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Ausgabe:

1908 Nr. 2

Spalte:

47-48

Autor/Hrsg.:

Guidi, Ignatius (Ed.)

Titel/Untertitel:

Vom Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium. VI. Scriptores aethiopici. Series altera. Tomus V 1908

Rezensent:

Nestle, Eberhard

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Theologifche Literaturzeitung 1908 Nr. 2.

48

Vielleicht find Philologen, die die Formenlehre der
,alternden Latinität' unterfuchen, Turner für feine Ausführlichkeit
dankbar. Seine gerade für den Kirchenhi-
ftoriker intereffanteften Mitteilungen find in Gefahr, unbemerkt
zu bleiben, fo S. IX der Hinweis auf eine heftige
Verurteilung des Papftes Symmachus im codex Veronaisis
XXII und S. 16 f. der Exkurs über die Gefchichte der
Worte digamus und bigamus. Hier wäre zwar etwas
weitere Ausdehnung erwünfcht: über das erfte Auftauchen
von Worten wie bivira, bimaritus hätte fich T. aus dem
Thesaurus linguac latinae in formieren können, das unicuba
des Hieron. ift dem Katalog der Worte chrifUichen
Urfprungs hinzuzufügen. Flinen Irrtum enthält aber die
Thefe Turners, Hieronymus, der vorher als Ciceronianer
geredet habe, fei erft durch die Debatte mit Jovinian
(392/393) veranlaßt worden, fich die tertullianifchen Neubildungen
digamus und digamia anzueignen. Merkwürdig
fchon, daß T. da die zahlreichen Belege gerade aus /. 1
adv. Iovinianum nicht notiert, fondern bloß folche aus
fpäteren Briefen. Allein bereits im Jahre 389 in der
Uberfetzung der Origenes-Homilien über Lucas (Vallarfi
VII 302/3) redet Hieron. von viduae digami und in dem
allerfpäteftens 388 verfaßten Titus-Kommentar (Vallarfi
VII 696. 697) findet fich zu Tit. 1 e dreimal das Wort
digamus; andrerfeits fehlen die ,ciceronianifchen' Um-
fchreibungen, die T. aus dem Jahre 384 belegt, bei Hieron.
auch in keiner fpäteren Schrift. Und wenn vorläufig die
.hybride' Bildung bigamus vor d. J. 419 in der kirchlichen
Literatur nicht nachgewiefen werden kann, — Turner
verbeffert deshalb ein I 124 von ihm in den Text der
Caeciliana gefetztes bigamis jetzt in dygamis — fo
möchte ich doch daran erinnern, daß Hieron. adv. Jovin.
I 15 fchon von quadrigami gefprochen hat, zwifchen
trigami und octogami; damit hatte er das Schema für
die Bildung bigami geliefert, im Jahre 393.

Marburg i. H. Ad. Jülichcr.

Vom Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium.

VI. (s. zuletzt 1908, Nr. 1.)

Annales lohannis I, lyäsu I et Bakäffä. Textus edidit et
Versio interpretatus est Ignatius Guidi. Pars I. II.
(Scriptores aethiopici. Series altera — Tomus V, 1. 2.)
Parisiis. Lipsiae, O. Harrassowitz 1903. 1905. (348
et 35° P-) gr- 8° M. 27.20;

Textus M. 18—; Versio M. 9.20

Für die 10 erflen Bände diefer Serie, welche die
einheimifchen Gefchichtfchreiber umfaßt, ift — was allgemeinen
Beifall finden wird — für die Uberfetzung das
Franzöfifche gewählt worden, das fich für diefen zum
Teil ganz modernen Stoff weit beffer eignet als das La-
teinifche. Die Chroniften führen bis in das 18. und 19.
Jahrhundert herab. Der 11. Band foll Anmerkungen und
Indices zu Bd. 1—10 enthalten. Sehr erwünfcht wären
auch Karten. Da Text und Uberfetzung getrennt abgeben
werden, follten die Mitteilungen über den Urfprung
der Stücke in beiden Abteilungen fich finden. Bei diefem
5. Band findet fich nur im Textteil der Auffchluß, daß
zwei Handfchriften von Oxford und Paris benützt wurden,
die aus einem Pixemplar in Gondar flammen, das
Autograph fein könnte. Wir erhalten hier die Chroniken
dreier Könige:

Johannes I. regiert von 1665 —1682; im Oktober 1681
bricht die Chronik ab, die von einem ungenannten Geheim
fchreiber, altteftamentlich ausgedrückt mazkir, des
Königs geführt ift.

Die Chronik lyäsu I ift von 1682—1700 von feinem
Geheimfchreiber Hawäryä Kreftos geführt, von da bis
1703 wahrfcheinlich von deffen Nachfolger Za-Wald.

