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Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

138-139

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Wie wurden die Bücher des Neuen Testaments heilige Schrift? Fünf Vorträge 1908

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

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rade diefe Selbftbezeichnung gewählt hat, aus pädago-
gifcher Abficht erklärt. Jefus will damit der vulgären po-
litifch-nationalen Meffias-Erwartung entgegentreten und
betonen, daß er ein religiöfer Meffias fei, der als Menfch
der ganzen Menfchheit angehört und zugleich himmlifche,
übernatürliche Kräfte in Wirkfamkeit fetzt (S. 161 ff.).

Bei aller Anerkennung der Umficht und Sorgfalt,
mit welcher die Unterfuchung geführt ift, wird die pro-
teftantifche Theologie eine wirkliche Förderung des Pro-
blemes darin doch nicht zu erkennen vermögen.

Göttingen. E. Schürer.

Vogt, Peter, S. J. Der Stammbaum Chrifti bei den heiligen
Evangeliften Matthäus und Lukas. Eine hiftorifch-exe-
getilche Unterfuchung. (Biblifche Studien. Zwölfter
Band. Drittes Heft). Freiburg i. B., Herder 1907.
(XX, 122 S.) gr- 8° M. 3.60

Wer lieh über die mannigfachen Verfuche, die
Stammbäume Chrifti bei Matthäus und Lukas in Einklang
zu bringen, orientieren will, dem kann diefe Monographie
lebhaft empfohlen werden. Das Verzeichnis der
Literatur, faß nur Büchertitel in kleinem Druck, füllt
zwölf Seiten (S. VIII—XIX). Es ift nach Kategorien
wohlgeordnet, je nachdem die Anficht vertreten wird:
I. Bei beiden Evangeliften wird der Stammbaum Jofephs
vorausgefetzt, II. Bei Matthäus wird der Stammbaum
Jofephs, bei Lukas aber der Stammbaum Mariä angenommen
. III. Die Frage wird offen gelaffen. Alle drei
Kategorien, namentlich die erfte, zerfallen wieder in
Unter-Arten. Eine eingehende Prüfung widmet der Ver-
faffer der berühmten, ebenfo fcharffinnigen wie künft-
lichen Theorie des Julius Africanus, wonach Matthäus
die natürlichen Vorfahren Jofephs nennt, Lukas deffen
,legale'. Der von Matthäus als Großvater Jofephs genannte
Matthan und der von Lukas als Großvater Jofephs
genannte Melchi (diefen Text fetzt Africanus bei
Lukas voraus, indem er zwei Glieder ausläßt) follen nach
einander diefelbe Frau geheiratet haben, fo daß ihre Söhne
Jakob (bei Matthäus) und Eli (bei Lukas) mütterlicher-
feits Brüder waren. Da Eli kinderlos ftarb, habe Jakob
nach dem Gefetz der Leviratsehe ihm einen Sohn erweckt
, den Jofeph, der demnach gefetzlich ein Sohn
Elis, natürlicher Weife ein Sohn Jakobs war. Der
fchwache Punkt in diefer Theorie ift, daß das Gefetz der
Leviratsehe nicht für Brüder mütterheherfeits, fondern
nur für Brüder väterheherfeits gilt. Vogt verwirft denn
auch diefe Theorie und fchließt fielt denjenigen an,
welche bei Lukas den Stammbaum der Maria finden.
Diefe Auffaffung foll 1. den vernünftigften Sinn bieten,
2. fich auf die einfachfte Weife erklären, 3. fich am natür-
lichften erklären, 4. fich am ungezwungenften aus dem
Zufammenhang und dem Wortlaut ergeben. Die Grundlage
der Erklärung bildet Luk. 1, 27, wo eg o'ixov Aavtiö
mit xag&svov zu verbinden ift. Die Hauptftelle Luk. 3,
23 ift aber fo zu konftruieren, daß die Worte dg^öfievog
bis 'iworjcp eine Parenthefe bilden und xal avxbg iv
Irjoovg . . . toü 'HXel fich unmittelbar aneinander an-
fchließen: Jefus (lammte in Wirklichkeit (durch Ver-
mittelung der Maria) von Eli (S. 94). Die obigen vier
Vorzüge, welche der Verf. diefer Erklärung nachrühmt,
werden ihr auf proteftantifcher Seite wohl nicht mehr
von Vielen zuerkannt werden.

Göttingen. E. Schürer.

