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Ausgabe:

1908

Spalte:

150-152

Autor/Hrsg.:

Oesterreich, Konstantin

Titel/Untertitel:

Kant und die Metaphysik 1908

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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149

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

Solche Töne find nicht angenehm; fie fordern dazu
auf, fich einer alfo in Grund und Boden verurteilten
Lehre anzunehmen, haben alfo leicht die entgegengefetzte
Wirkung. Allein ich muß dem Verfaffer, der augenfcheinlich
ein katholifcher Geiftlicher ißt und fich mit feinen Argumenten
ganz auf dem Boden der katholifchen Orthodoxie
bewegt, in der Hauptfache recht geben: Die Attritions-
lehre, wie fie heute in der katholifchen Kirche herrfcht,
ißt, gemeffen an Thomas, eine Neuerung und zwar eine
fittlich und religiös fehr bedenkliche Neuerung. Die runden
Behauptungen: ,Attritio cum sacramento sufficit und eine
ausnahmslofe Verpflichtung zu einem ausdrücklichen Akt
der Contritio befteht nicht, da ,im neuen Gefetze' alles
leichter und bequemer fein muffe — find fchlimme Behauptungen
. Die Darlegungen in diefer Richtung in
meinem Lehrbuch der Dogmengefchichte find von katholifchen
Theologen begreiflicherweife beanftandet worden.
Nun wird ihnen dasfelbe auf Grund ihrer eigenen Voraus-
fetzungen und in ihrerSprache von einem der Ihrigen gefagt
(z. B. S. 127): ,Die Attritionslehre ift verderblich für die
Seelforge; denn fie begünftigt fowohl den fakrilegifchen
Mißbrauch des Sakraments, als auch den geiftigen Mord
der Seelen. Es[!] begünftigt das Sakrilegium, weil es fchuld
daran ift, daß die heilfame Wirkung des Bußfakraments
in fehr vielen Fällen vereitelt wird, und es fördert den
geiftigen Mord, weil es viele Seelen in eine falfche Sicherheit
wiegt und dadurch dem ewigen Tode überantwortet.'
Auch die Ausführungen des Verfaffers über das Neolo-
gifche und die Widerfprüche der verurteilten Lehre —
fchon der Satz ,attritio cum sacramento sufficit enthält
einen Nonfens, da doch das Sakrament an fich ,sufficit —
find beifallswert. In der Tat müßte die neue Lehre, wenn
fie fich von den Reffen der Vergangenheit, die fie doch
fchon abgetan, freimütig befreien wollte, alfo lauten: ,Zum
Sakrament der Buße gehören vier Stücke, nämlich attri-
tio, confessio, satisfactio, absolutio; die Forderung der
contritio braucht nicht gefleht zu werden.'

Soweit ftimme ich mit dem Verfaffer überein. Aber
an vier fehr wichtigen Punkten vermag ich ihm nicht recht
zu geben. Erftlich beurteilt er die Bußlehre des Triden-
tinums als eine klare und einftimmige, die fich mit der des
Thomas (alfo auch mit feiner eigenen) decke. Allein
fie ift (Sess. XIV,4 u. VI, 6) nicht klar, vielmehr vermögen
fich (Sess. XIV,4) die Attritioniften mit Grund auf fie zu
berufen, weil fie zweizüngig ift. Der Nachweis, daß die
Attritioniften in bezug aufdie Bußlehre viermal eine falfche
Lehre untergefchoben haben (Zufammenfaffung S. 119),
ift zwar wirklich zu erbringen, aber andrerfeits kann man
aus dem fchillernden Satz, daß die attritio zum Empfang
der Rechtfertigung im Sakrament genügend vorbereite,
auch die Lehre der Attritioniften entwickeln. Zweitens
fcheint mir der Verfaffer die Geltung und den Spielraum
des Attritionismus in der vorjefuitifchen Zeit zu unter-
fchätzen. Drittens ift feine Unterfcheidung einer doppelten
contritio bedenklich, und viertens ift feine Kritik ungenügend
, weil er auf dem Boden der Unterfcheidung von
attritio und contritio, wie feine Kirche fie lehrt, verharrt.
Erfl wenn man diefe Art Unterfcheidung aufgelöft hat,
kann man fichere Schritte tun, und dann allein kann man
auch dem Wahrheitsmomente, welches im Attritionismus
fleckt, gerecht werden. Er hat gar keine Wahrheit in
fich, wenn attritio eine .gottlofe' Reue ift, d. h. eine folche
Reue, der das Element der Zukehr zum Guten fehlt.
Aber er kann voll Wahrheit fein, wenn unter ,attritiol die
contritio zu verftehen ift, die dem glimmenden Dochte
gleicht, wenn hier nichts generell, fondern alles perfonell
gewertet wird und wenn anerkannt ift, daß wertvolle Reue
überhaupt nur aus einem Motiv flammen kann.

