Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

136-137

Autor/Hrsg.:

Tillmann, Fritz

Titel/Untertitel:

Der Menschensohn. Jesu Selbstzeugnis für seine messianische Würde. Eine biblisch-theologische Untersuchung 1908

Rezensent:

Schürer, Emil

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

135

Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

136

des Meffias, feine Präexiftenz, fein Verhältnis zur Memra
Jehovahs (die Identität wird verneint) und zum Metatron,
fein bloß menfchliches Wefen, die Umftände feiner Geburt
und fein Weilen in der Verborgenheit (S. 289—359).
Hierauf wird das Werk des Meffias gefchildert: die Vernichtung
der Feinde Israels und das Gericht über fie, der
Aufbau Jerufalems und des Tempels und die Wiederbringung
Israels aus der Zerftreuung (S. 360—94); eine
Trennung der allgemeinen Auferflehung von der der
Teilhaber am meffianifchen Reich verneint der Verfaffer.
Er gibt dann eine Charakterifierung des meffianifchen
Reichs (413—439).— Den Schluß bildet eine Unterfuchung
der meffianifchen Erwartung des Judentums in der Dia-
fpora. der Samariter, der Pharifäer und Herodianer, der
Sadducäer, der Effäer und der Profelyten (440—473) und
anhangsweife eine folche der jüdifchen Lehre vom Leiden
und Tod des Meffias, die erft in nachchrifllicher Zeit
fich nachweifen laffe.

Diefe dritte Schrift zeigt, wie der Verfaffer immer
völliger das erforfchte Gebiet beherrfchen gelernt hat.
Er fetzt fich viel mit den ,abendländifchen Gelehrten' auseinander
, hat aber doch zugleich bereitwillig bei ihnen,
namentlich bei Schürer, gelernt. Seine ausgefprochen
konfervative theologifche Stellung verleugnet er nirgends.
Mitunter trifft die ruffifche, nach der Ausfprache fich
richtende, Wiedergabe der Namen nicht zu; fo ift kein
Anlaß ,Ljangen' oder ,Baldenfchperger' zu fagen. Aber
dergleichen kann nicht befremden. Fleißige Arbeit, be-
fonnenes, in der Regel nicht voreingenommenes Urteil
tritt überall zu Tage.

Göttingen. N. Bonwetfch.

Schlatter, Prof. D. A., Der Zweifel an der Mellianität Jehl.

(Beiträge zur Förderung chrifllicher Theologie. XI, 4.)
Gütersloh, C. Bertelsmann 1907. (75 S ) gr. 8° M. 1.50

Als richtiger Individualift bewegt fich der Verf. innerhalb
einer ihm eigenen, vielleicht auch nur ihm felbft
ganz durchfichtigen und vertrauten Gedankenwelt. Dafür
flehen ihm entfprechendeldeenaffoziation en und Ausdrucksformen
zu Gebote, für deren adäquates Verftändnis anders
geartete Menfchen, auch wenn fie gleichfalls Theologen
find, erft erzogen fein wollen. Wer fich darauf nicht
einlaffen will und dem Bann des Gemeinverftändlichen
verfallen bleibt, wird gleichwohl die Oppofition zu begreifen
und zu würdigen im Stande fein, welche der Verf.
den modernen Verfuchen bietet, den meffianifchen Gedanken
als Jefu felbft fremd, ihm erft durch die Jünger oder
gar nur durch die Lehrbildung der Kirche angehängt
darzuftellen. Den Unterzeichneten haben folche Zweifel
kürzlich zur Abfaffung feiner Schrift ,Das meffianifche
Bewußtfein Jefu' veranlaßt. Sie waren von der Art, wie
fie der Verf. S. 13 f. in wenigen Zeilen berührt und mit
Verweis auf den Prozeß Jefu abtut. Tiefer gehende
Zweifel an der Meffianität Rheinen ihm dagegen begründet
zu fein in der Tatfache des Bruches Jefu mit feinem
Volke (kein Meffias ohne fein auserwähltes Volk), der
Befchränkung Jefu auf eine Wirkfamkeit durch das Wort
(alfo Verzicht auf königliche Herrfcherftellung) und der
,Paffivität gegenüber feinem königlichen Namen', will fagen:
feine Zurückhaltung mit dem Meffiasanfpruch (alfo nicht
perfönlich beteiligt bei meffianifchen Demonftrationen).
Verftändlich und annehmbar wird die Löfung der letztberührten
Schwierigkeit durch Hinweis auf den efcha-
tologifchen Charakter des Meffiastums. ,Es ift Gottes
Sache, ihm die Krone zu geben.' ,Er wollte die Herrfchaft
empfangen als Gottes Gabe, nur fo ift fie die Offenbarung
des Himmelreichs' (S. 60). Zur Vorausfetzung der Meffianität
, feiner Gottesfohnfchaft, habe er fich dagegen
jeder Zeit bekannt (doch wohl nur feiten?). An der
gleichen Vorausfetzung hängt auch die Erledigung der
zweiten Frage. JDarum hieß ja der Erwartete der Ge-
falbte, weil er von Gott die Herrfchaft erhalten wird,

