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Ausgabe:

1909 Nr. 6

Spalte:

183-184

Autor/Hrsg.:

Schwartzkopff, Paul

Titel/Untertitel:

Gibt es einen Gott ? 1909

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Seite 1

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183 Theologifche Literaturzeitung 1909 Nr. 6. 184

theorie aufgenommen, in einen größeren Zufammenhang i
eingegliedert und darin ,aufgehoben' hat, indem fie ihrer- !
feits darauf hinwies, welche gewaltige Rolle im religi-
öfen Leben das Verlangen nach Selbftbehauptung, fei
es natürlicher, fei es fittlicher, fpielt. Diefer wichtige
Faktor wird im vorliegenden Buch leider ignoriert, und
es bedeutet keinen Erfatz, wenn ftatt deffen neben dem
Abhängigkeitsgefühl das bloße Verehrungsbedürfnis ge- j
nannt wird. Am nächften kommt wohl Grimm damit
der Auffaffung von Rauwenhoff. Dennoch kann feine
Lehre keineswegs als eine Fortbildung der letzteren
gelten — fie ift eher ein Rückfehritt —, wie denn überhaupt
keine Anknüpfung verfucht wird. Ein derartiges
,Aneinandervorbeiarbeiten'bedeuteteinenfchweren metho-
dologifchen Fehler, der ein wirkliches Vorwärtskommen
zur Unmöglichkeit macht. Und Verf. verfällt denn auch
hier und dort (man vergleiche die Kapitel I A, 2. 3; III, 5)
einem Intellektualismus, der in der Religionspfychologie
längft überwunden ift, wenn gleich die jüngfte Theologie,
indem fie die pfychologifche und die transzendentale
Betrachtungsweife auseinanderhält, mit Recht wieder mehr
Wert legt auf eine rationale Begründung der Wahrheit j
und Geltung religiöfen Glaubens.

Zu weniger Einwänden als der erfte Teil gibt der j
zweite Anlaß. Zwar die aufgeftellte Theorie über die
Entftehung der Moral ift ebenfalls mehr konftruiert als
aus Erfahrungstatfachen abgeleitet. Man mag über das
in England viel gelefene und mannigfach zitierte Werk j
von Weftermarck, The origin and development of the mo-
ral idcas, denken, wie man will, man kann es verliehen,
daß es durch den enormen induktiven Apparat auf ge-
wiffe Lefer einen ganz andern Eindruck machen muß.
Aber fonft enthält der Abfchnitt vieles, das nicht nur I
geiftvoll ift, fondern auch ficher zutreffend und lehrreich.

Am bellen dürfte dem Autor der dritte Teil gelungen ■,
fein. Hier, wo es gelegentlich die praktifchen Konfe- [
quenzen zu ziehen gilt, bewegt er üch mit großer Gewandtheit
und Sicherheit. Und es bedeuten beifpiels-
weife, von anderm abgefehen, Ausfuhrungen wie die über
Monismus und Dualismus unzweifelhaft eine wertvolle ,
apologetifche Dienftleiftung.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Schwartzkopff, Gymn.-Prof. Dr. Paul, Gibt es einen Gott?

München, C. H.Beck 1908. (III, 82 S.) 8° Kart. M. I —

Die Schrift zerfällt in drei Teile. Der erfte Teil
(9—17) behandelt ,den Atheismus unter den beiden ;
Hauptgefichtspunkten des Materialismus und des kan- j
tifchen Idealismus'. ,Daß der Materialismus ein Hauptgegner
jedes Gottesglaubens fein muß, ift leicht einzufehn.
Denn für wen nur einzelne, äußere Dinge vorhanden
find, für den kann folgerichtig nicht einmal eine innere
Einheit der einzelnen, gefchweige denn eine Gefamtheit
aus ihnen exiftieren. Ohne diefe aber kann es überhaupt
keine Welt geben, noch weniger eine Gottheit'. Wodurch
hat es aber der kantifche Idealismus verdient, ,als eine
Form des Atheismus' angeführt zu werden? Schw. ift !
,weit davon entfernt, dem frommen Kant den Glauben
an Gott abzufprechen'. Er ift aber der Anficht, daß ,die
ungebrochene Konfequenz feines Standpunktes notwendig
zum Atheismus führt'. Kant vernichtet die ganze ob-
jektive Welt und behält nur das Subjekt übrig; diefe !
Einfeitigkeit, die die ganze Welt in bloße Zuftände des :
Subjektes auflöft, vereinzelt die menfehlichen Sachen fo
gut, wie der Materialismus die Außendinge. Und eben
hierdurch verfperrt er den Weg zur Einheit, zum Weltganzen
, und damit zu Gott. — Der zweite Teil (18—40)
hat es mit dem Pantheismus und der befondern Abart
desfelben, dem Monismus zu tun. Mit großer Entfchie-
denheit betont der Veif. ,den Wahrheitskern des Pantheismus
, die Innerweltlichkeit Gottes'. Die Immanenz
bedeutet nichts andres als ,daß eine Urfache in ihren

