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Ausgabe:

1909 Nr. 7

Spalte:

218-220

Autor/Hrsg.:

Fritze, Georg

Titel/Untertitel:

Die Evangelisationsarbeit der belgischen Missionskirche 1909

Rezensent:

Bassermann, Heinrich

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217

Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 7.

218

pfychologie hinweifen, die wirklich Religionspfychologie
der Methode und Tendenz nach bietet; Starbuck arbeitet
mit allen Apparaten der Experimentalforfchung, wie
Kurvenfchwankungen, Tabellen und Diagrammen.

Starbuck gibt fo der Theologie noch mehr Probleme

Lieblter, Paft. Georg, Kirche und Sozialdemokratie.

(III, 128 S.) M. 3.20

Rohden, Konfift.-Rat Dr. G. von, Probleme der Gefangenen-

feelforge und Entlalfenenfiirforge. (VIII, 144 S.) M. 3.6b

auf als James, bei dem Schmidt in dankenswerter Weife Fritze, Pfr. Georg, Die Evangelifationsarbeit der belgilchen
eine ganze Reihe bereits wenigftens aufgeftellt hat. Zu Milfionskirche. (III, 58 S.) M. 1.6b

diefen Fragen gehört auch die Bekehrung, bei deren
Wiedergabe aus James unfer Autor hauptfächlich den
theoretifchen Unterbau der fubliminalen Sphären der
Seele für die Bekehrung beanftandet. In fynergiftifcher
Weife betont Sch. den Willensfaktor der Bekehrung und
nimmt dabei Anftoß an jene unterbewußten Grenzgebiete,
die der Theolog aus feiner Erfahrung der göttlichen
Gnade m. E. eher beftätigen ftatt bekämpfen follte. Die

(Studien zur praktifchen Theologie, herausgegeben
von C. Clemen. 2. Band. Heft 1, 2 und 3.) Gießen,
A. Töpelmann 1908. gr. 8°

Der Verfaffer des 1. Heftes in diefem 2. Band der
,Studien zur prakt. Theologie' fcheint mir — wie das ja bei
der Behandlung folcher Spezialthemata leicht gefchieht —

Frage wird fleh fo löfen: die amerikanifche Religions- | in große Einfeitigkeiten verfallen zu fein die feinen Dar
pfychologie hat zunächft unter Bekehrung die religiöfen legungen zwar eine bemerkenswerte Stoßkraft verleihen,
Erfcheinungsgruppen zugleich mit ihrer theoretifchen ; aber dafür auch den ruhigen Beobachter zur Anbringung gar
Interpretation zufammengefaßt, welch letztere die Theo- j mancher Fragezeichen nötigen. Alfo ,die Kirche' (gemeint
logie als Wiedergeburt zu bezeichnen pflegt. Das Neu- i m «Jets nur die evangelifche, diefe aber ift bekanntlich in
leben ift primär, die Bekehrung begreift deffen Funktion vermiedenen Gebieten fehr verfchieden geartet) muß
und Folgephänomene in fleh. Das fubliminale Gebiet ' die fozialdemokratifchen Arbeiter wiedergewinnen. ,Eine
ift noch n ach Seiten des Gemüts zu klären und fchärfer ' Kirche ohne Arbeiter ift ein Unding, wer jenes Ziel aufabzugrenzen
, aber dem Willensfaktor gefchieht für die i gibt, gibt die Kirche auf (72). Weil nun die Sozial-
Bekehrung kein Abbruch, wenn nur der Bewußtfeins- 1 demokratie von dem heutigen Staate nichts wiffen will, hat
koeffizient bei der Perzeption religiöfer Erfahrung in die Kirche ihre Verbindung mit diefem zu löfen, am
Rechnung geftellt wird: Bekehrung ift nach den Alt- beften auch die finanzielle, da fonft der Schein entlieht,
proteftantlern von Gott (H. Geift) und der Pfyche gleich- ; die Pfarrer feien vom Staate .gekauft'; nicht einmal
mäßig ausgelöft. patriotifche Reden follen Pfarrer halten dürfen (71). Ebenfo

