekämpfte, nach feinem Tode wie von felber
lieh durchgefetzt, und die Wiffenden können noch jetzt j
in manchem, wie der Gleichberechtigung der Pfarrer
neben den Älteften und Diakonen, die Spuren feines
Wirkens erkennen.

Frankfurt a. M. W. Lueken.

Ziegler, Theobald, David Friedrich Strauß. Zweiter Teil:
1839—1874. Mit einem Bild von Strauß aus feinem
58. Lebensjahr. Straßburg, K. J. Trübner 1908. (III,
377 S.) gr. 8° M. 8—; geb. M. 9 — ;

Im Anfchluffe an die in diefer Zeitfchrift (Jahrgang
1908, Sp. 306—308) erfchienene Anzeige des erden Bandes j
diefes allen billigen Anfprüchen an Erledigung einer
folchen Aufgabe gerecht werdenden, in der reichen bio-
graphifchen Literatur unferer Tage jedenfalls einen bevorzugten
Platz einnehmenden Lebens- und Charakterbildes
darf ich mich, nachdem ein folches Urteil fchon
dort Begründung gefunden hat, hier auf Angabe des
Inhaltes diefes noch viel reichhaltigeren zweiten Bandes
befchränken.

Zunächd (Kap. 5) ,Die chridliche Glaubenslehre' von
1840—41, mit der fich der Theologe ,aus der Theologie
herausfehreibt'. Unter den Vorbereitungen dazu wird die
Abhandlung über Schleiermacher und Daub mit vollem
Recht hervorgehoben. ,Sie gehört zum Feinden und Tief-
den, was Strauß gefchrieben hat', ,auch ädhetifch genußreich
, ein fchriftdellerifches Meifterwerk'. Vom Buche
felbd fagt der Biograph, daß trotz fchrofferer Stellung gegenüber
dem Chridentum dieTheologen viel lernen konnten
(und könnten es noch'. Mir wenigdens id über der Vergegenwärtigung
feines Inhaltes klar vor Augen getreten,
wie fad fämtliche Schickfalsfragen der Theologie, welche
heute noch fchweben, fich von hier und nächddem auch vom
,alten und neuen Glauben' aus in Sicht nehmen, verdehen
und genau formulieren laden.

Das bekannte Mißgefchick, welches das Privatleben
von Strauß mindedens fo unheilvoll gedaltet hat, wie
feine theologifche Schriftdellerei ihm eine Laufbahn im
Beruf gekoftet hat (Kap. 6 ,Die Ehe und ihre Löfung'),
wird wahrheitsgetreu und ohne einfeitig für ihn oder
(noch weniger) für die Frau Partei zu nehmen darge-
dellt. Bei diefer Gelegenheit fei erwähnt, daß es an
Warnungsdimmen, die an ihn herantraten, gar nicht gefehlt
hat, und daß fowohl früher (Kap. 3 und 6) wie fpäter
(Kap. 12) Liebesmotive zuweilen recht kräftig in fein Leben l
hereinfpielen, in erndhaften Fällen (S. 368) freilich fo,
daß man darüber an Goethes Wort gemahnt wird:

Es id ein Glück, allein wir kennens nicht;

Wir kennen's wohl und wiffen's nicht zu fchätzen.
Dazu' fei gelegentlich auch bemerkt, daß die gut ka- <
tholifche.Agnefe den protedantifchen Theologen immer
imponiert-zu haben fcheint. Wenigdens foll ihr feiner-
zeit die Straßburger Fakultät gehuldigt haben (S. 382).
Von Landsmännern war Karl Reinhold Ködlin, damals
noch Theolog, eine Zeitlang Rivale (S. 387). Eduard J
Zeller in dem herrlichen, den liebenswürdigen, harmoni-
fchen Charakter feines Verfaffers klar fpiegelnden Buche
.Erinnerungen eines Neunzigjährigen', 1908, das Ziegler
leider nicht mehr benutzen konnte, ,dand auf fehr
gutem Fuß mit ihr', war ,von der klaffifchen Schönheit
und vollendeten Anmut diefer Kündlerin ebenfo fehr
wie von ihrer Stimme entzückt', auch von ihr mit mehr |
Vertrauen beehrt, als diejenigen Freunde ihres Gatten, die !
fie in Verdacht hatte, mit feiner Werbung unzufrieden |
gewefen zu fein (S. 142, vgl. über Strauß befonders
S; 103, aber auch S. 101. 122. 131). Als fie 1842 in Karlsruhe
mit einem Gadfpiel von der Bühne Abfchied nahm, ]
hörte ich vor der Kirche wie vor dem Theater nur die
Namen Schebeft und Strauß. Aus dem Munde des ;
geiftreichften und beliebteften der dortigen Prediger aber

wurde der feine Witz kolportiert: es ift ja alles nur ein
Mythus und bedeutet den Bund zwifchen Wiffenfchaft
und Kunft.

