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Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

153-154

Autor/Hrsg.:

Hunzinger, August Wilhelm

Titel/Untertitel:

Zur apologetischen Aufgabe der evangelischen Kirche in der Gegenwart 1908

Rezensent:

Eck, Samuel

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153

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

154

Der Verf. hat feinerzeit eine heute ziemlich viel ge
lefene ,Gefchichte der neueren deutfchen Philofophie feit

flehen wir für die notwendige erkenntniskritifche Aus-
einanderfetzung beider wefentlich ,alle auf den Schultern

Hegel' veröffentlicht, die jüngft von Medicus in den j Kants und Schleiermachers'. Auf diefer Grundlage aber
.Kantftudien', 1906, einer fcharfen Kritik unterzogen I wird die Apologetik ihre Arbeit nach zwei entgegenge

worden ift und fich den Vorwurf großer Unfelbftändig'
keit hat gefallen laffen muffen. Refer. hat die vorliegende
Publikation keiner Prüfung auf den betreffenden Fehler
hin unterworfen. Aber das kann allerdings nicht ver-
fchwiegen werden, daß es fall durchweg an genaueren
Angaben über die benutzten Quellen fehlt, und daß in-
bezug auf den Wortlaut gewöhnlich durch keinerlei
äußere Zeichen ausgedrückt wird, was geiftiges Eigentum
des Autors ift, und was auf Rechnung der von ihm be-
fprochenen Denker kommt. So ift die Form der Dar-
ftellung nicht zu rühmen. Inhaltlich find dagegen die
einzelnen Abfchnitte von fehr verfchiedenem Wert. Ganz
unzulänglich ift beifpielsweife derjenige, der J. Kaftan
gewidmet ift. Wie viele feine Beftimmungen dieies Theologen
über das pfychologifche Wefen der Religion werden
einfach ignoriert! Andere Teile find beffer ausgefallen
und können zu einer erften Orientierung etwas beitragen.
Vielleicht die größte Sorgfalt ift auf die Schilderung der
Gedankenwelt Euckens verwandt, die gleichfam als Kulminationspunkt
in der deutfchen Religionsphilofophie der
Gegenwart erfcheint. Doch wirkt gerade da wieder be-
fonders ftörend der Umftand, daß der Verf. fich in fkla-
vifcher Abhängigkeit an die Terminologie des Jenenfer
Philofophen hält und das Material nicht wirklich verarbeitet
, indem er es, felbft auf die Gefahr des Irrtums
hin, in neue Formen eigener Prägung faßt. Was endlich

fetzten Richtungen hin zu tun haben. Sie wird einerfeits,
nach innen gerichtet, die Pflicht der Selbftbefinnung des
Glaubens auf feine Fundamente üben, eine ftete Reinigung
feiner Weltanfchauung von fremdartigen, zeit-
gefchichtlichen Beftandteilen erftreben. Hier haben Ritfehl
und die Erlanger gemeinfam ein gutes Werk getan. Sie
wird andererfeits die Pofition der Gegner in Natur- und
Gefchichtswiffenfchaft fowie Philofophie zu unterfuchen
und auf jener erkenntnistheoretifchen Grundlage das
Recht des Glaubens und feiner Weltanfchauung inmitten
diefer modernen Weltmächte aufzuweifen haben. Es will
mir nicht ganz einleuchten, daß die erftere Aufgabe gerade
Apologetik heiszen foll: es fleckt in ihr doch die ganze
Arbeit der Theologie und fie fchafft, wenn man an eigentliche
Verteidigung des Chriftentums denkt, nur die Vor-
ausfetzung der reinlichen Klarftellung der zu verteidigenden
Wirklichkeit. Aber ich will um den Namen nicht
ftreiten. Die Anerkennung der Aufgabe felbft gegenüber
allem fchnellfertigen Traditionalismus ift ebenfo
erfreulich wie die Weitherzigkeit zu begrüßen ift, in der
Luther und Spener, Kant und Schleiermacher, Hofmann,
Frank und Albr. Ritfehl zu einer großen Arbeitsgemein-
fchaft vereinigt werden. Nach der anderen Richtung
hätte ich wohl gewünfeht, daß Verf. etwas mehr, als er
getan hat, die Dienfte anerkannt hätte, die neuere Natur-
und Gefchichtswiffenfchaft uns geleiftet haben. Es fcheint

die Auswahl des Stoffs anbetrifft, fo läßt fie fich nur j mir das ganz im Sinne feiner Ausführungen zu liegen

verftehen unter der Vorausfetzung, daß lediglich die
noch lebenden deutfchen Religionsphilofophen berück-
fichtigt werden follten. Aber warum ift dann beifpielsweife
Ed. v. Hartmann mit aufgenommen? und warum
werden Drews, Windelband, Rickert, H. Spitta, Uphues,
Paulfen, Wundt, Cohen, L. v. Schroeder und zahlreiche
andere übergangen?

