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Ausgabe:

1908 Nr. 5

Spalte:

132-133

Autor/Hrsg.:

Zenner, Johannes Konrad

Titel/Untertitel:

Die Psalmen nach dem Urtext. Zwei Teile 1908

Rezensent:

Frankenberg, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 5.

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plarifchen Pfalters, der als fünfte Textgeftalt den
vorigen an die Seite tritt. Überrafchend ift hier der
Nachweis, daß der Syrohexaplaris im Pfalter den Sep-
tuagintatext des Origenes nicht wiedergibt. Seine Abweichungen
von den griechifchen Hexaplafragmenten und
vom Gallicanum, auch von den im Briefe an Sunnia und
Fretela bezeugten Lesarten des Gallicanum, beweifen das
unwiderleglich. Für den griechifchen Text befitzen wir,
da die Publikation G. Mercatis immer noch ausfteht, bis
jetzt nur wenige und kleine Fragmente. In der Hauptfache
ift man deshalb auf das Gallicanum angewiefen, das
in feinen Lesarten vielfach fehlerhaft überliefert und in
feinen kritifchen Zeichen oft unzuverläffig ift, auch nicht
überall der Hexapla folgt. Indeffen gelingt es auch hier
auf Grund des Briefes an Sunnia und Fretela fowie
einiger Angaben des Auguftinus und auch des Syrohexaplaris
feiten Fuß zu faffen.

Eine Vergleichungdes ficher bezeugten hexaplarifchen
Textes mit den vier übrigen führt fodann zu dem Re-
fultat, daß der unterägyptifche und der oberägyptifche
Text (und auch der abendländifche) fehr oft mit dem
von Origenes zu Grunde gelegten Text übereinftimmen,
daß fie ferner (im Vergleich zu MT), und zwar namentlich
der unterägyptifche Text, dieselben Lücken und
Überfchüffe aufweifen, die Origenes in feiner Vorlage
fand. Dagegen ftimmt der Vulgärtext faft gar nicht mit
der von Origenes benutzten Vorlage überein, er füllt
aber die Lücken des griechifchen Textes ebenfo Yvie
Origenes aus und läßt die von Origenes obelifierten
Textbeftandteile fort.

Hiernach war der von Origenes zu Grunde gelegte
Text wahrfcheinlich ägyptifchen Urfprungs, für den Vulgärtext
bleibt dagegen als Heimat nur Syrien übrig, und
feine Übereinftimmung mit den Zitaten des Theodoret
und auch des Chryfoftomus zwingt zu der Annahme, daß
er der Text des Lucian ift. Dazu kommt, daß Hieronymus
den von den Gothen gelefenen Text, der faft
ganz mit dem Vulgärtext ftimmte, ausdrücklich als
Aovxiavbq zu bezeichnen fcheint (vgl. hierzu Rahlfs S. I70f).
Nicht mit gleicher Sicherheit, aber immerhin mit einiger
Wahrfcheinlichkeit, führt Rahlfs aus Cyrill von Alexandria
den Nachweis, daß der unterägyptifche Text, (d. h.
alfo vor allem B und die boheirifche Überfetzung), die
Rezenfion des Hefych ift. Das führt freilich zu der
Konfequenz, daß diefe Rezenfion von dem von Origenes
zu Grunde gelegten Text wenig verfchieden war.

Was Hieronymus über die Verbreitung und Geltung
der Rezenfionen des Origenes, Hefych und Lucian fagt,
war fchon für feine Zeit vermutlich eine Übertreibung,
und jedenfalls ift der von ihm behauptete Zuftand, wie
Rahlfs beweift, von keiner Dauer gewefen. Denn der
Text des Origenes ift in Paläftina, der des Hefych in
Unterägypten durch den Vulgärtext mehr oder weniger
verdrängt, — eine Erfcheinung, in der die Gefchichte
des griechifchen Pfaltertextes der des Neuteftamentlichen
Textes parallel geht. Sodann gehen die uns überlieferten
Varianten keinenfalls in den drei Rezenfionen auf. Manche
von ihnen flammen aus älteren Texten, fo daß fchon
von hier aus die vor den drei Rezenfionen liegende Text-
gefchichte einigermaßen erkennbar ift. Erkennbar ift fie
aber auch aus den oberägyptifchen und abendländifchen
Texten, die beide älter find als Origenes, Hefych und
Lucian und dabei vielfach untereinander übereinftimmen.
Von verhältnismäßig geringem Ertrag find dagegen die
Zitate der Kirchenväter von Clemens Rom. bis auf Origenes
, zumal fie öfter nachweisbar korrigiert, anderswo
der Korrektur verdächtig find. Gleichwohl laffen diefe
Zitate darüber keinen Zweifel, daß es in alter Zeit fehr
verfchiedenartige Pfaltertexte gab.