nicht aber durch feinen eigenen Willen, mit dem er
für fich felbft die Macht begehrt. Gott regiert durch
ihn; Gott regiert aber durch fein Wort' (S. 55). Verwickelter
noch und fchwer in Kürze wiederzugeben find die Gedankengänge
, zu welchen das erfte Problem Anlaß gibt.
Schließlich ift von einer ,Wendung der Chriftologie' die
Rede, die im Gegenfatz zum populären Meffianismus ,die
Sendung des neuen Königs' in direkte Beziehung zur
ethifchen Not des Volkes bringt (S. 33 f. 70 f.), wie fich
das im Bußruf offenbart, mit dem Jefus aber auf Wider-
ftand flößt. Mir fcheint alles einfacher zu liegen.

Baden-Baden. H. Holtzmann.

Tillmann, Repet. D. Fritz, Der Menfchenfohn. Jefu Selbft-
zeugnis für feine meffianifche Würde. Eine biblifch-
theologifche Unterfuchung. (Biblifche Studien. Herausgegeben
von O. Bardenhewer. Zwölfter Band. Erftes
und zweites Heft.) Freiburg i. B., Herder 1907. (V,
181 S.) gr. 80 M. 4.50

Die erften fechzig Seiten diefer überaus fleißigen und
forgfältigen Arbeit find der ,Gefchichte des Problemes'
gewidmet. Man wird diefe nirgends fo vollftändig und
zugleich überfichtlich dargeftellt finden wie hier.

Die eigentliche Unterfuchung verläuft in folgenden
Ab.fchnitten. Kap. II: Die fprachliche Unterfuchung und
die altteftamentliche Wurzel der Selbftbezeichnung Jefu
(S. 60—83), III: Der Menfchenfohn bei Daniel und in den
Apokryphen (S. 83—106), IV: Der Menfchenfohn im
Neuen Teftament (S. 107—147), V: Die meffianifchen
Hoffnungen des zeitgenöffifchen Judentums und Jefus (S.
147—169), VI: Wie erklärt fich das Fehlen des Namens
,der Menfchenfohn' in der außerevangelifchen Literatur
des Neuen Teftamentes? (S. 169—176).

Der Verfaffer erkennt an, daß ,der Menfchenfohn' im
Aramäifchen nichts anders heißt als ,der Menfch'. Indem
aber Jefus diefe Selbftbezeichnung gebrauchte, wollte er
fagen, daß er der von Daniel verheißene Menfch, der
Meffias fei. Diefe ftillfchweigende Beziehung auf die
Danielftelle konnte auch vom Volke verftanden werden,
denn bei Daniel ift in der Tat (nach der eigenen Abficht
Daniels, wie der Verf. meint) unter der Menfchengeftalt
der Meffias felbft (nicht die Gemeinde Gottes) zu verliehen
, und die Bilderreden des Buches Henoch zeigen
uns, wie durch die ftetige Beziehung auf die Daniel-Stelle
der Ausdruck ,der Menfchenfohn' oder ,der Menfch' allmählich
zu einem Meffias-Titel werden konnte, wenn
er auch bei Henoch noch nicht ganz zu einem feilen
Titel geworden ift.

Als fetter Titel des Meffias wird er dagegen nach
T. in allen Stellen des Neuen Teftamentes gebraucht.
Auch für die vielumftrittenen Stellen Marc. 2, IO und 28
hält T. den meffianifchen Sinn feil. Ja felbft in der
entfcheidenden Frage Jefu an die Jünger bei Caefarea
Philippi Matth. 16, 13 foll ,Menfchenfohn' deutliche
Selbftbezeichnung Jefu als Meffias fein und dabei der
Matthäustext, der hier allein diefen Ausdruck hat, den
Vorzug vor Markus 8, 27 und Luk. 9, 18 verdienen. ,Der
Einwand, Jefus habe, wenn Menfchenfohn gleich Meffias
fein folle, die Antwort durch feine Frageftellung nicht
vorweg nehmen dürfen, fchlägt nicht durch. Denn darum
handelt es fich ja gerade, feftzuftellen, ob die Gleich-
fetzung Menfchenfohn = Meffias fich im Glaubensbewußt-
fein der Jünger fchon vollzogen oder doch wenigftens zu
vollziehen begonnen hat' (S. 115). Bei diefer Gebundenheit
an den kanonifchen Text in einem Falle, wo er durch
die beiden andern kanonifchen Texte als nicht urfprüng-
lich erwiefen wird, ift es felbftverftändlich, daß der Verf.
an der Authentie auch aller andern Menfchenfohn-Stellen
fefthält.

Eine Anlehnung des Verf. an moderne Anfchauungen
zeigt fich dagegen, wenn T. den Umftand, daß Jefus ge-