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Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

145-147

Autor/Hrsg.:

Ernst, Viktor (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg. Vierter Band: 1556 - 1559 1908

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

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Predigt von 1520 apokryph i(t, auf einem Mißverftändnis
Bullingers beruht und nichts anderes ift als das längft
bekannte Ratsmandat vom 29. Jan. 1523. Für die Datierung
undatierter Briefe und die Beurteilung ihrer Bedeutung
ift die Arbeit von W. Köhler über die Poft von
Heffen nach der Schweiz zur Zeit Zwingiis und Bullingers
zu beachten. Phn Ausdruck der großen Verehrung

des Briefwechfels nicht vorüber gehen. Ganz befonders
ift der Eifenacher Kirchenkonferenz das Studium des
kirchenpolitifchen Programmes des Herzogs Chriftoph
und des certus methodus docendi und des certus ordo fehr
zu empfehlen. Sehr beachtenswert ift das Protokoll des
Frankfurter Konvents Juni 1557, den H. Chriftoph endlich
zuftande brachte, mit den Beilagen Nr. 292, S. 354—374

Zwingiis ift die Kompofition des von Hein. Lupulus in und dem merkwürdigen Vorfchlag von Nik. Gallus, der,
4 Hexametern gefchaffenen Epitaphiums durch Cosmas ohne das Wort zu gebrauchen, doch auf eine evangelifche
Alder welche Ed. Bernoulli befpricht, während das kunft- deutfche Kirchenbehörde und eine Nationalfynode hinvolle
venetianifche, im erften Heft befprochene und ab- aus kommt, wenn er neben General- und Spezialfuperin-
gebildete Glas ein Zeugnis von der Wertfehätzung tendenten in jedem Gebiet noch ,etliche Universales aus
Bullincrers unter feinen Zeitgenoffen ift. Die S. 185 mit- j oberländifchen und fächfifchen Landen' fordert, welche
geteilten chronikahfehen Notizen über Todesfälle von zwar nicht Richter, wie im weltlichen Regimente oder
1514/19 dürften von der Hand eines wahrfcheinlich im im Papfttum, fondern directores negotiorum fein und bei
Herbft 1519 der Peft erlegenen Züricher Geiftlichen ! Streitigkeiten Superintendenten, Paftoren und Gelehrte
flammen, der wohl den Tod feiner Haushälterin in der 1 zufammen rufen follen, um die Sachen nach Gottes
Rätfelfchrift der verwechfeltcn Buchftaben verzeichnete. ! Wort zu erörtern'.

Auf den übrigen Inhalt der reichhaltigen Zeitfchrift einzu- | Die Ideale Chriftophs waren nicht reif für jene Zeit,

gehen fehlt der Raum. Er rechnete zu wenig mit der Wirklichkeit und mußte

Stuttgart. G. Boffert.

fchmerzliche Enttäufchungen erfahren, die meift auf die
Rechnung der hinterhältigen, felbftfüchtigen und ehr-
I geizigen Religionspolitik des kurfächfifchen Hofes zu
Briefwechfel des Herzogs Chriftoph von Wirtemberg. Im fetzen find. Eiferfüchtig fucht derfelbe überall feine .PräAuftrag
der Kommiffion für Landesgefchichte heraus- i eminenz' als geborener Führer der Evangelifchen geltend

gegeben von Dr.Viktor Ern ft. Vierter Band: 1556—1559.
Stuttgart, W. Kohlhammer 1907. (LIV, 746 S.) gr. 8°

