Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1909 Nr. 8

Spalte:

247-248

Autor/Hrsg.:

Gombel, Karl

Titel/Untertitel:

Vernunft und Gottesgedanke. Ein Beitrag zur Apologetik 1909

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

247 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 8. 248

katholifche Kirche durch: I. Der Fall Schell-Commer;
II. Dekret des hl. Offiziums ,Lamentabili sanc exitu' (neuer
Syllabus) vom 3. Juli 1907; III. Enzyklika ,Pascendi do-
tninici gregis1 vom 8. September 1907; IV. Motuproprio
Pius' X. vom 18. November 1907; V. Paftoralfchreiben der
deutfchen Bifchöfe an den Klerus vom 10. Dezember 1907;
VI. die Laienbewegung gegen den Index; VII. der Fall
Schrörs; VIII. der Fall Günter. — Die Zufammentragung
diefes Materials und die Befchaffung einwandfreier Texte
war nach den gegebenen Mitteilungen offenbar mit nicht
geringen Schwierigkeiten verbunden. Um fo dankbarer
find wir für diefe Arbeitsleiftung und wünfchen dem Unternehmen
die ihm gebührende tatkräftige Unterftützung.
Wenn es, wie in Ausficht geftellt wird, noch eine weitere
Ausgeftaltung erfährt und in rafcher Folge fortgefetzt wird,
kann es bald die Bedeutung eines unentbehrlichen Quellenwerkes
erlangen.

Marburg i. Heffen. Carl Mirbt.

Gombel, Pfr. Karl, Vernunft und Gottesgedanke. Ein Beitrag
zur Apologetik. Gießen, A. Töpelmann 1907.
(III, 188 S.) gr. 8° M. 3.60

,Von den Beziehungen der Vernunft zum Gottesgedanken
' will der Verf. reden. Denn es ift feine ,fefte
Überzeugung', daß diefelben ,auch heute noch nicht tot
find'. Als Beweis führt er das Verhalten der Kunft und
der Dichtung an, die von der Vorflellung des Überfinn-
lichen nicht loskommen und fortwährend mit dem Gottesgedanken
operieren. Wenn die ,methodifch gefchulte
Vernunft' freilich häufig hiergegen Widerfpruch erhebt,
fo erklärt fich das aus einem Fehler der Vergangenheit,
aus dem Umftand, daß die griechifche Philofophie, mit
der dann das Chriftentum feinerfeits lange Hand in Hand
ging, fich vermeffen hat, ohne Rückfichtnahme auf die
Zeugniffe der Erfahrung den Gottesgedanken als Mittel
für die theoretifche Welterklärung zu mißbrauchen. Solches
,intellektuell-dogmatifche' Verfahren hat als Reaktion
ein ,materialiftifch-dogmatifch.es' hervorgerufen.
Nur ein ,kritifches' vermag aus der entftandenen Notlage
herauszuführen.

Das Buch läßt fich bequem in drei Teile zerlegen.

Der erfte, der angeblich von der .Vernunft in ihrer
Selbftbeurteilung' handelt, will, wenn er anders in feiner
Intention hier richtig verftanden worden ift, gleichfam
den allgemeinen Hintergrund zeichnen, auf dem fich die
eigentlichen Thefen des Autors erheben. Er fchildert
unter mannigfacher Berührung mit Kant, wie die Vernunfttätigkeit
damit beginnt, daß fie durch begriffliche Bearbeitung
der Sinneseindrücke Ordnung und Zufammen-
hang in das Erfahrene bringt. So ausgerüftet erhebt fich
der Menfch ,mittels des Zweckgedankens zu felbfttätiger
Geftaltung des in feinen Zufammenhängen ihm vertraut
Gewordenen und ordnet fich wieder durch die Eingliederung
in den Zufammenhang der idealen Gemeinfchaft
dem Begriff der unbedingten Gefetzlichkeit unter. Mit
der Anerkennung diefes Prinzips' hat er ,den Richtpunkt
auf eine höhere Zweckfetzung in fich, deffen Erfaffen
kein Schwanken mehr zuläßt, fondern ohne Rückficht
auf irdifchen Vorteil oder Nachteil das unbedingte Gebot
in den Mittelpunkt feines Strebens ftellt'. ,Die Einheit
feines Strebens hat ihren Schlußpunkt nicht mehr im
Endlichen fondern im Unendlichen'.

