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Ausgabe:

1909 Nr. 1

Spalte:

4-6

Autor/Hrsg.:

Wrede, William

Titel/Untertitel:

Die Entstehung der Schriften des Neuen Testaments. Vorträge. (Lebensfragen.) 1909

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 1.

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,Der Garten ift der geftirnte Himmel. Mond und Sterne i
find die Bäume darin* (S. 45). Umgekehrt bedeutet
wiederum das Paradies den Mond (S. 52). Alfo der
Mond = Paradies und Baum und Wächter zugleich! Und
das ifi! für Böklen's Buch charakteriftifch. Ich wüßte nicht, J
was nach ihm nicht der Mond fein könnte. Adam und
Kain find nämlich keineswegs die einzigen Mondheroen
des A. T. Neben ihnen nennt Böklen gelegentlich, mehr 1
oder weniger beftimmt, als folche Abel (S. 114), Henoch
(= Gaumen, ein Bild der Mondfichel, S. 132), Lamekh, j
feine Frauen Ada und Zilla (= Schmuck und Schatten,
vielleicht = die helle und dunkle Seite des Mondes), I
feine Söhne Jabal, Jubal und Thubalkain, feine Tochter j
Naama (S. 1321.), Noah, Sem, Abraham, Ifaak, Jakob, j
Jofeph (S. 33), Laban (S: 27 A 3), Mofe (S. 33), Simfon
(S. 84 A 3), Elia (S. 90 A 2). Zur Länge diefer Reihe
diene als Kommentar ein einzelner Satz wie der: ,Wenn
Jubal ein Stammvater derer heißt, die fich mit Zither
und Schalmei befaffen, fo können das wohl my-
thifche Bilder fein, die auf den als ein Saiten- oder Blas-
inftrument gedachten Mond gehen'! (S. 133). Daß bei j
folcher Art die Dinge zu betrachten auch Chriftus zum j
Mondheros wird, ift unfchwer verftändlich; indeffen geht
Böklen hier nicht über eine Andeutung hinaus (S. 109).
Weiter aber ift der Mond = DifW (S. 12 A 1), = TS Gen 2,6 j
(,der als himmlifcher Brunnen, als Quelle des Regens j
und Taues gedachte Mond' S. 15), ferner = die Erde
freffende Schlange (wegen der gekrümmten Geftalt der
Mondfichel, während der Vollmond oder der dunkle
Mond = eine kreisförmig zufammengerollte Schlange
S. 68), zugleich aber ihre Speife, das eine Mal als goldene
Frucht, das andere Mal als Golderde (= "iB3>) aufgefaßt
(S. 104), das flammende Schwert, der Kerub, Lebenswaffer,
Paradiefesflröme, Lebensbaum (S. 52. 67), der Drache in
Apok 12 (S. 128), aber auch das Gewebe der Penelope,
Athene, Arachne, Frigga, Bertha ufw. (S. 86). Und
wieder ift die Mondfichel der Schlafdorn Odins und die I
Spindel Dornröschens. ,Sie hat den Anlaß gegeben zum j
Mythus vom brennenden Dornftrauch, in dem Jahwe
(Sonnen- und Mondgott) dem Mofe fich offenbart, vielleicht
auch zur Dornenkrone Chrifti' (S. 96f.). — Und
indem Böklen in dem allem und viel anderm den Mond
fieht, läßt er fich auch dadurch nicht beirren, daß der
Mond von feinen angeblichen Mondheroen zuweilen ausdrücklich
unterfchieden wird, wie z. B. in der Sage, daß
bei Adams Hochzeit Sonne, Mond und Sterne mit Eva
tanzen (S. 32).

Fragt man aber nach einem eigentlichen Beweis, |
warum Adam oder Kain der Mond fein follen, fo liegt
er nur in der Summe einer endlofen Reihe kleiner Einzel- 1
poften, von denen einer fragwürdiger ift als der andere,
und bloß die naive Zuverfichtlichkeit, mit denen fie in
Rechnung gehellt werden, kann hin und wieder über
den Mangel an innerer Überzeugungskraft hinwegtäufchen.
In diefer Beziehung erwähne ich nur folgendes: Schon
der Name Adam (= der Rote) foll vortrefflich für den
Mond paffen (S. 5) — nur daß die Ifraeliten den Mond
fonft den weißen zu nennen pflegen! Adams weibliche
Hälfte fei urfprünglich die Adamah gewefen, und diefe
hätte wahrfcheinlich einft ebenfo den weiblich gefaßten
Mond wie Adam den männlich gefaßten bedeutet (S. 7).
Zur Mannweiblichkeit des Mondes ftimme die Doppel- I
gefchlechtlichkeit des erften Menfchen (S. 10). Daß ander-
feits ,der Mann Vater und Mutter verläßt, um feinem
Weibe anzuhangen', habe den Sinn: ,der is = der zunehmende
Mond verläßt das im Weften gedachte Vaterhaus
, um feiner issa = der andern Hälfte des Mondes !
anzuhängen' (S. 27), — eine Deutung, deren Künftlich- |
keit höchftens überboten wird durch die Deutung von j
Gen 3,19: ,1m Schweiß deines Angeflehtes follft du Brot
effen, bis du wieder zur Adämä zuiückkehtfl': darin !
nämlich fleht Böklen eine Verheißung: Rückkehr zum j
Monde, die eigentlich fchon bei feinem erften Wieder- |