M. 10 —

zu machen und den Unternehmungen Chriftophs und des
von ihm beeinflußten Kurfürften üttheinrich von der
Pfalz ,Querhölzer in den Weg zulegen' wie der fäch-
fifche Kanzler Mordeifen fo treffend die eigene Politik
Der vierte Band des wichtigen Briefwechfels des j kennzeichnet, die ungefcheut öffentlich anders redet und
Herzogs Chriftoph von Württemberg gibt für die Jahre J heimlich anders denkt und wünfeht (S. 306 Anm.). Und
1556—59 636 Briefe teils im Wortlaut, teils in Auszügen ! im Schlepptau des Kurfürften Auguft, der bei den ande-
und daneben in den Anmerkungen bei 800 weitere Briefe 1 ren evangelifchen Ständen dafür gilt, die Auerhahnjagd
in kurzer Zufammenfaffung und erfchließt fo ein reiches j fei ihm wichtiger als die Bedürfniffe der Proteftantismus
Quellenmaterial, deffen Inhalt der Verfaffer in der Ein- | in Deutfchland, von dem Herzog Chriftoph ironifch fagt,
leitung S. XXV—LIV fchön und lichtvoll in den Grund- er fei doch keine Hebamme, fährt auch der Kurfürft von
zügen wiedergibt, während das Regifter die Benützung Brandenburg. Sehr intereffant ift die Charakteriftik Ott-
der Briefe erleichtert. Wir fehen, wie der ideal gefinnte, heinrichs als eines Typus des Nebenlinienfürften, deffen
reichbegabte und aufrichtig fromme Herzog des kleinen j Tun und Laffen eher durch die Neigungen und Launen
Württembergs in feiner Begeifterung für die Sache des ! des Privatmannes als durch politifche Erwägungen be-
Proteftantismus, in feiner felbftlofen Hingabe an die För- ; ftimmt find (S. XXXV). Aber diefer lebhaft empfindende
derung desfelben und feiner zuletzt auch von den Kur- ' rheinifche Wittelsbacher, wie fein Verwandter Wolf-
fachfen faft widerwillig anerkannten raftlofen Tätigkeit gang find doch viel fympathifcher als der indolente Albermehr
und mehr in den Vordergrund tritt, wie er üch j tiner Auguft und der verbiffene, eigenfinnige Erneitiner
zur Klarheit über die wahren Bedürfniffe der evange- j Johann Friedrich, der mit feinen Theologen in Verdam-
lifchen Kirchen durchringt, nachdem er den Wert des j mungsurteilen über feine Glaubensgenoffen das Höchfte
augsburgifchen Religionsfriedens neben dem geiftlichen j leiftet, während Landgraf Philipp als gebrochener Mann
Vorbehalt kritifch zu würdigen gelernt hatte und nun j nichts mehr von feiner impulfiven Natur und feinem un-
mit der ganzen Kraft feines impulfiven Wefens an der verzagten Jugendmut verfpüren läßt, fondern ängftlich
Verwirklichung feines Ideals der .einhelligen, gottfeligen i Teilnahme an einer Unternehmung ablehnt, weil fie bei
Kirche' arbeitet. Voll Zuverficht in die fieghafte Gewalt ' Kaifer und König Auffehen erregen könnte, überall ,Rük-
des evangelifchen Glaubens, wie er in der Augustana ken fucht' und nirgends Rücken zu halten wagt,
ausgefprochen ift, geht er an die Aufgabe, die Einheit Die Gefahr, welche der geiftliche Vorbehalt für die

der Proteftanten herzuflellen und fo die Werbekraft, j Zukunft des Proteftantismus und den Frieden des Reiches
Wehrhaftigkeit und Stoßgewalt des Proteftantismus zu in fich barg, ahnt der Herzog von Württemberg. Er
ftärken. Denn eines der größten Hinderniffe für das j fieht darin eine unwürdige Befiel, welche er zu fprengen
Wachstum der evangelifchen Sache, ein Ärgernis für die j fucht, fobald fich auf dem Reichstag Gelegenheit dazu
Schwachgläubigen ift ihm die Vielgeftaltigkeit des Pro- j bietet, aber er findet nicht genügendes Verftändnis und
teftantismus, die keine fundamentalen Lebensbedingungen ! Unterftützung bei den andern Ständen. Überall, wo dem
desfelben betrifft, fondern meift nur aus dem Gezänke , Evangelium eine Türe auf geht, oder wo feine Glaubens-
der Theologen entfpringt. Darum keine Kolloquien 1 genoffen leiden, fieht fich Chriftoph verpflichtet, mit zu
der Theologen mehr, fie machen nur den Riß ärger, wie helfen. Frankreich, England, Polen, die Täler der Walin
Worms, darum ftrenge Zenfur der theologifchen Lite- ! denfer, Steiermark und Bayern liegen ihm am Herzen,
ratur durch die zuftändige Obrigkeit und ftatt der Theo- Wo ein Gebiet fich der Reformation erfchließt, und Rat
logenkonvente perfönliche Zufammenkünfte der evange- | und Hilfe zur Neuordnung des Kirchenwefens bedarf, fen-
lifchen Stände und gute Korrefpondenz unter denfelben, det er feine Theologen Heerbrand und Andreä 'und
Herftellung eines certus (!) methodus docendi und eines ; feine Kirchenordnung.

certus ordo, alfo Einigung über die Lehre und Befeiti- Sehr nüchtern ift das Urteil Ernfts über die evan-

gung der theologifchen Differenzen, und ebenfo Herfiel- gelifchen Neigungen des Habsburgers Maximilian, die
lung einer gleichmäßigen Gottesdienftordnung, eines evan- ihm Mittel zum Zweck find, die deutfehen Fürften für
gelifchen Kirchenrechts und Eherechts und Einführung fich zu gewinnen (S. LI ff.), aber in der Nähe des Vaters
itrenger Kirchenzucht. Wer für die Einigung des Pro- j als luftiges Gebilde zufammenfehrumpfen. Die Freund-
teftantismus ein Herz hat, kann an dem vierten Band 1 fchaft Chriftophs und Maximilians beruht weniger auf