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Ausgabe:

1909

Spalte:

229-231

Autor/Hrsg.:

Sdralek, Max (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Kirchengeschichtliche Abhandlungen. Sechster Band 1909

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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Seite 1, Seite 2

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liegende geht fo weit, daß bisweilen Betrachtungen über
urfprachliche Probleme angeflellt werden, die das N.T.
nichts angehen; man vergleiche z. B. die Erörterung über
die Entflehung des Adjektivs (p. 65).

Diefen Fehlern gegenüber, die fich befonders in der
Laut- und Formenlehre geltend machen, ift anzuerkennen,
daß die fyntaktifchen Teile in der Auswahl der Beifpiele,
in der Einteilung des Stoffes und in der Darftellung viel
felbftändiges Denken und gefundes Urteil verraten, fo-
bald lieh R. auf dem Boden des Griechifchen hält. Aber
auch diefe Abfchnitte leiden unter gewiffen Mängeln, die
dem ganzen Buch anhaften: meiftens wird nur ein Beleg
für jede Erfcheinung gegeben ohne Bemerkung über die
Häufigkeit derfelben; viele Beifpiele find nur mit einem
nichts erklärenden ,Beachte' (note) angeführt; Zitate aus
den LXX werden feiten als folche gekennzeichnet; zu
lakonifche Kürze und zu gemächliche Breite wechfeln
ab, und es fehlt nicht an überflüfligen Wiederholungen
(p. 188 ein Satz zweimal dicht nacheinander, ebenfo p. 190).
Störend find ferner einige Äußerlichkeiten, wie das F'ehlen
von diakritifchen Zeichen in Sanskritwörtern, feltfame
Silbentrennungen wie connect-ed, prep-osition, jtsjt-iorev-
xtöav und eine Anzahl grober Sprachfchnitzer (z. B. pro
nominis p. 78), wie fie hauptfächlich das Literaturverzeichnis
(p. IX—XIV) arg entftellen, das übrigens auch
wegen feiner Ungenauigkeit für den Nichtfachmann oft
unverftändlich fein muß. Die vereinzelten Unrichtigkeiten
in tatfächlichen Angaben mag man eher ent-
fchuldigen.

Für Studenten und Pfarrer, die fich R. vor allem
als Benützer feiner Grammatik wünfeht, ift fie m. E.
direkt gefährlich, wenn fie nicht linguiftifch gefchult find.
Eher kann ich mir denken, daß neutettamentliche Forfcher
darin gelegentlich ein in den andern n. t. Grammatiken
fehlendes Beifpiel oder einen anregenden Gedanken finden
werden. Die Orientierung wird durch ein fehr ausführliches
Inhaltsverzeichnis, ein reichhaltiges Stellen- und
Wortregister und eine große Zuverläffigkeit der Zitate
wefentlich erleichtert.

Schiers (Graubünden). A. Debrunner.

Kirchengefchichtliche Abhandlungen. Herausgegeben von
Prof. Dr. Max Sdralek. Sechffer Band. Breslau,
G. P. Aderholz 1908. (236 S.) gr. 8° ' M. 5 —

Inhalt: Piontek, Ferdinand, Die katholifche Kirche und die
häretifchen Apoftelgefchichten bis zum Ausgange des 6. Jahrhunderts.
Ein Beitrag zur Literaturgefchichte. — Seppelt, Franz Xaver, Der
Kampf der llettelorden an der Univerfität Paris In der [Mitte des
13. Jahrhunderts. II. Teil. Der äußere Verlauf des Kampfes. —
Haafe, Felix, Patriarch Dioskur L von Alexandria nach mono-
phyfitifchen Quellen.

Der vorliegende Sammelband bietet an erfter Stelle
eine Abhandlung von Ferdinand Piontek: ,Die katholifche
Kirche und die häretifchen Apoftelgefchichten
bis zum Ausgange des 6. Jahrhunderts. Ein
Beitrag zur Literaturgefchichte' (S. I—71).

