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Ausgabe:

1909

Spalte:

220-221

Autor/Hrsg.:

Puchta‘s, Heinrich

Titel/Untertitel:

Geistliche Lieder und Gedichte 1909

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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2I9 Theologifche Literaturzeitimg 1909 Nr. 7. 220

diefes fraglichen Erfolges willen müßten, wenn der Verf. I
recht hätte, wertvollfte Güter und Verbindungen aufge- j
geben und gelöft, treuefle Kirchenglieder vor den Kopf j
gefloßen werden. Sollte nicht auch die Sozialdemokratie
zu den Gebilden gehören, die ihre Zeit haben, die fich
ändern und auch wieder verfchwinden? Der Verf. fcheint
das zu verneinen; daher fein Eifer. Sonft ließe fich ja
der Gedanke jener Organifation, alfo einer Art von
Avantgarde wohl hören. Nur fürchte ich, fie kann leicht
aufgerieben werden. Immerhin verdient das mutige, !
frifche und freudige Zeugnis Liebfter's Beachtung; es ftellt
jeden Lefer energifch vor den Ernft der ganzen Frage
mit einer Beredfamkeit, der man die fozialdemokratifche j
Schulung, nicht etwa nur zu ihrem Nachteil, ftark anmerkt.

Der frühere Gefängnispfarrer v. Rohden bietet hier
eine fehr intereffante Studie dar. Wenn der Zweck der- i
felben (nach S. 139) der ift, in der Kirche den Sinn hilfsbereiter
Liebe den Gefangenen und Entlaffenen gegenüber j
durch den ,Blick in die Größe, Weitverzweigtheit und
Tiefe der hier vorliegenden Probleme und Aufgaben' zu
wecken, fo entfpricht das Buch demfelben vortrefflich.
Knappe Orientierung, Herausgreifen der wichtigften Fragen
, Perfönlichkeiten, Daten und Verfügungen, ein durch
Erfahrung gefchulter Blick, energifches Anfaffen und
Durchdenken der Probleme, Befonnenheit der Entfchei-
dung, klarer, nüchterner Sinn verbunden mit hohem und |
eifrigem Idealismus und zu allem noch eine gute, leichte
und doch folide Darftellung machen das Buch zu einer j
angenehmen, lehrreichen und anregenden Lektüre. In
Beziehung auf (I) die Konterverfe über Strafzweck und
Strafvollzugsfyftem nimmt der Verf. einen fehr gefund '
vermittelnden Standpunkt ein, wobei er mit Recht die
unerträglichen Einfeitigkeiten (II) der foziologifchen Auf-
faffung, wie fie von Juriften und Pfychiatern heute ftark ;
vertreten wird, unter dem echt feelforgerlichen Gefichts- I
punkt der Behauptung der fittlichen Perfönlichkeit ablehnt,
ohne deshalb die foziale Bedingtheit des Verbrechens
zu verkennen. Knapp, mehr nur andeutend ift auch (III)
die Überficht über die Probleme der feelforgerlichen
Praxis; etwas ausführlicher (IV) die Erörterung des fchwie-
rigen Problems, wie Staat und Kirche fich zur Gefangenen-
feelforge und (V) zur Fürforge für die Entlaffenen zu
verhalten haben. Wenn v. Rohden hierbei energifch fo-
wohl Recht als Pflicht der Kirche, namentlich in Beziehung
auf die Unterfuchungsgefangenen und die kleinen
Gefängniffe, aber auch auf die Entlaffenenfürforge hervor-
hebt, fo wird man ihm im allgemeinen wohl rechtgeben
müffen, auch wenn feine Oppofition gegen das Übergreifen
des reglementierenden Staates vielleicht wefentlich durch
preußifche Erfahrungen beeinflußt fein follte.

Fritze's aus eigener Erfahrung gefchöpfte Darfteilung
der belgifchen Miffionskirche ift fehr anziehend.
Vor mehr als 70 Jahren aus Bibelverbreitungsbeftrebun-
gen auf eine wie es fcheint ungefucht natürliche Art
entftanden, zählt diefe Kirche heute 42 Gemeinden mit
etwa 11000 Mitgliedern, die zu allermeift aus gewefenen
Katholiken beftehen. Wie durch Miffion, d. h. Evangeli- i
fation entftanden, hat fie an diefer Miffion auch ihr j
Leben und ihre Hauptarbeit. Diefe wird hauptfächlich i
von ,Laien', auch von angeheilten Kolporteuren betrieben I
und von Pfarrern geleitet. Ihr Wirken wird hübfch be-
fchrieben, einfach, ohne die üblichen Phrafen und Übertreibungen
. Innerhalb eines Katholizismus, der feine
religiös-fittlichen und -fozialen Pflichten an der Volksfeele 1
mehr als anderwärts zu vernachläffigen fcheint, und in
einem Staatswefen, das zu folcher Miffionsarbeit diefer
kleinen Freikirche ganz freie Hand läßt, gilt es vor allem
Kenntnis von Jefus dem Erlöfer zu verbreiten und zu
feiner praktifchen Nachfolge aufzurufen. Die Bibel in
erfter Linie, aber auch die evangelifchen Lieder entfalten
hier wirklich eine miffionierende Kraft. Manches gemahnt
an urchriftliche und urreformatorifche Zuftände, fo der
Katechumenat, die Agapen, die miffionarifche Wirkung

