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Ausgabe:

1909 Nr. 9

Spalte:

277-280

Autor/Hrsg.:

Mulert, Hermann

Titel/Untertitel:

Schleiermacher Studien. I. Schleiermachers geschichtsphilosophische Ansichten in ihrer Bedeutung für seine Theologie 1909

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 9.

278

Lismanins. S. 270, 335 die Aufterlitzer Anabaptiften in
Polen, Danziger ausgewiefene Täufer kommen dorthin.
S. 351 die drei 1572 in Padua hingerichteten Lutheraner
und die Disputation der Jefuiten über Maria Immaculata.
S. 403 erhöht den hiftorifchen Wert der icones Bezas.
S. 412 die große Schiffbrücke. S. 416 der achtzigjährige
Greis in Nürnberg, der eine dreifache Ankunft Chrifti
glaubt. S. 436 die deutfch-evangelifche Gemeinde in
Krakau mit 600 Gliedern. Der Brief Nr. 347 kann nicht
vom 23. Nov. fein, fondern nur vom 17. Vgl. das von
Wotfchke nicht genügend benützte Diarium Bullingers
S. 82, 20. Erklärungsbedürftig und zweifelhaft bleiben
Murionis S. 123, Z. 31. Scudus (Tfchudi) S. 349, Z. 6 v. u.
occitanas S. 381 Z. 29, Seonol S. 409 Z. 10. Zu Davum me
esse, non Aedypum (1. Oedipum) vgl. Terenz, Andr. I, 2,23.
S. 58 Z. 8 pro eo ac kann unmöglich richtig fein, ebenfo
Z. 9 v. u. In. Manche Lesarten find zu verbeffern, fo
S. 45 Z. 8 vos ftatt nos. S. 52 Z. 7 v. u. istuc ftatt istud.
S. 57 Z. 6 v. u. merito ftatt meritos, S. 149 Z. 2 At ftatt
Ad, S. 268 Z. 6 fcheint Babelicos (Druckfehler für Babe-
licis) nicht richtig gelefen zu fein. S. 286 Z. 8 v. u. 1.
Froschoverus ftatt Frosclioverum, S. 301 Z. 23 Gesnerus
ftatt Gesncri. Sehr zahlreich find Druckfehler flehen
geblieben. 349, 8 fleht Sa/in ftatt Vav, 409,32 verkehrtes
Lambda. Für die andern genügt zur Raumerfparnis die
Angabe des Orts. 15, so 18, 6 40, 17 41, 1 40, is 52, 22 58, 4

63, 24 64, 14 67, 10 V. U. 78, 11 87, SS 124, 8 328, 10 334, 13

336, 7 347, 5 353, » 389, so 416 Anm. 1,0 417,20.

Stuttgart. G. Boffert.

Mulert, Priv.-Doz. Lic. Hermann, Schleiermacher-Studien.
I. Schleiermachers gefchichtsphilolophilche Anrichten in
ihrer Bedeutung für leine Theologie. (Studien zur Ge-
fchichte des neueren Proteftantismus. 3.) Gießen,
A. Töpelmann 1907. (V, 92 S) gr. 8° M. 2.50

An ein längft fehr dringend der Bearbeitung bedürftiges
Thema hat fich Mulert herangemacht. Es ift
die Gefchichtsphilofophie in Schleiermachers kirchlicher
Periode, die feine ganze Glaubenslehre unterbaut und
doch in feinen eigenen Äußerungen (in der Enzyklopädie
wie in der Glaubenslehre) nur fehr wenig durchfichtig
ift, während fie wieder in feiner Ethik, d. h. in feiner
neben der Theologie hergehenden allgemein-begrifflichen
Spekulation, die zu erwartenden Verbindungen nach der
Glaubenslehre hinüber nicht oder doch nur fehr unbe-
ftimmt aufweift. Ob es möglich ift, diefe fpätere
Periode fo unabhängig von der früheren religionsphilo-
fophifchen zu behandeln, und ob nicht die in der fpäteren
Periode gemachten Vorausfetzungen in Wahrheit bloß
kirchlich-theologifch eingefchränkte Fortfetzungen der
älteren Pofition find, das ift die Frage. Dazu müßte
freilich die erfte Periode erft genauer durchforfcht fein,
wie damit Wehrung trefflich begonnen hat. Es müßte
m. E. vor allem Schleiermachers Verhältnis zu Schelling
erft klar geftellt fein. Immerhin konnte man fich an
die fpätere Periode für fich halten, weil die eigentliche
Theologie Schleiermachers ja erft in ihr und durch fie
ihr Gepräge erhalten hat, und weil für ihren dauernden
Wert die Art von größter Bedeutung ift, wie Schleiermacher
das Verhältnis des Chriftentums zu der allgemeinen
religionsgefchichtlichen Entwicklung gedacht,
wie er das perfönliche Bekenntnis zum Chriftentum mit
einer univerfalhiftorifch-kontinuierlichen Auffaffung des
gefchichtlichen Gefchehens verbunden hat.