Der Reft und die Chronik des Bakäffä (von 1721
an) find von Sinodä, der am 10. Aug. 1726 ftirbt; fein

Sohn Kenfa Mikä'el führt fie bis zum Jan. 1727 weiter-,
Bakäffä felbft ftarb erft am 19. Sept. 1730.

Von Monat zu Monat, teilweife von Tag zu Tag wird
j uns hier berichtet was der König getan, in mehr oder
weniger altteftamentlichem oder kurialem Stil, zu dem
freilich der Charakter des Gefchehenen oft fchlecht paßt.
Man vgl. zum Beifpiel zum Ofterfeft des Jahres 1713, S. 246;

,Au milicu de la psalmodie on apportait au roi
1 es partics sexuelles des incirconcis, car ainsi
avait ordonne le Saint-Esprit.
Von der chronologifchen Genauigkeit diefer Ge-
fchichtsfchreibung zeugt der Anfang (S. 3):

,Ensuite. cn Van du monde 7160, l'an de gräce
2qq, l'an de l'Incarnation 1660, l'an des Martyrs IJS4,
Van d'Alexandre le Grand icijci, l'an des Mahometans
1021 [muß 1078 heißen] [sehn le comput de Vännie
solaire, car, selon le comput de l'annee lunaire, il y
a J34-C) ans et iqi jours). l'epacte solaire elant 13 et
Vipacte lunaire 13, le commcncement du mois mas-
karam [sept.) tomba im vendredi. fite de saint Jean,
et le premier jour du mois de tcqemt fut un dimanclw.
Hier fehlt nur die fonft regelmäßig wiederkehrende
Angabe, ob das Jahr nach dem Evangeliften Matthäus,
Markus, Lukas oder Johannes benannt gewefen. In diefer
Zeitfchrift ift hervorzuheben, welche große Rolle Klerus
und Mönchtum in diefer Gefchichte fpielen; felbft die
chriftologifchen Streitigkeiten der alten Kirche, die mit
j den Namen eines Cyrill ufw. verbunden find, finden noch
. ihr Echo: wie fich Menschwerdung und Salbung durch
] den Geift zu einander verhalten. Liturgifch und kunft-
gefchichtlich intereffant ift die große Bedeutung, welche
] le tabot, der Altar, als Nachfolger der alten Bundes-
! lade hat; felbft Orakel erteilt die mit 7 Siegeln verfchlof-
fene Lade, deren letztes fich dem König von felber öffnet,
noch wie einftens dem Esra (S. 152). Des letzteren Apo-
kalypfe wird mehrfach neben andern biblifchen Büchern
angeführt. Überhaupt ift die Bibelkenntnis diefer Leute
nicht gering, obwohl nur von einem Metropoliten ausdrücklich
hervorgehoben wird, daß er die Schrift noch
in Ge'ez habe lefen können, und gelegentlich auch Ver-
wechfelungen oder Irrtümer vorkommen, wie S. 61 ,40'
weisfagende Jungfrauen beim Evangeliften Philippus.
Eine fehr dankenswerte Arbeit wäre die Erklärung der
vielen Perfonennamen, z. B. der mit 'Kreftos' zufammen-
gefetzten (aus ,Kreftos' häufig ,Keffos'). Nach S. in
wird das Gabrielfeft vom 19. auf den 22. tähsäs (Dez.)
I verlegt. —In der Uberfetzung find viele termini tech-
nici beibehalten, die in einem fehr dankenswerten Anhang
(345—349) erklärt find. In der Wahl der Ausdrücke
; ift der Überfetzer hie und da etwas zu frei. Als ich
S. 198 las ,dont il est parle dans l'Exaleuque', fragte
I ich mich: wie, follte diefer Terminus, den ich neben den
altkirchlichen Bezeichnungen Pentateuch, Heptateuch,
I Oktateuch für eine moderne Bildung hielt, im Äthiopi-
! fchen zu finden fein? Aber es fleht im Text orit, Um-
; formung des aramäifchen oraito = hebr. tora. was von
j Guidi S. 59 mit Pentateuque, S. 264 mit Octateuque
wiedergegeben wird. Von dem altteftamentlichen Stil
j zeuge auch noch, daß der .Illingens ad parietenv minde-
; ftens ein halbdutzendmal vorkommt, von Guidi des plus
vils' überfetzt. Andrerfeits wird man an die Angabe
[ des Arifteasbriefs erinnert, daß die Geheimfchreiber der
ägyptifchen Könige über jeden Tag Buch geführt hätten.
Nur aus folchen Hofjournalen können diefe Chroniken
' gefloffen fein, und darum haben fie nicht geringe kultur-
j gefchichtliche Bedeutung.

Maulbronn. Eb. Neftle.