In die Erörterung der Frage, wie weit die verfchie-
denen Rezenfionen den urfprünglichen Septuagintatext
des Pfalters bieten, tritt Rahlfs in diefer Arbeit im Allgemeinen
noch nicht ein. Nebenher zeigt er aber, daß

der oberägyptifche Text ftark verwildert ift. Nur in
feltenen Fällen bietet er das Urfprüngliche, wie 61 5 ev
ipsvÖEL für kv dityEi. Anderswo zeigt er chriftlichen Einfluß
wie 509 in vdömxm ctJtb rov aiyiaxoq rov §vXov und
95 10 in dem in alter Zeit weit verbreiteten xvgioq Ißaöi-
XevOev anb IqvXov. Als eine alte Korrektur nach MT
erfcheint mir 59 Evmxibv fiov rrjv böov Oov. Wertvoller
ift der Lateiner, der 4 s allein richtig dxb xaigov für axb
xagxov, und ebenfo 30 ie ol xaigoi fiov für ol xXrjgoi
fiov las.

In erfter Linie wird daher der Lateiner neben den
drei anderen Rezenfionen für die Rekonftruktion des
urfprünglichen Textes in Betracht kommen, und hierbei
reduzieren die drei fleh eigentlich auf zwei, da die Vorlage
des Origenes und die Rezenfion des Hefych dem
Anfchein nach wenig von einander abwichen. Vorab
muß dann die Lucian-Rezenfion auf ihren Wert unter-
fucht werden. Daß fie in einzelnen Fällen das Richtige
hat, ift fchon von ßäthgen gezeigt und wird auch von
Rahlfs anerkannt. Daß fie im Ganzen fchlechter ift als
der unterägyptifche Text, leidet ebenfalls keinen Zweifel.
Charakteriftifch find für fie eine große Zahl von ,freieren
Überfetzungenf denen Bäthgen prinzipiell den Vorzug
gab, wogegen Rahlfs fie auf die Rezenforentätigkeit
Lucians zurückführen möchte. Daneben kommt aber als
dritte Möglichkeit in Betracht, daß fie der von Lucian
benutzten Vorlage entflammen, — ebenfo wie die ihm
eigentümlichen Überfchüffe über MT, die er beftehen
ließ, obwohl er die von Origenes obelifierten Textbeftandteile
tilgte und die von Origenes mit Afterisken eingefügten
Zufätze aufnahm. Vielleicht war diefe freier
ftilifierte Vorlage dann ein alter jüdifcher Doppelgänger
des ägyptifchen Septuagintatextes, und als folcher könnte
er neben diefem hier wie in den hiftorifchen Büchern für
die Rekonftruktion des hebräifchen Urtextes von Wert
fein. Jedenfalls muß mit der Möglichkeit gerechnet wer-
! den, daß die chriftlichen Septuagintatexte auf verfeniedene
jüdifche Texte zurückgehen, die in der griechifch redenden
jüdifchen Diaspora im Gebrauch waren. Die Unter-
fuchung diefer Frage wird ausgehn müffen von einer
Vergleichung der fpeziell Lucianifchen Lesarten mit denjenigen
Vulgärlesarten, die fleh in fo großer Zahl in den
oberägyptifchen und altlateinifchen Texten, aber auch
fonft fchon in früherer Zeit, finden.

Mit dem Vorftehenden konnte ich nur in groben
Grundzügen über den Gang und die Refultate der von
Rahlfs geführten Unterfuchung berichten. Im Übrigen
muß ich auf das Buch felbft verweifen, das in der Sep-
tuaginta-Literatur einzigartig dafteht. Mit ermüdlichem
Fleiß und umfaffender Sprach- und Sachkenntnis, die zur
Bewältigung des weitfehichtigen Materials aufgeboten find,
vereinigt fleh hier die größte Vorficht und Ümficht des
Urteils und eine ebenfo klare wie planvolle Dispofition,
in der das Buch im Kleinen und Einzelnen wie im Großen
und Ganzen überall angelegt ift. Rahlfs hat damit be-
wiefen, daß er wie kein Zweiter den Beruf hat, die von
Lagarde verlangte methodifche Erforfchung der Septua-
ginta in die Hand zu nehmen.

Göttingen. R. Smend.

Zenner, Johannes Konrad, S. I., Die Plalmen nach dem

Urtext. Ergänzt und herausgegeben von Hermann
Wiesmann, S. I. Zwei Teile. Münfter i. W., Afchen-
dorff. gr. 8° M. 8—

I. Überfetzung und Erklärung. (XIV, 358 S.) 1906. M. 6—.
II. Sprachlicher Kommentar. (IV, 63 S.) 1907. M. 2—.

Es ift naheliegend, daß wir diefem Kommentar zum
Urtext der Pfalmen größeres Intereffe entgegenbringen
als dem im Jahre 1906 Nr. 25 diefer Zeitung angezeigten
Kommentar zur Vulgata der Pfalmen. Der Verfaffer hat
es im ganzen gut verftanden, fleh in den Stoff und in