Von einem Mißerfolg anderer Art, wobei übrigens
Strauß felbft unzweifelhaft beffer abfehneidet, erzählt der
folgende Abfchnitt (Kap. 7,Strauß als Politiker'). Sein Ruhm
wird es bleiben, mitten im Taumel des tollen Jahres 1848
und gröblichen Exzeffen der damaligen fchwäbifchen Demokratie
zum Trotz feiner ariftokratifchen Natur treu
geblieben zu fein, als unbeugfamer Vertreter der kon-
ftitutionellen Monarchie gegenüber den Republikanern,
der preußifchen Spitze gegenüber den Großdeutfchen.
Mit anders gearteter Teilnahme verfolgt man fein Tagebuch
über die italienifche Reife vom Jahr 1851 in Briefen
an feine treuefte Freundin Emilie Sigel. Man muß dem
Herausgeber für Abdruck derfelben befonders dankbar
fein. Gern begleitet man den Wanderer auf feinen
Gängen nach den bekannten Plätzen, Kirchen, Pälaflen und
Kunrtftätten der Lagunenftadt. (Eine Fülle von neuen
Kunflanfchauungen und Ideen ftrömt ihm zu' — fo fchreibt
er felbft — ,ein Schatz, an dem er den ganzen Reft feines
Lebens hindurch zu zehren haben wird'. Auch die ,Markuslöwen
' durften für ihn ja noch in nutzbarer Erinnerung
fortleben (S. 597). Wenn er noch in Dresden mit be-
fonderer Rührung eines Bildes gedenkt, darauf ein kleines
Mädchen, wie feine Tochter Georgine, eine hohe Treppe
hinanfteigt, um oben vom Hohenpriefter empfangen und
in den Tempeldienft eingeführt zu werden, fo fchwebt
ihm gewiß der ,Tempelgang Marias' vor, das herrliche
Bild Tizians mit feiner oft erprobten Anziehungskraft.
Das war fchon auf der Rückreife. Wie fchade, daß er
nicht weiter gekommen ift. Wie lernbegierig würden
wir ein Kapitel lefen: ,Strauß in Rom':

Statt deffen folgt .Strauß als Biograph' (Kap. 8).
,Der fall übergeiitige Strauß' empfindet ein Intereffe an
.robuften Temperaments- und Sinnenmenfchen' wie Schubart
und Frifchlin, was aus dem Kontraft gegen feine
eigene Natur verftändlich gemacht wird (S. 5041). Voran
gegangen war das liebenswürdige, von echteftem Freund-
fchaftsgefühl eingegebene Buch über Märklin, nachgefolgt
find die Schriften über Hutten und, noch fpäter,
Voltaire, mit welchen ihr Verfaffer als' fchriftftellerifcher
Künftler erften Rangs wieder in den Vordergrund des
literarifchen Lebens der Nation getreten und ein Führer
ihrer geiftigen Entwickelung geworden ift. Sehr richtig
beurteilt dabei der Biograph den Charakterzug alles
fchriftftellerifchen Schaffens feines Helden, die fehlende
Freude an der Anfammlung des Stoffes auf der einen,
den Genuß, den er dafür am Geftalten fand, auf der
anderen Seite (S. 516. 586).

Die feffelnde Befchreibung der Heidelberger Zeit
1854—61, die im Umgang mit Kuno Fifcher und Gervinus
wieder glückliche Tage brachte, leitet über zur .Rückkehr
zur Theologie' (Kap. 9). Der Biograph, dem es überall
auf Wahrung der Kontinuität des literarifchen Werdeganges
ankommt, macht darauf aufmerkfam, daß fchon
das Fahrwaffer bisher faft ftets eine theologifche Unter-
ftrömung aufgewiefen habe und daher ,das Leben Jefu
für das deutfehe Volk' (Kap. 10) als (eine fchmetternde
Fanfare hinein in die dumpfe Atmofphäre voll feiger
Vertufchung und erbärmlicher Verlogenheit' nicht unerwartet
gekommen fei. Ich kann nicht umhin zu bemerken
, daß damals wenigftens fchon die von Strauß
zu den .erfreulichen Anfätzen zum Beffern' gerechnete
kleine Schrift von feinem Landsmann Keim vorlag, deffen
Gefchichte Jefu' meines Erachtens als die erfle, den
Gegenftand kongenial erfaffende Leiftung diefer Art
gelten darf. Mir felbft liegt es gänzlich fern, frühere Abneigung
walten zu laffen, nachdem mir Strauß die übergroße
Schmeichelei erwiefen hat, die Priorität des Markus
für einen ,Zeitfchwindel' zu erklären, fo vergänglich wie
die ,Zukunftsmufik' (Der Chriftus des Glaubens ufw. S. 54).
Um wieder fachlich zu fprechen, finde ich, daß man