des Gottesdienftes, die Predigt in der Kirche oder im
Freien. Daneben allgemeine Aufklärungsarbeit (durch
Preffe, Vorträge) und foziales Wirken (bef. Antialkohol-
vereine) zur Schaffung der nötigen Vorausfetzungen und
zur Beeinflußung des Volksganzen; alles auf grund eines
ernft-evangelifchen, aber weitherzigen Glaubens. Das
Ganze mutet erfrifchend an gegenüber unfern vielfach
ftagnierenden Zuftänden. Man fpürt die Kraft eines
werdenden und werbenden evangelifchen Lebens. —■ Nur
den (mit Recht an den Schluß geheilten) prinzipiellen'
Erörterungen kann ich nicht zuftimmen: ich muß die auch
von dem Verf. hervorgehobene und betonte Disparität
unfrer und der dortigen Verhältniffe für fo groß halten,
daß mir für uns eine ausdrückliche Mifftons- oder
Evangelifationsarbeit an unferen Katholiken ausgefchlof-
fen erfcheint. Trotzdem läßt fich freilich von der belgifchen
Miffionskirche viel lernen, und man muß dem
Verf. für feine klare und warme Darfteilung dankbar fein.

Heidelberg. H. Baffermann.

Puchta's, Heinrich, Geiftliche Lieder und Gedichte, herausgegeben
von Rudolf Eckart. Ansbach, C. Brügel &
Sohn 1908. (XXXI, 357 S.) 8°

Geb. M. 3—; m. Goldfehn. M. 3.50

,Am 19. Auguft 1908 kehrte zum hundertften Male
der Geburtstag des geiftlichen Liederdichters Chriftian
Heinrich Rudolf Puchta wieder'. Zu feinem Gedächtnis
und mit dem Wunfche, den faft vergeffenen Gefängen
des Dichters neuen Eingang in die Familien und wo möglich
auch in Gemeinde-Gefangbücher zu verfchaffen, find
die gefammelten Gedichte herausgegeben. Heinrich
Puchta, ein Bruder des bekannten Rechtsgelehrten Georg
Friedrich Puchta, wurde in dem Schlöffe zu Cadolzburg
in Mittelfranken geboren, ftudierte Theologie in Erlangen
und Berlin, wurde 1832 Stadtvikar in München, 1839
Privatdozent in Erlangen, in demfelben Jahre Profeffor
der Philofophie am Lyzeum in Speyer, nach längerer
Krankheit 1842 Pfarrer im Dorfe Eyb bei Ansbach,
1852 zweiter, 1856 erfter Prediger an St. Jakob in Augsburg
, wo er am 12. September 1858 nach fchwerem
Leiden, deffen Keim er im Dienft an Cholerakranken
empfangen hatte, ftarb. Seine Werke find: ,Zeiten und
Dinge. Epifche Dichtung' 1835, ,Morgen- und Abendandachten
am chriftlichen Hausaltar' 1843, eine Sammlung
geiftlicher Gefänge, zurVerd rängungvon Witfchels,Morgen-
und Abendopfer in Gefangen', die in 11 Auflagen erfchienen
find, beftimmt; 1857 kam die 2., 1865 die 3. Auflage
unter dem Titel ,Chriftlicher Hausaltar' heraus. Seine
,Gedichte' veröffentlichte Albert Knapp 1860 mit einem
Lebensbild, das den Entfchlafenen in überfchwänglichen
Tönen feiert. Diefe ,Gedichte' und der ,Chriftliche
Hausaltar' finden fich in der vorliegenden neuen Gefamt-
ausgabe vereinigt. Der Inhalt der Sammlung führt die
folgenden Rubriken: Die Wochentage, zwei Reihen zu
je 14 Gefängen, die Jahreszeiten, vier Reihen zu je
14 Gefängen, in beiden Rubriken je ein Morgen- und ein
Abendlied, die Kirchenfefte, ebenfalls Morgen- und
Abendlieder in 47 Gefängen, des Lebens Wendetage
21 Gefänge, Geiftliche Dichtungen verfchiedenen
Inhalts.12 Gefänge und 27 zu jedem Kapitel von Jefaja
40—66, Übertragungen von Lateinifchen Hymnen (11),
endlich Sinnfprüche (12). Der Verfaffer war 7 Jahre
lang Mitglied der bayrifchen Gefangbuchs-Kommiffion,
in der er, allerdings vergeblich, auf Modernifierung des
Gefangbuchs drang, indem er ,die erreichte Form der
neueren Gefangeskunft mit dem echten biblifchen Gehalte
zu einer lebendigen Einheit zu verfchmelzen' ftrebte. In
diefen Worten fpricht er felbft das Ideal aus, das ihm
in feiner eigenen Dichtung vor Augen ftand. Auch für
andere Gefangbücher hat er fein Ziel nicht erreicht. Nur
hie und da findet man ein Lied von Puchta, deffen Name