Alles kommt hier auf die richtige Problemftellung
an. Schleiermacher ift mit der Aufftellung eines allgemeinen
Religionsbegriffs, innerhalb deffen er das
Chriftentum als befondere Modifikation desfelben betrachtet
, durchaus genötigt, die Stellung des Chriftentums
neben den anderen Modifikationen zu fixieren. Infofern
ift feine Würdigung des Chriftentums tatfächlich erbaut

auf eine gefchichtsphilofophifche Abftufung der Modifikationen
des allgemeinen Religionsbegriffes. Das ift die
notwendige Konfequenz, wenn man die Darfteilung des
Chriftentums ftatt auf den exklufiven Offenbarungsglauben
auf die Bafis eines alle konkreten Religionen
befaffenden Allgemeinbegriffs der Religion (teilt, wie das
Schleiermacher im Zufammenhang mit der modernen
entwicklungsgefchichtlichen Denkweife getan hat. Weiterhin
ift die mit diefer univerfalen entwicklungsgefchichtlichen
Gefamtauffaffung gegebene Anfchauung von einem
kontinuierlichen hiftorifchen Kaufalzufammenhang und
der Gleichartigkeit des gefchichtlichen Gefchehens ent-
fcheidend für die Auffaffung auch des Chriftentums als
hiftorifche Erfcheinung, das von hier aus unter die allgemeinen
Maßftäbe hiftorifcher Kritik und Erklärung geftellt
wird und das unter der Einwirkung diefes Prinzips
eine von feiner kirchlichen Auffaffung recht verfchie-
dene Geftalt annehmen muß. Die Frage ift eine doppelte:
I. wie weit und in welchem Sinne hat Schleiermacher
die Konfequenz einer entwicklungsgefchichtlichen Gefamtauffaffung
für die Würdigung und Begründung der
Geltung des Chriftentums gezogen? 2. welche Folgerungen
hat er aus der mit diefer Anfchauung von der
Gefchichte gegebenen Notwendigkeit, das Chriftentum
hiftorifch-kritifch zu betrachten, gezogen, und wie hat er
insbefondere Stellung zu dem von da aus wefentlich bedingten
neuen hiftorifch-kritifchen Bilde Jefu gewonnen?
Das find Fragen, die durchaus nicht von außen herangetragen
find, fondern die unmittelbar aus feiner eigenen
Konftruktion der Grundbegriffe erwachfen; und es ift
gerade für den Charakter, das Wefen und den Wert
feiner Theologie entfcheidend, wie weit und in welchem
Sinne er ihnen gerecht geworden ift. In den Reden
hatte er wirklich evolutioniftifch gedacht und für die
Auffaffung des Chriftentums die volle Konfequenz der
Einftellung in den allgemeinen hiftorifchen Prozeß gezogen
, wenn auch freilich in fehr dunklen und allgemeinen
Aphorismen. Es ift die Frage, wie weit die Glaubenslehre
diefe Pofition geklärt und befeftigt oder verändert hat.

So möchte ich den Problemftand bezeichnen, den
Mulert fehr zerfloffen mit vielem Hin und Her charak-
terifiert hat, fo daß man eigentlich nicht recht weiß,
worin das von ihm zu beantwortende Problem befteht.
Er felbft formuliert das Problem: ,Was uns hier be-
fchäftigen foll, ift nicht das ganze Problem: „Religion und
Gefchichte" bei Schleiermacher und in der von ihm beeinflußten
Theologie des 19. Jahrhunderts, fondern fo-
zufagen die negative Seite der theoretifchen Behandlung
, die es bei Schleiermacher felbft findet',
S. 14. Das heißt: es foll lediglich befchrieben werden,
in welchem Sinne Schleicrmacher eine wirkliche Anwendung
des evolutioniftifchen Gedankens und eine
darauf beruhende Begründung der Geltung des Chriftentums
abgelehnt, dann aber doch wenigftens den Kon-
tinuierlichkeitsgedanken, d. h. die natürlich-gefchichtlich-
kaufale Auffaffung auch auf das Chriftentum ausgedehnt
hat. Das heißt aber fchon im Problemanfatz auf das
Intereffantefte verzichten, auf die Darfteilung der Nötigungen
, die aus Schleiermachers Gefamtanlchauung zu
einer gefchichtsphilofophifchen Subftruktion führen
mußten, und der Gründe, warum er fich diefer Nötigung
dann doch entzog und von ihr nur die formale Einreihung
des Chriftentums in die Kontinuität des gefchichtlichen
Gefchehens überbehielt. Hier liegt der
Bruch in Schleiermachers Entwicklung, der Übergang
vom Religionsphilofophen zum kirchlichen Theologen,
die ganze Doppelgefichtigkeit feiner Theologie und der
Grund für fein höchft auffallendes Auseinanderhalten der
Kultur- oder Gefchichtsphilofophie der Ethik und der
hiftorifch-univerfalen Gefamtanfchauung der Glaubenslehre
. Mulert fcheint darin einen Bruch nicht erkennen
zu wollen, indem er meint, daß Schleiermachers Einficht
in die Verfchiedenheit religiöfen und wiffenfchaftlichen