Wenn^fchließlich Sch. den biologifchen Standpunkt ! hat fie von allen politifchen, wirtfchaftlichen und kultu-
von James bei der Frage nach dem Wefen der Religion 1 rellen Aufgaben die Hände zu laffen, fogar mit Armen-
beanftandet, fofern die Religion nicht fowohl das Not- j verforgung hat fie beffer nichts zu tun (77). Das nennt
wendige leicht und angenehm mache, was nur die Tat- L. ihre Neutralität, und in ihr fleht er die notwendige
kraft lähme, als vielmehr die volle Gemütsruhe gebe, | Vorbedingung für die Erreichung jenes Zieles. Auch
fo vermutet der Kritiker feibft das Mißliche feiner Kritik, j gegenüber der fozialdemokratifchen Partei als folcher hat
Offenbar ift das von James gemeint, deffen Pragmatismus i he neutral zu fein, dagegen Widerftand zu leiften, fofern
gerade auch in diefem Zufammenhang herauszuheben ! diefe eine antireligiöfe Weltanfchauung vertritt und pro-
(bei Schmidt S. 104 nur behufs der Gottesbeweife erwähnt) pagiert (58). Die Kirche kann auch folche Neutralität
und mit den S. 15 zitierten Bibelftellen wie Joh. 7, 17. üben, denn ,das Evangelium'(diefe Größe wird nicht näher
zu konfrontieren wäre; es wäre hier wohl auch die be- beftimmt) ift feibft neutral, gleichgiltig gegenüber der
fondere Monographie von James über .Pragmatismus', ' Welt, der Kultur, in feiner Ethik für das Leben auf der
Heft I der Philofophifch-foziologifchen Bücherei' des j Erde unbrauchbar (29), nur auf das Jenfeits gerichtet.
Verlages von Dr. Werner Klinkhardt zu zitieren. Die Ihr pohtifcher Kampf gegen die Sozialdemokratie ift
Religion, fpeziell das Chriftentum hat fein Wefen in diefer ! reiner Wahnwitz (63), aber auch die Verbindungen .chrift-
Pfychobiologie, die bei James von feinen Äußerungen hch- oder evangelifch-fozial' ein Unfinn (33). Es kann
über die wohlgemute und fchwachgemute Seele aus — 1 auch fozialdemokratifche Pfarrer geben (61), ja es muß
fo follte man wörtlicher und zutreffender die .leicht- und j kirchliche Boten geben, die ,um des Herrn willen Sozial-
fchwermütige' Pfyche wiedergeben — noch mehr zu j demokraten werden' (65). — Und nun hofft der Verf.
würdigen ift. Hätte Sch. diefe Gedankenreihen (vergl. 1 der offenbar feibft energifch und freudig in diefer Arbeit
z B meine Beiträge') mehr und eher verfolgt, dann wäre fleht, daß die Arbeiter allmählich wieder für das Evan-
wohl der vom Lefer mit Spannung eingefehene Abfchnitt gehum, das doch ihrem geheimen Herzensbedürfnis ent-
über chriftlichen Monotheismus etwas länger als eine j fpricht, gewonnen werden könnten, nicht durch Bußpre-
Seite ausgefallen und der Vorwurf weggeblieben, als ob digt oder Volksbelehrung; auch nicht durch den ,monar-
außer von James faft noch nichts in religionspfychologicis ; chifchen' und autoritativen Gottesdienft, und wieder nicht
gearbeitet wäre. Wo war Prof. Schmidt in den letzten durch Wohltätigkeit und dgl., fondern durch die ,Dis-
I s Jahren, feitdem meine Wenigkeit darin fleh bemüht hat?1 i kuffion' in eigens veranftalteten oder fozialdemokratifchen
Das beinahe zu reichhaltige Buch, das von großer j Verfammlungen und zwar durch das verurteilslofe, kühle,
Belefenheit auch außertheologifcher Literatur zeugt, kann geduldige und beharrliche Zeugnis des Glaubens und die
manche Anregung bieten ; ob auch Löfung von Fragen, ; von lhm a"sphe"-^ ffuggeftive' Wirkung. Dazu gehört
möchte bei den großen Schwierigkeiten und dem bisher | nur etwas Mut, Uberwindung einer gewiffen .geiftigen
nicht gerade hohen Grad pfychologifcher Schulung von j Verweichlichung und die Entfchloffenheit, Schmach und

uns

_ Theologen zu bezweifeln fein. ] Blamage geduldig auf fleh zu nehmen gemäß dem Evan-

T .. _ , j* gelium. Hierzu werden dann noch Anweifungen für die

Alt-Jeffnitz. G. Vorbrodt. ; praxis gegeben, wobei Wßelandt ,Die Arbeit an den

Suchenden aller Stände' gebührendes Lob findet. Der

3. Teu^^ Erfolg kann zunächft nicht, groß fein ift aber doch falls

Hinweis darauf bei Sch., fo nahe das gelegen hätte, weder in Teil III eine gefchloffene Organifation die Sache fyftemattfch be

von Schmidt noch in Teil II, wo er in Wundt's Vorurteilen, die Religionspfychologie
nicht als individualpfychologifche und experimentelle darzu-
ftellen, einen Anwalt teilweis hätte finden können.

treibt, mit Sicherheit fowohl bei den Arbeitern wie auch
bei der Kirche feibft zu erwarten.

Mir ift fehr fraglich, ob durch ein weltfremdes, rein
jenfeitiges, eigentlich in der Luft fchwebendes Evangelium
heutige Arbeiter auf dem Wege nicht des Beweifes,
fondern der Suggeftion gewonnen werden können. Um