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Ausgabe:

1908 Nr. 3

Spalte:

86-89

Autor/Hrsg.:

Frommel, Gaston

Titel/Untertitel:

Études morales et religieuses 1908

Rezensent:

Lobstein, Paul

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85 Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 3. 86

deutung verleihen. Die Ausführlichkeit und Breite man- I und Keufchheit, Weitherzigkeit, welche der Eigenart, der
eher Berichte, die nicht feltenen Wiederholungen, das j Erziehung und den Sitten der verfchiedenen Länder und
Unterbrechen und Wiederaufnehmen zahlreicher Aus- j Kirchen Rechnung trägt, charaktei ifieren die Schilderung
fuhrungen würden zuweilen ermüdend wirken, wenn der und Beurteilung des revivaliftifchen Verfahrens. Am
Verf. durch die Lebendigkeit, Klarheit und Wärme der j wichtigften und lehrreichften ift vielleicht das letzte, die
Darfteilung den Lefer nicht immer wieder zu feffeln und i übrigen auch an Umfang übertreffende Kapitel, Reveil et
anzuregen verftände. — Eine Wiedergabe des reichen i theologie (123—186). B. ftellt den inneren Zufammen-
lnhalts ift felbftverftändlich unmöglich. Nach einem j hang feft, welcher zwifchen der in der Form plötzlicher
Rückblick auf die religiöfe Vergangenheit von Wales j Erfchutterung operierenden Bekehrungsmethode und der
und auf die zahlreichen dort bereits ltattgefundenen Er- maffivften Geffalt der überlieferten Theologie obwaltet;

weckungen, teilt B. zahlreiche Auszüge aus dem Tagebuche
über feine Reife mit. Eine fehr umfaffende und
gründliche Schilderung der verfchiedenen nationalen,
fozialen, religiöfen Faktoren und Eigentümlichkeiten der
Verfammlungen, Andachtsübungen und Gottesdienfte
bildet den Mittelpunkt des ganzen Werkes, das mit einer
eingehenden Charakteriftik der namhafteften Leiter und
Träger der Bewegung, befonders Mac Jones und Evan
Roberts, fowie mit einer Zufammenfaffung und Würdigung
der Ergebniffe bei forgfaltiger Verteilung von Licht und
Schatten fchließt.

2. Seine ganze Bedeutung und feinen vollen Wert
gewinnt das erfte vorwiegend referierende Buch erft im
Zufammenhang mit der an zweiter Stelle angeführten
Schrift über die ,Pfychologie der Erweckungen'. B. erhebt
nicht den Anfpruch, den Gegenfland erfchöpfend
zu behandeln; er will nur einige Gedanken {quelques
reflexions) äußern, die durch die Wales'fche und analoge
Bewegungen in dem Beobachter angeregt worden find.
Er nimmt feinen Ausgangspunkt in der individuellen und
der fozialen Pfychologie, die er in ihrer Verwandtfchaft
und ihren Unterfchieden prüft (6—24). Was für den Einzelnen
die plötzlichen Bekehrungen {conversion brusque,
violente, explosive, a la samt Paul) find, das ftellen die
revivals als Kollektivbewegungen dar. Sehr fein zeigt
nun B., daß jene angeblich urplötzlichen Bekehrungen in
Wahrheit nur fcheinbar folche find, fie fetzen ftets eine
inenbation subconsciente voraus, welche auf dem Wege
einer evolntion progressive zu einem in Wahrheit keineswegs
unvermittelten Ausbruch führen. Dementfprechend
find auch die Erweckungen, die weitere Kreife ergreifen,
niemals unvorbereitet, fondern immer durch äußere und
innere, in dem milieu wirkende Faktoren bedingt. In
einem zweiten Kapitel (24—41) weift B. auf Grund einer
fehr fein beobachteten Unterfcheidung zwifchen der
Psychologie sociale und der Psychologie des foulcs überzeugend
nach, daß die im methodiftifchen Sinne ver-
ftandene Erweckung als Gemütserfchütterung, felbft unter
der Vorausfctzung eines gefunden Urfprungs, ftets nur
eine elementare, den Anfang begründende Form des
religiöfen Lebens fein kann, welche der nachhaltigen
Pflege und Entwickelung bedarf. Das dritte Kapitel
(42—87) fucht aus einer reichen Auswahl forgfältig ge-
fammelter und fcharflinnig interpretierter Tatfachen eine
Reihe von pfychologifchen Gefetzen zu gewinnen, in
deren Licht mancherlei überrafchende Erlebniffe ihre
Erklärung finden. Über die Macht der Suggeflion, über
die Art der ,geiftlichen Anfteckung', über die toi de
regression, kraft welcher in einer zu einem einheitlichen
Ganzen verfchmolzenen, durch eine Stimmung beherrfch-
ten Volksmaffe die elementaren Kräfte, die caracteres
prunitifs de Vhumanite hervorbrechen und fleh auslöfen,
berichtet B. auf Grund eines aus verfchiedenen Zeiten und
Religionen herangezogenen Materials, das fein Intereffe
und feinen Wert behaupten wird, auch da, wo einzelne
Erklärungen und Folgerungen fleh als unzulänglich er-
weifen follten. In das Gebiet der unmittelbaren Praxis,
fpeziell der religiöfen und kirchlichen Pädagogik verfetzt
uns das dritte Kapitel (87—123). Es handelt von den
procedes, von den durch die methodiflifch gefinnten Ge-
meinfchaftsleiter empfohlenen und angewandten Mitteln
zur Anregung, Belebung, Aufrüttelung und Erfchütte-
rung der Zuhörer. Taktgefühl, religiöfe Nüchternheit

