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Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

139-140

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft. IV 1908

Rezensent:

Schürer, Emil

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139

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

140

Vortrag gibt einen Begriff von Inhalt und Charakter der
ausgefchiedenen Evangelien, zumal der nach den Hebräern,
Ägyptern und Petrus benannten, fowie der unechten Paulusbriefe
und berichtet noch den Streit um den Hebräerbrief
. Die Darftellung des Ausfcheideprozeffes wird fortgefetzt
im letzten Vortrag, der zugleich den zum Ab-
fchluß des Kanons führenden Ausgleich der mit dem
kirchengefchichtlichen Wettflreit der drei Rivalinnen Rom,
Alexandria, Antiochia parallel gehenden Differenzen fchil-
dert. Hier befonders wird der Fachgelehrte vielen Errungenschaften
eines felbfländigen Urteils begegnen und allerlei
Neues finden. Beifpielsweife fei auf die Behandlung des
Problems der katholifchen Briefe hingewiefen, wie aus
dem Dreibriefkanon ein Siebenbriefkanon geworden ift.
In diefer ihrer ganzen kanonbildenden Tätigkeit ftellte
fich die Kirche fchließlich nur ein glänzendes Zeugnis
für ihren nüchternen Wirklichkeitsfinn und Takt aus.

Baden-Baden. H. Holtzmann.

Jahrbuch der Jüdilch-Literarilchen Gefellfchaft. (Sitz: Frankfurt
a. M.) IV. 1906-5667. Frankfurt a. M., J. Kauff-
mann 1906. (III, 344 u. 118 S.) gr. 8° M. 12 —

Diefes Jahrbuch, deffen frühere Bände nicht zur Be- 1
fprechung eingefandt worden find, zerfällt in eine deutfche !
und eine hebräifche Abteilung. Die deutfche (344 S.)
enthält folgende Auffätze: 1. Stein, Zur Gefchichte der
Juden in Schweinfurt und dem Vogteidorf Gochsheim
im 16. Jahrhundert. — 2. Welleß, Über R. Ifaak b.
Mofes ,Or Sarura'. — 3. Bondi, Herodes und die letzten
Ziele feiner Politik. — 4. Ehrentreu, Sprachliches und
Sachliches aus dem Talmud. — 5. Goldhor, Die Grenzen
des Weftjordanlandes bei der Befetzung durch die
aus Babel heimkehrenden Exulanten. — 6. B. Cohn,
Chronologifch-halachifche Fragen. — 7. Funk, Raba. —
8. Silberberg, Ein handfchriftlicb.es hebräifch-mathe- l
matifches Werk des Mordechai Comtino (15. Jahrhundert). I

— 9. Eppenftein, Studien über Jofeph ben Simon Kara
als Exeget nebft einer Veröffentlichung feines Kommentars
zum Buche der Richter. — 10. Berliner, Zum Brief-
wechfel zwifchen Michael und Zunz.— II. Lefmann, Bibel
und Menfchenrechte. — 12. Jawitz, Neue jüdifche Ge- !
fchichtsforfchung und einige ihrer wichtigften Refultate.

— 13. Lewin, Deutfche Einwanderungen in polnifche
Ghetii. — 14. Miszellen. — Die hebräifche Abteilung I
(118 S.) gibt die zu Nr. 9 und 10 gehörigen Texte, nämlich
1. den Kommentar des Jofeph ben Simon Kara zum
Buch der Richter, nach einer Handfchrift Kirchheims
(jetzt im Befitze des jüdifch-theol.-Seminars in Breslau) !
herausgegeben von Eppenftein, und 2. den Briefwechfel
zwifchen H. J. Michael und Zunz, herausgegeben von
Berliner (im Ganzen 60 Briefe).

Der Auffatz von Bondi über Herodes (Nr. 3, S. 125
bis 140) ifl ein unglaublich bombaftifches Gerede über
die Judenfeindfchaft des Herodes, über welche uns erft
durch das neue, hebräifch gefchriebene Werk von If.
Halevy, Dorot Harischonim Bd. I, 1906 (Bd. II, 1901),
das wahre Licht aufgedeckt worden fei. — Goldhor
(Nr. 5, S. 169—194) behandelt die in der rabbinifchen
Literatur in dreifacher Relation vorliegenden Angaben
über die Grenzen des heiligen Landes, über welche zu- |
letzt Hildesheimer eine gründliche Ünterfuchung veröffentlicht
hat (Beiträge zur Geographie Paläftinas, Berlin 1
1886, vgl. meine Gefch. des jüd. Volkes 3. Aull. I, 426.
II, 11, 4. Aufl. II, 15). — Die von B Cohn (Nr. 6, S. 195
bis 203) erörterten ,Chronologifch-halachifchen Fragen'
find Fragen des jüdifchen Kalenders. — ,Raba', über
welchen F"unk in Nr. 7 (S. 204—213) handelt, ift Raba ben
Jofeph ben Chama, babylonifches Schulhaupt im 4. Jahrh.
n. Chr. —Jawitz, Neue jüdifche Gefchichtsforfchung und
einige ihrer wichtigften Refultate (Nr. 12, S. 283—292),
bezieht fich auf die ,Refultate' über die Entftehung der
Mifchna und des Talmud, zu welchen If. Halevy in dem

oben bereits genannten Werke Dorot Harischonim gelangt
ift. Jawitz ift über dasfelbe ebenfo entzückt wie Bondi,
während Ifr. Levi in der Revue des etudes juives t. 43,
1901, p. 279 darüber geurteilt hat: Cette histoire n'a rien
d'une histoire: c'est une critique passionee des opinions de
Graetz, Weiss, Frankel et Rappoport. Auch Bachers fehr
eingehendes und fachkundiges Urteil über Halevys Werk
(Revue des etudes juives t. 44, 1902, p. 132—151) lautet
überwiegend ungünftig.