erfcheinen nach feiner Verfinfterung erfolge (S. 97),
während er den ,Schweiß feines Angeflehtes' als Bild
nimmt, mit dem man die Naturerfcheinungen des Taues
oder Regens zu erklären gefucht habe (S. 99). Adams
Befeelung durch Einhauchung des Lebensatems in feine
Nafe foll Beleuchtung des Mondes fein, die Mondfichel
als Nafe angefchaut (S. 19. 21) — anderwärts ift fie die
Ferfe oder die Rippe (S. 29). Daß Jahwe eine von
Adams Rippen nahm und ihre Stelle mit Fleifch ausfüllte
, foll fogar jede andere brauchbare Deutung als
die auf die Mondfichel ausfchließen! (S. 26). In diefem
Tenor geht es weiter. Kein Wunder, daß Böklen in
Gen 3 die Antwort findet auf die Frage: was geht
vor beim Mondwechfel? (S. 78). Übrigens glaubt er an
diefer Sage eine Ergänzung anbringen zu können, wonach
Adam zunächft wirklich geftorben wäre, die Schlange
ihn aber mit einem Blatt oder Zweig desfelben Baumes,
der ihm den Tod gebracht, wieder zum Leben erweckt,
d. h. ihm die Augen geöffnet hätte. Er kann fich dafür
nicht bloß auf Gen 2,17, fondern auf einige freilich ganz
junge Quellen berufen; feine Vermutung ift immerhin
erwägenswert.

Weit über die Grenzen alles Erlaubten dagegen
geht m. E. wieder Böklen's Verfuch einer Rekonftruktion
des Kainsmythus, wenigftens in einer feiner Formen.
Darnach tötet Kain (=> Mond), von oben herabfehwebend
(vgl. Gen 4, 1 trifT" = der Schwebende!), die Schlange
(= Mond; Gen 3,15, fogar 4,5b—7. 12, Drachenkampfmythus
), und zwar als Rächer feines Vaters Enos, den
fie gemordet (vgl. Joh. 8,44), um Kains Mutter läsa
heimzuführen. Darob verfolgt (Kains fchützendes Zeichen
die Hörner des Neumondes), wird er fchließlich von
Lamekh gemordet. Diefe Vorftellung einer ins endlofe
fich fortfetzenden Rache foll ,dcr mythifche Ausdruck
für die Tatfache fein, daß jeder Mond anfeheinend feinen
Vorgänger tötet und jedem dafür von feinem Nachfolger
dasfelbe Schickfal wiederfährt, das er feinem Vorgänger
bereitet hat' (S. 140).

Bafel. Alfred Bert holet.

Wrede, + Prof. William, Die Entltehung der Schriften des
NeuenTeftaments. Vorträge. (Lebensfragen.) Tübingen,
J. C. B. Mohr 1907. (VIII, 112 S.) 8°

M. 1.50; geb. M. 2.30

— Vorträge und Studien. (Herausgegeben von Adolf Wrede.)
Ebd. 1907. (XV, 231 S.) gr.8n M. 4—, geb. M. 5.25

Aus Wrede's Nachlaß find uns durch feinen Bruder
unter Mithilfe von Freundeshand noch die beiden vorliegenden
Veröffentlichungen gegeben worden, die wir
dankbar und pietätvoll entgegennehmen. Sie wenden
fich an einen weiteren Kreis, als ihn die Fachgenoffen
bilden, und werden das Bild des ernften wahrhaftigen
Forfchers noch einmal denen vor die Seele bringen,
zu denen er bereits in feinem .Paulus' gefprochen hat.

Das erfte Buch bietet Vorträge, die W. im Jahre
1904 vor .einem größeren Kreife von Gebildeten, Herren
und Damen' in Liegnitz hielt. In knapper, meiflerhafter
Darftellung werden die Probleme der Ntlichen Literatur-
gefchichte und der Kanonsgefchichte vorgeführt und
mit den Löfungen beantwortet, die der eigenen forg-
fältigen Befchäftigung damit fich als ficher oder doch
wahrfcheinlich ergeben hatten. Wahrfcheinlich — denn
wie in allen feinen Schriften ift W. auch hier gern bereit,
die Grenzen feines und unferer aller Wiffens einzugeftehen,
und er drückt nirgends den Balken der Wage zu Gunften
der einen oder der anderen Entfcheidung mit eigener
Hand herab. In drei Abfchnitte ift nach dem Inhalt
des Gebotenen felber der Stoff vom Herausgeber gegliedert
worden. Paulus und die paulinifche Literatur
bildet den erften. Am Eingang davon fleht ein knappes
Bild von Paulus, feiner Perfönlichkeit und feiner Bedeutung,