Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909

Spalte:

8-10

Autor/Hrsg.:

Holtzmann, Heinrich Julius

Titel/Untertitel:

Evangelium, Briefe und Offenbarung des Johannes. 3., neubearb. Aufl., besorgt v. W. Bauer 1909

Rezensent:

Windisch, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. f.

gilt (vgl. S. 297 die Markusfteilen). Betätigung erfahren j
diefe Ergebniffe aller bisherigen Kritik hier auf dem
Wege einer neuen, nämlich der ,regreffiven Methode', 1
die von dem kanonifch gewordenen Text ausgeht und
nach den formellen Veränderungen und fachlichen Um- [
geftaltungen fragt, welche derfelbe beim Übergang von |
der vorgefundenen zu der jetzt vorliegenden Form erfahren
hat. Es handelt fich um die procedes redactio-
nelles', welche zwifchen den Quellen und ihrer unter den
Händen unferer Evangeliften erfolgten Verarbeitung liegen
(S. XI f. 307 f.).

Mit ungleich größerer Sicherheit als bei Markus läßt
fich diefer Gefichtspunkt natürlich bei Matthäus und Lukas
durchführen. Demgemäß dürfen auch die beiden erften
Teile der vorliegenden Unterfuchung auf ein erheblich
größeres Maß von Erfolg rechnen, als der dritte. Um
von diefem zuerft zu reden, halte ich die Bemühungen,
hinter unferem Markus noch ,eine oder mehrere fchrift-
liche Quellen' zu entdecken (wobei es fich nicht etwa
nur um einen aus der Vergleichung mit Mt und Lk zu
gewinnenden Urmarkus, auch nicht bloß um Q oder gar
nur um die Apokalypfe Mk 13 handelt), für äußerft gewagt
, weil wir diefe Quelle erft aus dem einen und einzigen
vorliegenden Text herauskonftruieren müßten, nicht
aber, wie das auf allen übrigen Punkten des fynoptifchen
Problems der Fall ift, auf Grund der Vergleichung vorhandener
Größen verfahren könnten. Aber felbft aus den
Paralleltexten bei Mt und Lk würden wir, wie Burkitt
richtig bemerkt (The gospel history and its transmission,
S. 123. 131), fchwerlich imftande gewefen fein, unfern
Markustext auch nur mit annähernder Sicherheit auszurechnen
und herzuftellen. Wie viel weniger Ausfichten
bietet die Errechnung einer unbekannten Größe aus nur
einer bekannten. Nicht feiten wird dabei Näherliegendes
überfehen. Beifpielsweife fchließt der Verf. aus dem
Widerfpruch der paradoxen Parabeltheorie 4, 11. 12 mit
dem ganzen Parabelabfchnitt auf Abhängigkeit von einer,
jene darbietenden, gefchriebenen Quelle, wodurch die Frage
nach dem Verhältnis zum paulinifchen Determinismus nur
um eine Etappe weiter zurückgefchoben wird. Ebenfo-
wenig wird an ein paulinifches Medium gedacht zur
Aufhellung des Verklärungsbildes, während der Verf.
doch verfucht ift, felbft das Wort von den Erften und
den Letzten mit Beziehung auf Paulus zu verftehen
(S. 280. 299).

Um fo zwingender ift mit Ausnahme nur weniger
disputabel bleibender Fälle die Beweiskraft da, wo es fich
um die beiden Seitenreferenten handelt. Mit einer j
Spürkraft, welcher auch das Kleine und Kleinfte nicht
entgeht, find hier die aus der individuellen Veranlagung,
fchriftftellerifchen Eigenart und religiöfen Stellung zu
begreifenden Direktiven deutlich gemacht, nach welchen
die Stoffe der Überlieferung unter den Händen hier des
Matthäus, dort des Lukas fich gleichfam von felbft formen
und differenzieren, ohne daß peinliche Abfichtlichkeit
und bewußte Tendenz dabei die Hauptrolle gefpielt
hätten. In diefem Sinne werden bei Mt die Fälle der
typologifchen,prophetifchen, allegorifierenden, der negativ
wie pofitiv idealifierenden, der dramatifierenden und
gruppierenden Stoffbehandlung befprochen, die bei der
Redaktion der großen Redebildungen obwaltenden Ge-
fichtspunkte beleuchtet, die Repetitionen und Dubletten
erklärt, die zeitlich Auseinanderliegendes zufammenrück-
ende, Entlegenes zur Einheit bringende, überall auf
Hervorhebung des Lehrhaften bedachte, fynthetifch gerichtete
Arbeitsweife des Evangeliften nachgewiefen.
Wieder anders macht fich der im Grunde allen Synoptikern
eignende apologetifche Zug geltend bei Lukas, deffen
Einleitungen und Abfchlüffe, Fragebildungen und alle-
gorifierende Weiterungen gleichfalls genau erörtert werden
, deffen fchriftftellerifche Individualität zuletzt an der
Analyfe von 16 Mufterftücken nachgewiefen wird. Keine
Bearbeitung des fynoptifchen Stoffes wird an diefem mit

ausgezeichneter Sachkenntnis verfaßten Werk vorübergehen
dürfen.

