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Ausgabe:

1908 Nr. 4

Spalte:

106

Autor/Hrsg.:

Farrar, Frederic W.

Titel/Untertitel:

St. Paulus. Sein Leben und sein Werk. Band II und III 1908

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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io5 Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 4. 106

Ein jeder, der die dort gefchilderte, weit verbreitete Stimmung
des trotzigen gefchichtslofen Individualismus kennt,
wird ihm für diefe Gabe danken. Und die refolute Ablehnung
des Gottheitstitels kann ihm überall da Vertrauen
gewinnen, wo man für die theologifchen Umdeutungen
nun einmal nicht mehr zu haben ift. Bloß glaube ich
nicht, daß der Weg von außen, von der gefchichtlichen
Würdigung her viele näher zu Jefus bringen wird. Ein
perfönliches Verhältnis, wie Meyer es wünfcht, kann
nur durch perfönliche Not und Hilfe gewonnen werden.
Und auch von hier aus ift das unbeftimmte ,uns' des
Titels nicht befriedigend. Es gilt für die, die von Jefus
ergriffen find, aber nicht für alle anderen Modernen. In

Ketzer Kreyenbühl geblieben zu fein, fondern auch die Bemühungen
vonGlaubensgenoffen wie van Bebber undBelfer,
mit denen man eine Auseinanderfetzung bezüglich der
zeitlichen Ausdehnung des öffentlichen Wirkens Jefu erwartet
hätte. Die zur Verwendung kommenden Beweismittel
find die bekannten: namentlich Irenaus als Zeuge
eiften Wertes, Juftin auf dem Umweg über die Apoka-
lypfe, 19,35. 21,24 als Selbftzeugniffe. Zur taktifchen Methode
gehört es, alle Gegner der johanneifchen Authentie,
die irgendwie das Vorhandenfein gefchichtlicher Elemente
zugeben, als Zeugen für die relative Glaubwürdigkeit des
Evangeliums zu einem Angriffskorps gegen Loify und
Jean Reville zu vereinigen, die auf folche Weife um fo

der kurzen hiftorifchen Skizze hätte ich zu Meyers Jefus, i gründlicher abgetan werden follen (S. 16. 474).

Paulus und Orthodoxie reichliche Fragezeichen; aber
für feine Hauptfache, der ich nur zuftimme, tragen fie
nichts aus.

Bafel. Paul Wernle.

Lepin, Prof. M., L'origine du quatrieme £vangile. (Deuxieme
edition.) Paris, Letouzey et Ane 1907. (XI, 508 p.) 8°

Das ,Dekret der heiligen römifchen und allgemeinen
Inquifition' vom 3. Juli 1907 verdammt unter Nr. 16—18
die Sätze, daß den johanneifchen Reden mehr theologi-
fcher als hiftorifcher Wert zukomme, daß die johanneifchen
Wundererzählungen nur als Illuftrationen zu jenen
von Belang feien, und daß der Verfaffer des 4. Evangeliums
zwar als ein Augenzeuge erfcheinen wolle, in Whk-
lichkeit aber nur ein Lehrer der Kirche zu Ausgang des
erften Jahrhunderts gewefen fei. Es ift fofort bemerkt

worden, daß hier in crfter Linie nur Loifys Kommentar I fchenken, erfcheinen, zumal da der fchon früher gefchil-
vom Jahr 1903 getroffen fein wollte (vgl. Jahrgang 1904 derte, reichliche Bilderfchmuck jetzt auch Karten, Münzen
diefer Zeitfchrift, Sp. 405 f.). War doch fchon gleich dem 1 und Schriftproben umfaßt. Die Bilder können vom archäo

Baden-Baden. H. Holtzmann.

Farrar, Dekan D. F. W. f, St. Paulus. Sein Leben und
fein Werk. Autorifierte deutfche Bearbeitung von Otto
Brandner. Durchficht der Epiftelerklärungen von
D. Eduard Rupprecht, Kirchenrat. Band II und III.
Frankfurt a. M., O. Brandner 1907. (S. 249—754 m.
Abbildungen u. 8 Karten.) 40 Vollftändig M. 12 —

Das angezeigte Werk befteht aus 3, übrigens fortlaufend
paginierten, Bänden, deren erfter fchon 1906 er-
fchienen und im gleichenjahrgang dieferZeitfchrift (Sp. 139)
angezeigt worden ift. Der 2. Band fetzt die Erzählung
vom Auftritt in Antiochia, der 3. von der letzten Reife
nach Jerufalem an fort. Druck und Ausftattung laffen
das Ganze als ein Prachtwerk, recht geeignet zu Ge-