Der zweite Teil, der einerfeits von der ,Vernunft und
der Welt der Dinge', anderfeits von der .Vernunft und
der Welt des fittlichen Selbftgefühls' handelt, geht nach
einzelnen Präludien, nach verfchiedenen Digreffionen und
Exkurfen über den Urfprung der Sprache, den Begriff
der Entwicklung und anderes fpeziell darauf aus, die
unbedingt verpflichtenden Maßftäbe für das menfchliche
Handeln, von denen bis jetzt nur ganz im allgemeinen
die Rede war, zu deduzieren und genauer zu beftimmen.
In Anknüpfung an eine kurze Erörterung der Anfchau-

ungen Natorps und Schleiermachers führt er aus, daß
die betreffenden Normen fich nicht aus der Sitte und
der Gefittung, nicht aus der Kultur und dem politifchen
Leben entnehmen laffen. Auch ,das Ideal der Geftaltung
der Einzelperfon' reiche nicht aus. Gegen Kant wird
geltend gemacht, daß diefer, die Ethik mit der Erkenntnistheorie
verquickend, das praktifche Gefetz auf formal-
logifche Erwägungen zurückführe. Das fei ein Fehler,
der mit einer unzulänglichen Deutung des Begriffs .Erfahrung
' zufammenhänge. Zu der Erfahrung gehöre eben
nicht bloß die .finnliche' fondern ebenfogut die .geiftige
Wahrnehmung', nicht bloß der ,unter theoretifchen Grund-
fätzen flehende Umgang mit der Naturwelt' fondern auch
der ,rein praktifch geftaltete Verkehr mit Perfonen'.
Geht man nun von diefer die .perfönlichen Lebensbeziehungen
' umfaffenden .Erfahrung' aus, fo findet man
als deren ,oberftes Regulativ' die ,Idee der Menfchheib
als höchftes Gebot das der Achtung vor der Würde
der Perfönlichkeit und damit die gefuchten unbedingt
verpflichtenden Maßftäbe. Es ift eine Eigentümlichkeit
des vorliegenden Buchs, auf die fchon hier hingedeutet
werden mag, daß es fich getraut, die genannten Ideale
und Normen als überall in der empirifchen Menfchheit
wirkfam nachzuweifen.

Vom .Gottesgedanken als Ergänzung der Vernunft'
handelt der Teil, in dem die ganze Schrift kulminiert.
Auf dem Fundament der gewonnenen Einficht in das
Wefen der Sittlichkeit wird zunächft eine rationale Begründung
der Unfterblichkeitshoffnung verfucht, die fich
in die Worte zufammenfaffen läßt: .Wenn wir, .... wie
wir es nicht anders anfehen können, in der idealen Gemeinfchaft
mit einer Wirklichkeit zu tun haben, die in
fich als ganzes und auch in ihren Teilen, d. i. in den zu
ihr gehörenden Perfonen, Selbftzweck ift, fo hindert nichts,
den mit diefer Bezeichnung betrauten vernünftigen Wefen
auch die Eigenfchaft unbefchränkter Dauer zuzuweifen'.
Den Übergang zu einer ähnlichen Fundamentierung der
Gottesidee bildet dann der Gedanke: ,Wenn die menfchliche
Seele unabhängig von ihrer natürlichen Bedingtheit
ein den Einfchränkungen des Naturlebens nicht unterunterworfenes
Dafein befitzt, fo ift nicht abzufehen, was
die Annahme der Möglichkeit verwehren follte, daß es
geiftige Wefen gibt, die nicht in die Verflechtung mit
der Naturwelt eingegangen find'. Ift damit die Zuläffig-
keit des Gottesglaubens dargetan, fo wird deffen Notwendigkeit
daraus erwiefen, daß es für denjenigen, der
bei feinem Streben nach der Verwirklichung der idealen
Menfchheitsgemeinfchaft ,mit der Natur ins reine kommen'
will, unumgänglich ift, ,eine oberfte, dem Naturerkennen
nicht erreichbare Urfache anzunehmen, die fein Wollen
und damit fein Sollen mit feinem Können in Ausgleich
bringt'. ,Der Gottesglaube ift der Bürge dafür, daß die
perfönliche Lebensgemeinfchaft nicht bloß das ideale
Ziel, fondern auch das feiner Vollendung gewiffe höchfte
Gut des Erdenlebens ift'. Darum ift auch der Gottesgedanke
,im eignen Sinn eine Ergänzung der Vernunft,
weil er das bewirkt, was fie felbft nicht zuftande bringen
kann, nämlich dem Weltbild, das fie fich aufbaute, Einheit
und Harmonie zu geben'.

Es find nicht fchlechthin neue apologetifche Gedanken,
die da vorgetragen werden. Verf. felbft zitiert wiederholt
W. Herrmann, ift auch augenfcheinlich den Ideen
der Marburger Philofophie mit Intereffe nachgegangen.
Doch ift manches originell formuliert und eigentümlich
abgeleitet, wie überhaupt ein gutes Maß fpekulativer Begabung
nicht zu verkennen ift. Wenn nur der Gang
der Darftellung fich etwas ängftlicher an eine beftimmte
Dispofition hielte und weniger häufig ins Rhapfodifche
hiniiberglitte; dem Ref. würde dadurch nicht nur die
Aufgabe der Berichterftattung erleichtert worden fein:
auch der Lefer würde am Ende gewinnen.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.