Baden. H. Holtzmann.

Holtzmann, H. J., Evangelium, Briefe und Offenbarung des
Johannes. 3., neubearbeitete Auflage, beforgt von
W. Bauer. (Hand-Commentar zum Neuen Teftament.
4. Band.) Tübingen, J. C. B. Mohr 1908. (XIII, 504 S.)
Lex.-8° M. 9.75; geb. M. 11—

Während die zweite Auflage des Handcommentars
zum N. T. bereits zwei Jahre nach dem erften Erfcheinen
(1891—1893; vgl.Theol.Litztg. 1892, Sp.27, 1893 Sp. 393f.)
fich nötig machte, läßt die dritte Auflage längere Zeit
auf fich warten. Band I ift 1901 neu erfchienen; Band IV
feit Frühjahr 1907 vergriffen. Da H. J. Holtzmann mit
derNeuherausgabe feines Lehrbuchs der neuteft. Theologie
ftark befchäftigt war, übertrug er die Bearbeitung der
dritten Auflage feines Johanneskommentars dem Marburger
Privatdozenten Lic. Bauer. Die Neuherausgabe
eines fremden Werkes bei Lebzeiten des Verfaffers ift
ein fchwieriges Gefchäft. So haben wir es der Selbft-
verleugnung zweier Gelehrten zu danken, daß rafch wieder
ein kritifcher Johanneskommentar auf dem Büchermarkt
erfcheinen kann.

Die Tätigkeit Bauer's war, wie Holtzmann in feiner
Vorrede hervorhebt, hauptfächlich auf die Einarbeitung
der während der letzten 15 Jahre im Inland und Ausland
veröffentlichten, überrafchend umfangreichen Beiträge
zum Wort- und Sachverftändnis der johanneifchen Literatur
gerichtet. An den grundfätzlichen Anfchauungeu
des Holtzmann'fchen Kommentars hat er als gleich gerichteter
Forfcher nichts zu ändern gehabt. So galt es
für ihn im wefentlichen, die übernommene Gefamtan-
fchauung und Auslegung durch Verwertung der inzwifchen
neu aufgetretenen Frageftellungen und Forfchungser-
gebniffe auszubauen.

Diefen Vorausfetzungen entfprechend ift nun ein
Werk zuftandegekommen, das nicht nur in den Grundzügen
, fondern faft durchgehend auch im Wortlaut den
Text der vorigen Auflage wiedergibt. Einzelheiten abgerechnet
, kann man wohl fagen, daß ein nicht wefent-
lich andersgeartetes Buch herausgekommen wäre, wenn
Holtzmann felbft die Bearbeitung beforgt hätte. So ift
es Bauer zu danken, daß diefer Kommentar, ein echter
Holtzmann, von neuem feine Werbekraft entfalten kann.
Und dies wird jeder begrüßen, der für Holtzmann's
fcharffinnige Art der Exegefe, für feine Meifterfchaft
in der Führung fchwieriger Diskuffionen Sinn und Ver-
ftändnis hat.

Damit foll nun aber der von Bauer geleifteten Arbeit
ihre Bedeutung und Verdienftlichkeit ja nicht aberkannt
werden. Jeder Mitforfcher weiß, daß zu der Sammlung
und Auswahl der Verweife und Zitate, die neu
hinzugekommen find, ein großes Maß von angeftrengter
und zeitraubender Arbeit erforderlich war. Es ift Bauer's
Verdienft, daß uns für die fo wichtigen johanneifchen
Schriften nun wiederum ein kurzer, überfichtlicher Kommentar
gefchenkt worden ift, der die gefamten Aus-
legungsverfuche, die etwas wert find, verarbeitet, zu genauerem
Studium auf fie hinweift und doch zugleich in
knapper F"orm eine wohlbegründete, felbftändige Ent-
fchtidung über das umfaffende Material und die fchwie-
rigen Probleme trifft.

Die Erweiterungen und leifen Änderungen
(namentlich in den zahlreichen Exkurfen wahrzunehmen)
fchlicßen fich zumeift an kritifche Referate über neuere
Auslegungen und Forfchungen an. Namentlich der
religionsgefchichtlichen Forfchung und ihrer Bedeutung
auch für Johannes ift hinreichend Rechnung getragen
(vgl. z. B. den neuen Exkurs zu Apk 12 auf S. 467 f.).
Dagegen fleht der Bearbeiter den in neuerer Zeit an