An Einzelheiten nur zwei oder drei zum Schluß.
Ift es heute noch ftatthaft, gegen die Religionsphilofophie
der Ritfchlfchen Schule, wenn man nicht gerade an Bender
exemplifiziert, in der Weife, wie es S. 14 gefchieht,
den Vorwurf des Illufionismus zu erheben? Ift es richtig
von einer foziologifchen ,Bafis' der Religionsphilofophie

Aber indem er jene durchaus auf ihr Gebiet verweift,
höchftens die Unterftützung von feiten theiftifcher Natur-
und Religionsphilofophie pofitiv würdigt, kommt die Tatfache
doch wohl zu kurz, wie ftark an jener Reinigung
der Weltanfchauung des Glaubens von fremden Elementen
die Arbeit diefer Kultur-Wiffenfchaften beteiligt ge-
wefen ift. Die Theologie hat weniger als es den An-
fchein hat auf einem Ifolierfchemel des Glaubens gefeffen.
Dann aber dürfte bei allem Angriff diefe Anerkennung
nicht fehlen. Freilich müßten dann noch andere Namen
in die große Arbeitsgemeinfchaft eingerechnet werden.

Den Schluß bilden praktifche Winke für paftorale
Apologetik und die Forderung der Anftellung von BeNatorps
zu reden? Trifft es zu, wenn es heißt, diefer Den- | rufsapologeten. Aber theologifche Verteidiger des Chri-
ker faffe die ,Religion als unerläßliche Vorausfetzung der j ftentums werden heute unter derfelben Mißgunft leiden wie
Sittlichkeit'? (S. 150) Diefe Charakteriftik findet doch keine I in den Zeiten der Laienapologeten Pufendorf, Leibniz
ausreichende Stütze in Bemerkungen wie etwa der, daß ; Zinzendorf. Werden fie befonders dafür bezahlt, fo müßte
die Religion der Sittlichkeit zu einer ,fehr gewichtigen, diefe Mißgunft fich verdoppeln. Vgl. Stephan, Mulert
ja kaum entbehrlichen Stütze werden' .kann' (Natorp, Sülze, Bonus: Chr. Welt 1907, 34. 37. 39. 46. Rade ZTh.K.
Sozialpädagogik, 1899, S. 350)! 1907 H. 6.

Straßburg i. E. E. W. Mayer. Gießen. S. Eck.

Hunzinger, Prof. Lic. Dr. A. W., Zur apologetiiehen Aufgabe
der evangelifchen Kirche in der Gegenwart. Leipzig,
A. Deichert'fche Verlagsbuchh. Nachf. 1907. (75 S.) 8°

Diefe beiden Vorträge find vor der .Meißener Kirchen-
und Paftoral Konferenz' und der .Hohenfteiner Konferenz'
gehalten worden. Sie berühren fich, wie das Vorwort
felbft hervorhebt, vielfach. S. 14—32 decken fich inhaltlich
faft mit S. 42—55. Doch hat der erfte mehr die
eigentlich theologifche, der zweite die Arbeit in der Gemeinde
im Auge. Eine neue Apologetik tut not. Die
alte taugt nicht mehr, wie mit ftarken Worten betont

Simmel, Georg, Die Religion. (Die Gefellfchaft. Sammlung
fozialpfychologifcher Monographien. Herausgegeben
von Martin Buber. 2. Band.) Frankfurt a. M., Litern
". 1.50 | rarifche Anftalt Rütten & Löning (1906). (79 S.) 8°

M. 1.50; geb. M. 2 —

Von der auchTheologen intereffierenden Sammlung —
Bd. I: ,Das Proletariat' von dem die Arbeiterpfyche drahtlich
fchildernden W. Sombart, Bd. III: ,Die Politik' von
Alex. Ular, der die Herrfchaft des religiöfen Motivs dem
wirtfehaftlichen gegenüberftellt — fei die in Gedankengänge
der Völkerpfychologie (der Religion) einfuhrende
Arbeit eines Sozialpfychologen angezeigt, der in der

wird. Das Bedürfnis entfpringt aus der Krifis, in der wir j Zeitfchr. für Philof. und philof. Kritik Bd. 119 S. 11 fg.
uns befinden. Diefe wurzelt in der Selbftändigkeit der I auch .Beiträge zur Erkenntnistheorie der Religion'geboten
Kultur, die Luther anprkannthat, der Proteftantismus j hat (vergl. meine Beurteilung in Bd. 130 S. 96 derfelben

alfo nicht verleugnen kann. Zwei Mächte, Kultur und
Glaube (Kirche) flehen einander frei gegenüber. Kommt
es aber für jene wefentlich auf ihre Wiffenfchaft an, fo

Zeitfchr.).

Simmel beginnt das nicht ohne religiöfe Wärme,
aber nicht immer mit Verftändnis für Chriftentum ge-