Eine kurze Einleitung gibt den Plan des Ganzen an.
Der 1. Abfchnitt unterfucht, welche Apoftelgefchichten
als ketzerifch gelten müffen. Dabei befolgt P. eine ganz
eigentumliche Arbeitsweife. Er vermeidet es möghchft,
die Texte der Apoftelgefchichten felbft daraufhin anzufeilen
, ob fie kirchlich find oder nicht. Vielmehr urteilt
er im wefentlichen auf Grund von äußeren Zeugniffen.
Als Urfache führt er an: die handfehriftliche Überlieferung
fei zu verwickelt, als daß man ficher feftflellen könne,
welcher Text der urfprünglichfte fei; darum fei eine Berufung
auf den Text der Apoftelgefchichten von zweifelhaftem
Werte. Befonders hoch fchätzt P. den Zeugenwert
iles Turribius, Erzbifchofs von Aftorga in Spanien.
P- gelängt zu dem Ergebniffe: ketzerifch find die Akten
des Thomas, Andreas, Johannes, Petrus, nicht die Paulusakten
und die jüngeren apokryphen Apoftelgefchichten.
Der 2. Abfchnitt behandelt die Stellung der gelehrten
katholifchen Kreife zu den ketzerifchen Apoftelakten.
Wir erfahren zunächft, welchen Schriftstellern diefe Apokryphen
bekannt waren. Dann wird die Kritik dargestellt
, die in den genannten Kreifen an den Apokryphen
geübt wurde. Der 3. Abfchnitt, der wieder fehr kurz
ausfällt, geht der lehrreichen Frage nach, wie fich das
katholifche Volk zu den ketzerifchen Apoftelgefchichten
verhielt. Der Schlußabfchnitt behandelt den Kampf der
katholifchen Kirche gegen die Apokryphen. In einem
Anhange fucht P. gegen Karl Künflle (Antipriscilliana,
1905, S. 124) nachzuweifen, daß der 15. Brief Papft Leos
des Großen echt ift.

Ich bin von P.s Arbeit fehr wenig befriedigt. Schon
gegen feine Methode habe ich viel einzuwenden. Es
ift doch ein merkwürdiger Gedanke, die Frage, ob eine
Schrift ketzerifch ift oder nicht, auf Grund äußerer Zeug-
niffe entfeheiden zu wollen. Diefe Zeugniffe ftehen noch
dazu der betreffenden Schrift zum größten Teile örtlich
und zeitlich fehr fern. Sie können deshalb bei der Beurteilung
der genannten Frage nur mit großer Vorficht
herangezogen werden. Das Hauptgewicht muß auf die
Unterfuchung der Apoftelgefchichten felbft gelegt werden.
Gewiß bieten ihre Texte Rätfei genug. Aber fleht
diefen der Forfcher der Gegenwart wirklich hilflos gegenüber
?

Freilich fchließt der Verfaffer, wie fchon der Untertitel
feiner Unterteilung andeutet, dogmengefchichtliche
Fragen grundfätzlich aus. Dann hätte er fich aber überhaupt
auch nicht auf die Frage einlaufen dürfen, welche
Apoftelgefchichten ketzerifch find und welche nicht:
diefe Frage ift nun einmal eine dogmengefchichtliche.
Sonderbar finde ich die Art und Weife, wie fich P. S. 71
in einer Nachtragsbemerkung mit den verdienstvollen
Unterteilungen Karl Schmidts abfindet.

Ich kann P.s Arbeit nur das nachrühmen, daß fie
die literarifchen Zeugniffe für die Apoftelgefchichten, die
P. für ketzerifch hält, fleißig fammelt.

Mit großer Freude habe ich die 2. Abhandlung des
Bandes gelefen. Sie flammt von Franz Xaver Seppelt
und führt den Titel: ,Der Kampf der Bettelorden an
der Univerfität Paris in der Mitte des 13. Jahrhunderts
. II. Teil. Der äußere Verlauf des Kampfes'
(S. 73 — 139)- S. fetzt hier die Forfchungen fort, die er
im 3. Bande der kirchengefchichtlichen Abhandlungen
(Teil 3) begonnen hatte.

Das 1. Kapitel gibt einen Überblick über das Verhältnis
zwifchen Welt- und Ordensklerus und zeigt, daß
und warum es zwifchen beiden frühzeitig zu Streitigkeiten
kam. Damit ift der Hintergrund gezeichnet, den man
fich bei Darstellung des eigentlichen Gegenstandes vor
1 Augen halten muß. Das 2. Kapitel erörtert den Anfang
des Streites, das 3. die Entwicklung des Streites bis zum
Tode Innozenz' IV. Kapitel 4 weilt auf die Schwenkung
der päpstlichen Politik hin, die Alexander IV. veranlaßte.
Das fehr lehrreiche 5. Kapitel zeigt, welche Rolle
das Evangelium aeternum und der tractatns de periculis
novissimorum temporum in dem Streite fpielten. Kapitel
| 6 und 7 fchildern das Ende des Streites.

Rühmend hebe ich erftens hervor, daß S. ein fehr
unbefangenes Urteil befitzt. Insbefondere gilt das von
I feinen Ausführungen über den Gegenfatz zwifchen Welt-
und Ordensklerus (die Einfchränkung S. 77 Anm. 1 laffen
wir uns gern gefallen; auch ein Protestant wird fie nicht
unberechtigt finden) und von feiner Darftellung des
plötzlichen Wechfels in der päpstlichen Politik. Aber
S.s Urteil ift nicht nur unbefangen, fondern zweitens
auch gerecht. S. vermeidet es z. B. forgfältig, einfeitig
für die Orden oder für die Weltgeistlichen e nzutreten.
Auf beiden Seiten erkennt er Vorzüge und Nachteile an.
Gegenüber diefen großen Verdienlten fällt es wenig ins
Gewicht, wenn man manche Unterfuchung ausführlicher,