er bekämpft die Behauptung der Gemeinfchaftsleute,
welche gegen die moderne Theologie den Vorwurf erheben
, fie fchaffe für die Kirche einen Boden, auf dem
eine wirkliche Bekehrung unmöglich fei; er widerlegt den
Anfpruch der methodiftifchen Praxis auf allein gültige,
fpezififch chriftliche Echtheit; er bekennt fleh zur theo-*,
logic de la conscience im Sinne Vinets und gelangt zu
dem Ergebnis: ,Un reveil fonde sur l'ancienue Orthodoxie
sera necessairement un petit reveil, un reveil ferme. Seul
un reveil fonde sur la theologie de la conscience sera,
pourra etre un grand reveil, un riveil ouverv (176). —
Durch feine Reflexions hat B. nur einen Beitrag zur Behandlung
eines umfaffenden Problems liefern wollen; er
ift fleh dabei wohl bewußt, daß die im Anfchluß an
W. James und die in feinem Sinne arbeitenden Forfcher
geführten Unterfuchungen für die Frömmigkeit nicht unerhebliche
Gefahren mit fleh führen können. Durch den
Geilt, in welchem er die großen Fragen behandelt, hat
er aber tatfächlich gezeigt, daß diefe Gefahren nicht unvermeidlich
find.

Daß die Beobachtung und das Studium folchcr Bewegungen
das Verftändnis mancher Erfcheinungen des
Urchriltentums wefentlich zu fördern geeignet find, hat B.
nur vorübergehend angedeutet. Über diefen wichtigen
Gegenfland ift die kurze aber inhaltreiche Schrift von
R. Bornand, Quelques faits bibliques ä la hindere du
Riveil Gallois, Laufanne 1907, zu vergleichen. (Siehe
auch M.6 negoz, Aunales de bibliographie theologique, 1907,
Nr. 9.)

Straßburg i. E. \ Lobftein.

Frommel, Gaston, Etudes morales et religieuses. Saint-
Blaise (pres Neuchätel), Foyer solidariste 1907. (373 p)
8° fr. 3.50

Der zu früh der Kirche und der Theologie ent-
riffene Profeffor der fyftematifchen Theologie an der
Univerfität Genf, Gafton Frommel, der am 18. Mai 1906
in voller Manneskraft einer kurzen Krankheit erlag, ift
unter uns kein Unbekannter. Nicht nur der Name, den
er trug, feine entfernte VerwandTchaft mit Emil Frommel,
feine elfäfflfche Herkunft (er war am 25. November 1862,
in Altkirch, Ober-Elfaß, geboren) fichert ihm unfere Teilnahme
; es hatten auch einige feiner Veröffentlichungen
bereits die Aufmerkfamkeit deutfeher Lefer auf ihn gelenkt
. In einer Reihe von Artikeln der Chriftlichen
Welt (Jahrgang 1892, Nr. 11. 14. 15. 16. 18) hatte Frau
Charlotte Broicher die Esquisses contemporaines, die
Erftlingsfchrift F.s, weiteren Kreifen zugänglich gemacht.
Im folgenden Jahre hatte dasfelbe Blatt aus jenen Effays
über fünf Vertreter moderner Lebensanfchauung (Pierre
Loti, Paul Bourget, Amiel, Ch. Secretan, Ed. Scherer) das
Bild Scherers herausgegriffen und die fcharf und fein
ausgeführte Charakteriftik des berühmten Theologen und
Literarhiflorikers in lichtvoller Überfetzung mitgeteilt
(Chriftliche Welt, Jahrgang 1893, Nr. 6. 8. 9. 10). Ein
in demfelben Jahre veröffentlichter Auffatz erfchien unter
den Heften zur Chriftlichen Welt, Nr.' 20 .Bedingungen
des chriftlichen Glaubens in der Gegenwart' 1895. Ob
fonft noch andere Publikationen F.s in Deutfchland Eingang
gefunden haben, ift dem Ref. nicht bekannt; eine
ftark polemifch gefärbte Schrift über die fittlichen Gefahren
des religiöfen Evolutionismus hat er in der Theol.