Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909

Spalte:

298-299

Autor/Hrsg.:

Jaisle, Karl

Titel/Untertitel:

Die Dioskuren als Retter zur See bei Griechen und Römern und ihr Fortleben in christlichen Legenden 1909

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

29/

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 10.

men hat fchon 258 Notizen, der Lyoner Anonymus I
bringt es auf 387 (bei nur 129 freien Tagen!). Für die
Art diefer Auffüllung ift die Beobachtung von behenderem
Intereffe, daß der AA-Rezenfion des 'Florus' Victors
von Vita historia persec. Wandal. 10 Exzerpte für
10 aufeinanderfolgende freie Tage liefern muß, was alfo
ganz willkürliche Kalenderdatierungen ergibt (S. 350ff.; [
vgl. Delehayes analogen Nachweis über die Benutzung j
von Theodorets bist, relig. für das griech. Synaxar!); aus
derfelben Paffion, aus der Beda fchon feine Einträge ge-
fchöpft hat, wiffen die fpäteren immer noch neue Notizen
, teils Erweiterungen der alten, teils neue Namen zu
entnehmen (wie die M-Rezenfion des Synaxars auf dem
gleichen Wege hunderte neuer Kommemorationen gewonnen
hat).

Dom Quentins eine Hauptthefe ift nun, daß was Ado |
und Ufuard als ,Beda in Florus' Erweiterung' bezeichnen,
nicht in den belgifchen Handfchriften zu fliehen ift, in
denen Papebroek es zu finden glaubte, fondern fich nur als
eine Reihe von Lyoner Bearbeitungen darftellt, deren Urform
nPar. lat. 3879 erhalten ift, zwei jüngere Schichten in ;
M (Macon = Par. lat. 5254 und 5263) und ET (Epternach J
und Toul=Artz-. 10158 und 10018). Beide hängen mit
Florus zufammen; er befaß ein Exemplar von M und 1
fandte es 848 an Wandalbert von Prüm; ET aber gilt j
bei Ado (und Ufuard) als fein eignes Werk. Dies alles 1
ift fo gründlich und fcharffinnig dargelegt, daß es überzeugen
muß.

Einfchneidender ift eine 2. Hauptthefe: das neuerdings
als Parvuin Romanum bezeichnete Stück, das Ado 1
felbft als perantiquum uiartyrologium ab urbe Roma
Aquilcjam enidam saneto episcopo a pontifice romano directum
einführt, das bisher unter den wichtigften Quellen
fungierte, und noch von Achelis im Anfchluß an de Roffi
an die Spitze diefer ganzen Reihe (um 700) gefetzt wurde,
ift eine Fälfchung Ados felber, entftanden nach feiner
1. Rezenfion, um die willkürlichen Datierungen, die er
fich darin erlaubt hatte, zu decken, ganz befonders aber
um in dem Streit um Dionyfius Areopagita der Berufung
Hilduins von St. Denis auf graccac auetori-
tatis martyrologion de tomochartis sermii Constantino-
politani adeptum (MSL 106, 19) eine gleichwertige Autorität
entgegenzuftellen. Der Beweis für diefe Thefe
wird fo geführt, daß zunächft die Abhängigkeit des fog.
Parv. Rom. von Florus durch einen Abdruck des übrigens
nur in 3 Handfchriften der jüngeren Ado-Rezenfion 1
enthaltenen Dokuments mit den Parallelen aus Florus
erwiefen wird: dies ift bewiefen. Sodann wird, unter i
ausdrücklichem Hinweis darauf, daß Ados Werk lieh wie
eine Zufammenarbeitung von Florus und Parv. Rom. ausnimmt
, Ados Arbeitsweife einer forgfältigen Kritik unter- ;
zogen. Dabei ergibt fich, daß die fcheinbar durch jenes J
Parv. Rom. veranlaßten Umftellungen und Erweiterungen
alle den von Ado auch fonft befolgten Prinzipien ent-
fprechen, freie Tage nach Möglichkeit auszufüllen, fei es
auch durch willkürliche Umdatierung, und abweichende
Überlieferung durch die Annahme von Translationen
auszugleichen; am unheilvollften aber wirkt es, daß Ado
immerfort suit son deplorable penchant pour les identi-
fications. Die Darlegungen find mit folchem Scharffinn
geführt, daß fie unwiderftehlich wirken: wie Ado dazu
kam, das Martyrium der h. Caecilia unter Marc Aurel
zu fetzen, während der Bifchofsname mit Sicherheit auf
Alexander Severus weift, eine Schwierigkeit, die fchon
die leg. aar. bedrückte, das wird hier S.' 498fr. aus
einem Irrtum bei Benutzung des Chronicon Bedas unwiderleglich
aufgeklärt; ebenfo klar wird erwiefen (S. 522ff.)
wie bei Ado durch leichtfertige Ergänzung einer ver-
ftümmelten Vorlage aus einer guten Angabe Bedas über
die Lage eines Ortes eine Beftattungsnotiz geworden ift,
zu deren Rechtfertigung fpätere eine Translation erfinden
zu müffen glaubten; Ado muß es fich auch gefallen
laffen, daß fein Reden von collecti undecumqne passio-