Der dogmatifch-kirchenpolitifche Appell an die Bi-
fchöfe, fpeziell an den Kardinal Kopp, hat etwas Naives —
als wäre der Attritionismus der einzige Fall diefer Art,
in welchem der moderne Katholizismus fich von früheren
Zeiten entfernt habe! Aber der Verf. meint es gewiß

ernft und ehrlich, und daß fich ein katholifcher Priefter
an diefem Punkte befonnen hat und nun alles auf diefe
Karte fetzt, ift aller Anerkennung wert. Aber ich fehe
nicht ein, wie er nach diefer Kritik in der Kirche bleiben
1 kann; denn der Attritionismus, obgleich formell eine Schullehre
, ift heute in Wahrheit fo gut ein Dogma wie die
Lehre von den heben Sakramenten.

Berlin. A. Harnack.

Oelterreich, Dr. Konftantin, Kant und die Metaphylik. (Kant-
ftudien. Ergänzungshefte, im Auftrag der Kantgefell-
fchaft herausgegeben von H. Vaihinger und B. Bauch.
No. 2.) Berlin, Reuther & Reicnard 1906. (VI, 129 S.)
gr. 8° M. 3.20

Abdruck der 1905 erfchienenen Diflertation des Verf.

Die vorliegende Unterfuchung ftellt fich auf den
Boden der Auffaffung, die Paulfen in feinem Buche über
Kant (in Frommanns Klaffikern der Philofophie) vertreten
hat, und die fich am kürzeften dahin beftimmen läßt,
j daß Kant nicht als Überwinder, fondern als Reformator
der Metaphyfik zu betrachten ift. Sie ftellt fich die Aufgabe
, ,die Entwickelung der Gedanken des Philofophen
über den Begriff, die Methode und die Möglichkeit
der Metaphyfik durch alle Stadien feiner Philo-
! fophie hindurch zu verfolgen und fo zu verfuchen, auch
von diefer Seite aus die Eigentümlichkeiten ihrer Stellung
zur Metaphyfik verftändlich zu machen' (S. 1).

Eine Einleitung über Kants Perfönlichkeit hebt die
j Grundzüge derfelben hervor: die Genialität feiner Intelligenz
, die tranfzendente Richtung feines Gemüts und
I die moralifche Wertungsweife feines Willens, zugleich als
die Fundamente, auf denen feine Philofophie ruht und
| auf denen fich die drei berühmten Fragen erheben: Was
j kann ich wiffen? Was darf ich hoffen? Was foll ich tun?
j Der I. Teil der Schrift behandelt unter dem Titel,Kants
1 metaphyfifcher Dogmatismus' deffen Verhältnis zur Phi-
| lofophie Chriftian Wolfis, befonders zu derjenigen Geftalt
| derfelben, die ihm bei feinem Lehrer Martin Knutzen
entgegentrat. Bei aller grundfätzlichen Übereinftimmung
Knutzens mit Wolff ift bedeutfam feine Unterfcheidung der
Mathematik und der Philofophie als Wiffenfchaften der
Quantitäten und der Qualitäten der Dinge. Doch fchon
in den fechziger Jahren vollzieht fich ,Kants erfte Los-
löfung von der Schulmetaphyfik' (II. Teil), deren wefent-
lichfte Vorbedingung war die Durchbrechung der fyllo-
giftifch-mathematifchen Methode, in welcher der Rationalismus
das Ideal des wiffenfchaftlichcn Verfahrens gefehen
hatte. In drei Hauptpunkten tritt nun Kant in fchärfften
Gegenfatz zur Schulphilofophie, in der Erkenntnis des
Unterfchiedes zwifchen logifchem und realem Widerfpruch,
in der Einficht in das Rätfei der Kaufalität und in der
Kritik der Gottesbeweife (S. 26). Während nun aber Kant
fo durch immanente Kritik eine weitgehende innere Selb-
ftändigkeit gegenüber der Schulmetaphyfik gewann, noch
ehe er fich prinzipiell von ihr loslöfte, brachte es die
metaphyfifche Grundrichtung feiner Lebensftimmung mit
fich, daß jedem Schritt in agnoftiziftifcher Richtung ein
anderer folgt, ,der den für die Erkenntnis aufgegebenen
Satz um fo mehr wenigftens für die Überzeugung zu
retten fucht' (S. 28). Ein erftes Zeugnis dafür ift die
Schrift über den ,einzig möglichen Beweisgrund zu einer
Demonftration des Dafeins Gottes'. Je mehr die Un-
beweisbarkeit des Dafeins Gottes von Kant durchfchaut
wird, um fo lebendiger wird er überzeugt: eines theore-
tifchen Beweifes bedarf es gar nicht; es giebt einen anderen
, befferen'. Diefer beffere ift der phyfikotheologifche
Beweis, der zwar für den ,fubtilen' Forfcher nicht triftig,
aber für die ,gefunde Vernunft' überzeugend ift. Danebenher
geht noch eine in der Darftellung des kantifchen
Denkens meid wenig beachtete Möglichkeit, vom Dafein
Gottes überzeugt zu werden, nämlich die Wunder, die