Moske, D. Emil, Die Bekehrung des heil. Paulus. Eine
exegetifch-kritifche Unterfuchung. Münfter i. W.,
Afchendorff 1907. (XI, 101 S.) gr. 8° M. 2.50

Der Wert diefer aus dem Bludaufchen Seminar in
Münfter hervorgegangenen und vom bifchöflichen General-1

I vikariat genehmigten Arbeit befteht hauptfächlich in der
: wefentlichen Vollftändigkeit der dabei benutzten, 5 eng
I gedruckte Seiten füllenden, Literatur fowie in der über-
I fichtlichen Gruppierung der Stellungen, welche feit etwa
130 Jahren zu dem Problem eingenommen worden find.
I Die Stellung des Verf.s felbft ift gegeben mit der gleich
j S. 3 erfcheinenden Alternative: entweder, ein Beweis für die
| Möglichkeit und Tatfachlichkeit einer Übernatur' oder
,Selbfttäufchung oder Betrug'. Viel neues kommt bei diefer
zufammenfaffenden Reproduktion apologetifcher Beweisgänge
natürlich nicht heraus. Die Differenzen der apoftel-
gefchichtlichen Berichte werden daraus erklärt, ,daß jeder
von ihnen die Nebenumftände nur unvollftändig wiedergibt
' (S. 21); alle fprechen von einer wirklichen Erfcheinung
des leiblich verklärten Chriftus, und bezüglich der eigenen
Ausfagen des Apoftels ift zum mindeften zu behaupten,
daß fie dem» nicht' widerfprechen (S. 37). Das Hauptbe-
ftreben des Verf.s geht natürlich dahin, jedwede leibliche
(Epilepfie) oder gar innere Dispolition (bohrende Zweifel
und Gewiffenskämpfe), überhaupt alles, was Vorbereitung
und Anbahnung der Kataflrophe heißen könnte, in Abrede
zu ftellen. Demgemäß ift der weitaus umfangreichfte
Abfchnitt der ganzen Abhandlung der Polemik gegen die
Vifionshypothefe fowohl in ihrer fubjektiven (S. 49—83)
wie in ihrer, dem Wefen nach mit diefer identifchen, objektiven
Form (S. 83—87) gewidmet, und wird zu diefem
Zweck alles zufammengetragen, was gegen Holften, als
den gewandteften und fcharffinnigften Vertreter derfelben
(S. 51. 62), und feine Nachfolger fchon längft von Bey-
fchlag, Nösgen, B. Weiß, Godet, Horn, Steude u. a. vorgebracht
worden ift. Speziell gegen mich wird noch
einmal die aus modern botanifcher Ausdeutung von I Kor.
I5- 36- 37 gewonnene Theorie von einem zwifchen dem
verweslichen und dem unverweslichen Leib beftehenden
.Zufammenhang' ausgefpielt (S. 72 f.). Ich begnüge mich
hier damit, auf die beffer orientierten Beobachtungen zu
verweifen, die bei I. Heyn, Jefus im Lichte moderner
Theologie, 1907, S. 139 f. zu lefen find.

Baden-Baden. H. Holtzmann.

Lietzmann, Prof. Hans, Wie wurden die Bücher des Neuen
Teftaments heilige Schrift? Fünf Vorträge. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1907. (VIII, 119 S.) gr. 8°

M. 1.80; geb. M. 2.60

Diefe auf dem religionswiffenfchaftlichen Ferienkurs,
welchen die Lehrerfchaft von Rheinland und Weftfalen
im April v. J. in Bonn veranftaltet hatte, gehaltenen Vorträge
erfüllen, was fie verfprechen, in vollem Maße und
in ebenlo fchlichter, wie überzeugender Weife. Der erfte
weift fchon innerhalb des Neuen Teftaments felbft eine
Stufenfolge von Anfchauugen auf, die von den bewußt als
Privatarbeit auftretenden Büchern des Lukas zu der nicht
minder bewußt fich als Produkt der Infpiration gebenden
Apokalypfe hinaufführt. Der zweite gilt dem in der Zeit
der apoftolifchen Väter bis herab zu Irenäus nachweisbaren
Ubergang von einer noch rein hiftorifch auftretenden
(,der Herr hat gefagt') zu der kanonifchen Autorität
(,der Herr fagt' — nämlich ,im Evangelium*), wobei in-
fonderheit die Ausdrücke des Clemensbriefs auf der Goldwage
geprüft, die Ignatiusbriefe um 110 und dasjohannes-
eyangelium fchon um 100 angefetzt werden. Ich kann
die Möglichkeit folcher Datierungen nicht beftreiten
möchte fie aber auch nicht geradezu vertreten. Entfchie-
dener ftehe ich zu der Korrektur, welche der Verf. der
bisher üblichen Auslegung desZeugniffes derScillitanifchen
Märtyrer angedeihen läßt (S. 49 f.) Im übrigen enthält
der dritte Vortrag eine fehr beachtenswerte Ausdeutung
des Muratorianums, dazu den Nachweis der Gründe, die für
ein wefentlich antignoftifches, fpeziell antimarcionitifches
Motiv bei Bildung des Kanons im Laufe der zweiten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts fprechen. Ein vierter

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