Göttingen. E. Schürer.

Scherer, Priefter Dr. Wilhelm, Klemens von Alexandrien
und leine Erkenntnisprinzipien. München, J. J. Lentner
1907. (IV, 83 S.) gr. 8° M. 2.20

Der Verfaffer zeichnet zunächft die pfychologifchen
Vorausfetzungen, die Quellen und die Entftehung und
die Stufen der Erkenntnis nach Clemens. Dann unter-
fucht er das Erkenntnisgebiet: den Umfang der natürlichen
Erkenntnis, die Schranken der menfchlichen Erkenntnis
und die Gnolis nach ihrer erkenntnistheoretifchen
Bedeutung. —Clernens unterfcheidet ein otvivpa Oüqxixov
und ein stvev[ia vyvfiovixov, ein Seelenvermögen zur
Sinneswahrnehmung und eine ,Kraft der erkennenden
„körperlofen" Seele'. Von Gott mit der Anlage zur
Erkenntnis ausgeftattet, gewinnt diefe der Menfch durch
Belehrung. Dafür ift Glaube die Vorausfetzung, aber als
Zuftimmung zu einer wohlbegründeten Wahrheit. Die
Vernunft prüft und erfaßt in feiner Idee das durch Sinneswahrnehmungen
Erkannte, aber auch fich felbft erkennt
die Seele. Wertvolle Dienfte leiftet die Dialektik mit
ihrer Schlußfolgerung. Was die Stufen der Erkenntnis
anlangt, fo hat die C^rrjOig fich zur ,tgtc und di'äjtavßtq
befriedigten Wahrheitsdranges' zu entwickeln, ,die siqo-
XrjXpiq des Glaubens, die vjioXrppiq der Wiffenfchaft' ,zur
xaxäXrjXpiq ßeßaia, zum wandellofen Befitz der göttlichen
Weisheit und Wiffenfchaft' und ,zur Vereinigung mit der
Wahrheit felbft' fortzufchreiten (S. 38). — Das Gebiet
der philofophifchen Erkenntnis und des Offenbarungsglaubens
hält Clemens gemäß feiner Auffaffung des
Chriftentums als der vollkommenen Philofophie nicht
klar auseinander. Der Inbegriff der Wahrheit ift der
Logos Gottes. Welt, Menfch und Weltgrund find die
befonderen Gegenftände der Wahrheitserkenntnis. Die
fichtbare Welt ift um des Menfchen willen erfchaffen, in
der Selbfterkenntnis ift auch die Gotteserkenntnis und
damit die Ähnlichkeit mit Gott gegeben. Die Leitung
des Menfchengefchlechts durch den Logos hat auch die
hellenifche Philofophie zu einer Vorbereitung auf Chriftus
gemacht, nur ift die philofophifche Wahrheitserkenntnis
unvollkommen an Umfang, an Überzeugungskraft und
praktifcher Wirkung. Zumal infolge der gefchichtlichen
Verhältniffe und der Leidenfchaften bedarf es der befonderen
Wirkung des Logos (S. 65 f.). Andererfeits aber
hat die Philofophie über den einfachen Glauben hinaus
zur Gnofis zu führen, wo das Forfchen nach Wahrheit
zur Einficht wandellofer Überzeugung geworden ift, die
egiq der Erkenntnis zur diäfrsoiq der Tugend (S. 76);
durch Abftraktion von dem finnlichen Bild, in dem fich
Gott offenbart hat — auch das äußere Wort ift nur ein
Gleichnis des Inhalts (S. 78) —, dringt diefe Gnofis ein
in das Geheimnis des Göttlichen.

Scherer hat fleißig die Schriften des Clemens und
die betreffende Literatur durchforfcht und ift m. E. zu
richtigen Ergebniffen gelangt. Dagegen ift es ihm nicht
gelungen, diefe zu wirklich durchfichtiger Darftellung zu
bringen. Die Erftlingsarbeit macht fich durch manche
Ungleichmäßigkeiten und Verfehen in den Anmerkungen
bemerklich. So fchreibt Scherer ftets ,Protr.' und ,Paed.',
dagegen immer ,ftr.'; abwechfelnd ßtöq und 6s6q. Die
Zitate beginnen mitunter mit großem ftatt wie fonft mit
kleinem Anfangsbuchftaben. Akut und Gravis, Spiritus
asper und lenis werden öfters verwechfelt. Im übrigen