Wirkungen vorhanden ift und fich in ihnen betätigt. So
ift die Gefamturfache der Gefamtheit aller Wirkungen
einwohnend zu denken'. Aus dem Wefen der Urfächlich-
keit folgt aber, daß es ebenfo wenig eine Immanenz ohne
Tranfzendenz, wie eine Tranfzendenz ohne Immanenz
gibt. Denn fo fehr eine Urfache ihren Wirkungen einwohnt
, ift fie bei alledem zugleich über ihnen erhaben ;
fonft würde fie in ihnen aufgehen, fich in ihnen erfchöpfen,
ihnen gegenüber ihre ftetige Dauer und fubftantielle Selb-
ftändigkeit einbüßen. — Der dritte Teil gilt dem Theismus
und führt den Titel: Der perfönliche Gott (41—82).
Schw. will zunächft das ,noch verbreitete Vorurteil be-
feitigen, als könne man zu irgend einer Gewißheit in betreff
des Dafeins Gottes auf rein fubjektivem Wege gelangen.
Zum Dafein Gottes, der doch überweltlich fein muß,
vermag das Subjekt nicht von innen her vorzudringen.
,Ein wiffenfehaftlicher, wenn auch induktiv begründeter
Beweis des Schöpfers aus feiner Schöpfung', in andern
Worten, der ,kosmologifche Schluß auf einen Urheber
deffen, was uns umgibt, fchließlich der ganzen Welt, liegt
auch heute noch jedem unbefangenen Gemüte nahe'. Um
die Irrigkeit der Anfchauung darzutun, ,als wenn die
Kaufalität nur eine Denkungsweife fei, die man an die
Dinge heranbringe, denen (ie als folche jedoch nicht
zukommt', will Schw. vor allem ,an das gefunde Lebensgefühl
jedes Unbefangenen appellieren'. Hat Gott
die Welt hervorgebracht, dann muß er auch zugleich
Schöpfer ihrer Zweckordnung fein. Von diefer Pofition
aus unternimmt Schw. die Widerlegung der wichtigften
hinwürfe des Peffimismus. Endlich ergibt fich aus der
Selbftändigkeit der Welturfache ihre Perfönlichkeit, d. h.
ihre felbftändige Geiftigkeit. ,Wollte man Gott, im Vergleich
mit der unvollkommenen menfehlichen Perfönlichkeit
,überperfönlich' nennen, fo wäre dagegen nicht viel
einzuwenden'. — In den Schlußbemerkungen feiner Abhandlung
(79—82) berührt der Verf. ,den perfönlichen
Beweis für das Dafein Gottes'. Nachdem er auf theore-
tifchem Wege das Dafein Gottes .objektiv dargetan' hat,
will er auch dem ,inneren Gotterlebnis' des Menfchen
gerecht werden. ,Soll die Gotteserkenntnis des Menfchen
ihre Vollendung erreichen, fo muß fie zugleich auf einer
fubjektiven, perfönlichen Gemeinfchaft desfelben mit Gott
beruhen. So wird die fachliche Überführung von feinem
Dafein erft zum perfönlichen Erleben. Diefes hat zum
Inhalt die tatfächliche Beziehung zwifchen Gott und
Menfch. Aber eben auf der Stufe echter Menfchlichkeit,
beftimmungsgemäßen Perfonlebens. So erft weiß fich
der Menfch felbft von der hingebenden Gefinnung der
Gottheit durchdrungen. Alfo von ihrer Liebe. Ein Bewußtfein
, das durch das Gefühl der Einftimmigkeit unfres
Strebens und Wefens mit Gottes Wefen und Willen vermittelt
wird'.

Die Inhaltsangabe diefer Schrift geftaltet fich unmittelbar
zur Charakteriftik derfelben. Sie ftellt in unfrer theo-
logifchen Literatur einen eigentümlichen Anachronismus
dar, fofern fie von den Vorausfetzungen eines naiven
Realismus aus das Problem der Gotteserkenntnis zu löfen
unternimmt. Auf jedem Schritt gibt fich der Mangel
einer kritifchen Theorie des religiöfen Erkennens kund:
diefes jtQmrov ipevöoq muß auch die unleugbaren Ver-
dienfle des Verfaffers, feine redlichen Ablichten, feinen
fittlichen Ernft, fein warmes chriftliches Intereffe, zu einer
bedauernswerten Unfruchtbarkeit verurteilen.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Wagner, Paft. Hermann, Hat Gott gefprochen? Eine bib-
lifche Unterredung mit Chriflen unterer Zeit. Berlin,
Trowitzfch & Sohn 1909. (IV, 137 S.) 8° M. 1.80

In fechs Kapiteln unterfucht der Verf. diefe Frage,
die ihm, als er noch junger Landpfarrer war, an einem
dunkeln und ftürmifchen Winterabend, ein Konfirmand
mit herzandringender Aufrichtigkeit und Einfalt vorlegte,