Erfcheinen desfelben ein römifcher Bannftrahl gefolgt. Seit
her ift in der Tat die katholifche Schriftgelehrfamkeit
in Italien (Polidori) und Deutfchland (Knabenbauer), desgleichen
die anglikanische (Sanday) ganz befonders emfig
am Werk, das gefährliche Buch unfchädlich zu machen.
In Frankreich hat fich neben Le Camus, Chauvin u. a.
eine Art Lebensaufgabe daraus der Urheber des angezeigten
Werkes, Profeffor am Grand seniinaire de Lyon,
gemacht. Schon 1904 brachte nicht bloß die ,Univcr-
site catholiquc' zwei gegen Loify gerichtete Artikel über
die Gottheit Chrifti, fondern erfchien auch als felbftändige

logifchen Standpunkt aus freilich nicht immer als einwandfrei
gelten (z. B. S. 321 der bekannte falfche Seneka).
Die Darfteilung felbft darf auf das Lob einer Kunftleiftung
Anfpruch erheben. Sie ift im ganzen gefchmackvoll
und fpannend felbft für den, welchem fie nirgends etwas
Neues zu bieten vermag, manchmal in der Ausmalung
gemütlicher Situationen und Szenen etwas zu behaglich
in die Breite gehend (z. B. S. 429 h Paulus mit feinen
Vertrauten in Korinth). Überall aber hat man es mit
einem hochgebildeten Menfchen von vornehmer Gefinnung
zu tun, daneben auch mit einem gewandten, feiner AufVeröffentlichung
,Jesus, Messie et Fils de Dieu, d'apres gäbe gewachfenen Uberfetzer. Der Verfaffer will freilich
/es evangiles synoptiqucs', worin als Ergänzungsftück das nicht ,ein Werk der ftreng wiffenfchaftlichen Theologie'
jetzt erfchientne und vom Kardinal-Erzbifchof von Lyon ! fchafifen, und diefe wird fogar recht ernfthchen Proteft
genehmigte Werk bereits fignahfiert war, wie diefes felbft ! gegen feinen Anfpruch einlegen müffen, die Epifteln bib-
wieder ein neues, dem Nachweife der Gefchichtlichkeit i lifch-theologifch verftändlich und ihre durchgängige Echt-
des johanneifchen Jefusbildes gewidmetes, Buch als dem- heit hiftorifch-kritifch einleuchtend gemacht zu haben,
nächft das Licht der Welt erblickend weisfagt. Allzu Beifpielsweifc wüßte ich mit der theologifchen Zurecht-
fchwer wird das dem Verf. nicht werden, nachdem er legung des Prädeftinationsgedankens im Verhältnis zur
fchon in jenen feinen früheren Arbeiten nachgewiefen zu Willensfreiheit (S.497f.) oder mit dem, was über dieEchtheit
haben glaubt und jetzt als erwiefen wiederholt (S. 481), daß des Epheferbriefes (0.659 f.) gefagt wird, nichts anzufangen,
auch fchon der fynoptifche Chriftus bei feinen Selbft- glaube es aber dem verdorbenen Verf. gern, daß er die
ausfagen aus dem Bewußtfein übermenfehhehen Wefens, Frage ohne jede Voreingenommenheit geprüft hat und
himmlifcher Herkunft und wahrhaft göttlichen Seins i fich von jedem Vorurteil frei weiß. Am beachtenswer-
fchöpft. Vorläufig will er nur die Autorfrage unterfuchen. | teften dürften die 14 Exkurfe am Schluffe fein, die u. a.
Diefer allein d. h. dem Nachweife, daß das Evangelium Beweife zwar für eine Freilaffung aus der römifchen Ge-
famt Anhang vom Apoftel felbft um das Jahr iooin Ephefus j fangenfehaft, aber gegen eine Reife nach Spanien bringen,
abgefaßt wurde, ift der gegenwärtige Band gewidmet. An J Der ,Pfahl im Fleifch' foll wieder einmal ein Augenübel
Sammlerfleiß, Sorgfalt und zäher Geduld hat es der Verf. | bedeuten; die foeben noch von Wendland (Helleniftifch-
bei der Durchwanderung eines fo dichtverfchlungenen römifche Kultur, S. 125 f.) überzeugend entwickelte
Hypothefengeftrüpps nicht fehlen laffen. Beifpielshalber Wahrfcheinlichkeit der Deutung auf Epilepfie bleibt un-
fei auf die Darfteilung der Kontroverfe über den ephe- widerlegt (S. 734 f). Charakteriftifch für die Theologie
finifchen Aufenthalt verwiefen (S. 73—108, ausführlicher ; des Verf.s find die S. 742 aufgeführten 6 unlösbaren Widerin
der ,Universite catholiquc' 1906), die an Vollftändig- fprüche in der paulinifchen Gedankenwelt, angefichts
keit und Genauigkeit der Angaben kaum etwas zu wün- welcher wir angewiefen werden, die Inkompetenz unferer
fchen übrig läßt. Man wird es dem franzöfifchen Katho- Vernunft zu bekennen, wo es gilt, ,etwas vom Abfoluten
liken zugut halten, wenn im übrigen gerade bezüglich j zu begreifen'.

der deutfehen Literatur zur Johannesfrage manche Lücken Baden-Baden. H Holtzmann

beftehen. Unbekannt fcheint ihm namentlich nicht bloß der __*** ""uzmann.

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