num Codices durch den Hinweis auf die Vereinigung aller
von ihm benutzten Paffionen in Handfchriften wie der
Weingartener (Stuttgart XIV 13) als eitles Renommieren
erfcheint. Trotz alledem wird man diefe nicht nur für
Ado fo beladende, fondern auch die Wertung der Überlieferung
völlig umgeftaltende Thefe Dom Quentins noch
einer fcharfen kritifchen Prüfung unterziehen müffen,
und wenigftens ein Bedenken möchte ich hier gleich
geltend machen: während Beda, Florus u.f.f. mit dem
1. Jan. beginnen, greift Ado auf die altkirchliche Tradition
(Cal. v. 354, Mart. Hier.) zurück und fängt in der
einen Rezenfion mit dem 24., in der andern mit dem
25. Dez. an: das Parv. Rom. aber fetzt mit dem 1. Jan.
ein! Ift das Ados Werk?

Wie immer dem fei: Dom Quentins Arbeit ift grundlegend
, zugleich ein unentbehrliches hagiographifches
Nachfchlagewerk (man fehe nur am Schluß das Verzeichnis
von faft 400 Handfchriften und über 1700 Heiligennamen
!). Die Knappheit, mit der hier gewaltige Stoff-
maffen verarbeitet und mitgeteilt werden, verdient ebenfo
viel Bewunderung wie die Schärfe und Präzifion der
Beweisführung. Kleine Verfehen wie Wohlfard ftatt
Wolfhard kommen daneben gar nicht in Betracht. Man
kann nur wünfehen, daß Dom Quentin die alten, vielfach fo
irreführenden Ausgaben durch neue muftergültige erfetzt.
Er hat gezeigt, daß er die befonders durch Mommfen
gefchaffene moderne Editionstechnik auch in ihren typo-
graphifchen Feinheiten meifterhaft handhabt.

Straßburg i. E. von Dobfchütz.

Jaisle. Karl, Die Dioskuren als Retter zur See bei Griechen
und Römern und ihr Fortleben in chriftlichen Legenden
. Diff. (Tübingen.) Tübingen, J. J. Heckenhauer
in Komm. 1907. (XII, 74 S.) gr. 8°

Diefe erft verfpätet mir zugegangene Tübinger Differ-
tation bietet eine treffliche Ergänzung und Korrektur der
in Jahrg. 1903 Nr. 20 Sp. 547 und 1907 Nr. 2 Sp. 43 be-
fprochenen Schriften von J. Rendel Harris, deren letztere
dem Verf. noch nicht vorlag. Dagegen ftützt er fich
auch auf H. Gregoire, Saints jumeaux et dieux cavaliers
[in Clugnets Bibliothequc hagiographique Orientale IX,
1905, leider nicht zur Befprechung in diefer Zeitfchrift
gelangt], eine methodifch mufterhafte Unterfuchung über
den Zufammenhang der kappadokifchen Pferdeheiligen
Speufipp, Elafipp und Melefipp mit alteinheimifchem
Kult an den berühmten Geftüten des Palmatius und
Hermogenes zu Pafpafos: hier ift einmal die Übernahme
eines Kultes und die Schaffung einer Märtyrerlegende
im Anfchluß an lokale Kultüberlieferungen zur Evidenz
gebracht.

Der Vorzug der Arbeit von Jaisle befteht in der
Befchränkung auf eine Funktion der Dioskuren: Retter
zur See zu fein. Hierfür werden erft alle antiken Zeug-
niffe von dem homerifchen Hymnus bis auf Hefych, und
wieder von Catull bis Ifidor von Sevilla gefammelt, wobei
fich die römifchen als literarifche Nachahmung der
griechifchen erweifen, während die übrigens nur in fehr
kleiner Zahl bekannten Infchriften die populäre Bedeutung
diefer aeorrjeteg dartun, deren Epiphanie im Sturm
man in den elektrifchen Lichterfcheinungen am Maft
wahrzunehmen glaubte. Als dritte im Bunde erfcheint
vereinzelt Helena, fpäter meift als unheilvolles Zeichen
(zündender Kugelblitz) aufgefaßt. Bei den Griechen
wetteifern noch Achill und die Kabiren mit den Dioskuren
, mit denen fie teilweife verfchmelzen, wie (fügen
wir hinzu) Varro bei Macrobius III 4 die Kabiren auch
mit den römifchen Penaten zufammenfehweißt. Die
Lateiner reden oft von den Caftores; der Name Pollux
tritt zurück. Aus diefem 1. Teil ift für uns noch beachtenswert
, daß der Verf. die Auslegung von Apg. 28,
11, wonach an dem Schiff ein Dioskurenbild angebracht

**